Der Standard

Explodiere­nde Hitze und kalter Kaffee

Am Wochenende ging in Krems das erste Donaufesti­val unter der Leitung von Thomas Edlinger zu Ende. Wohlwollen im Publikum, und mit dem Auftritt der britischen Band This Is Not This Heat ein finaler Höhepunkt.

- Karl Fluch

Krems – Anstatt bis vier einzuzähle­n, grunzt und stöhnt Charles Hayward einfach viermal. Geht auch. Dann haut er drauf, Snare Drums, volle Kanne, und die Band fällt in den Song S.P.Q.R. Fände das Konzert nicht in der unerschütt­erlichen Architektu­r der Kremser Minoritenk­irche statt, würde der Boden beben. Doch es wäre ein konzentrie­rtes Beben. Choreograf­iert an der Richterska­la, ausgelöst von der britischen Band This Heat. Pardon, so heißt sie ja nicht mehr. Die reformiert­e britische Kultband nennt sich in ihrer Reinkarnat­ion This Is Not This Heat. „Something we know for sure“, wie Hayward am Ende des Konzerts im Rahmen des Donaufesti­vals sagen wird.

Der Auftritt markierte den finalen Höhepunkt der ersten Ausgabe unter der neuen Festivalle­itung von Thomas Edlinger, und wen man auch fragte, das Programm und die neuen, früheren Beginnzeit­en vieler Konzerte fanden allerorts Zuspruch.

Der Auftritt einer Formation wie This Is Not This Heat stand in der Tradition der Programme seines Vorgängers Tomas ZierhoferK­ien. Wie jener bot Edlinger in sei- nem ersten Programm neue und alte Bilderstür­mer, gibt mit dem Donaufesti­val Gelegenhei­t, Bands wie This Is Not This Heat zu erleben, die hierzuland­e kein kommerziel­ler Veranstalt­er buchen würde. Als die 1982 aufgelöste Band im Vorjahr in London ihr erstes Konzert nach 40 Jahren gab, reiste Publikum aus aller Welt an.

Aus der Krautrockk­üche

Bloß zwei Alben veröffentl­ichten This Heat. Ihr titelloses Debüt 1979 und zwei Jahre später Deceit, ihr Meisterwer­k. Mit diesen Arbeiten gelang es This Heat sogar in der hohen Zeit des Punk und Postpunk zwischen den Stühlen zu landen. Mit selbstgeba­uten Loops und einer Mischung aus Krautrock, Jazz und gefrorenen Funk-Pattern schufen sie eine Musik, die sich im Nachhinein betrachtet am ehesten zum New Yorker No Wave zählen ließe.

This Heat waren ein Trio. Eine explosive Mischung aus Ablehnung und Angriff, die sich in zerhackten Instrument­als und biestigem Gesang entlud, dazwischen Momente von klarer Schönheit.

40 Jahre später wurde This Is Not This Heat personell hochgerüst­et, zu sechst tritt man in Krems auf, mit Charles Bullen und Charles Hayward sind zwei der Originalmi­tglieder dabei, Gareth Williams ist 2001 gestorben. Den Job der geklebten Bänder von früher übernimmt heute der Synthesize­r, ein zweiter Schlagzeug­er ist dabei, Haywards Tochter unterstütz­t an der Geige, den Tasten und im Gesang. Eine Stunde lang setzten und zersetzen This Is Not This Heat Töne und Stücke aus ihren beiden Alben. Schneidend­e Gitarren, eine unnette Klarinette, Snare-lastige Rhythmen aus der Krautrockk­üche von Jaki Liebezeit.

Das klingt stellenwei­se nach den New Yorker Jazz-Zerlegern The Lounge Lizards, aus dem Gitarrensp­iel erheben sich dann und wann die Hypnosefor­meln von Velvet Undergroun­d. Doch sollen derlei Vergleiche nicht dir originäre schöpferis­che Kraft der Band schmälern, sie sind bloß Orientieru­ngspunkte für dieses Werk. Minimalism­us mit maximaler Wirkung. Sture Repetition, die auslässt, bevor die Musik berechenba­r wird.

Das könnte eine anstrengen­de Übung sein, doch This Is Not This Heat gelingt eine dynamisch über- zeugende Darbietung. Einerseits hebt der Deckel beständig ab, anderersei­ts unternimmt die Band alles, ihn auf dem Topf zu halten. So entsteht Druck. Der Sechser bitzelt sich durch Titel wie Testcard und Horizontal Hold oder entfaltet aus dem Mantra des Songs Sleep einen schleppend­en Rhythmus, dem kleine sonische Eruptionen entfahren, ohne dieses im Grunde sehr einnehmend­e Lied zu zerstören. Ein Balanceakt, den die Band souverän über die Konzertdis­tanz bringt, was seitens des Publikums mit entspreche­nder Absolution bedacht wird.

Mit dem Saalpflug

Im Anschluss tobt die New Yorkerin Margaret Chardiet durch die Minoritenk­irche. Die unter dem Nom de Guerre Pharmakon arbeitende Musikerin pflegt auf expression­istische Art das Erbe der Industrial Music. Dazu bedient sie sich der zähen Rhythmen von Throbbing Gristle ebenso wie des übersteuer­ten Hardcore-Technos eines Alec Empire. Neue Erkenntnis­se bringt ihre Darbietung nicht, alles schon gehört und gesehen. Nur so viel vielleicht: Werner Faymanns politische­s Erbe hat das Publikum verinnerli­cht. Wenn Chardiet wieder mal durch den Saal pflügt, macht es brav die Rettungsga­sse. Immerhin. Der Rest ihrer Show waren fliegende Haare, hysterisch­e Schreie und die Einsicht, dass kalter Kaffee kalter Kaffee bleibt, selbst wenn er mit viel Lärm neu aufgebrüht wird.

 ??  ?? Das Publikum des Kremser Donaufesti­vals empfängt in der Minoritenk­irche die Segnungen der britischen Band This Is Not This Heat. Laut, leise, glatt und verkehrt, super.
Das Publikum des Kremser Donaufesti­vals empfängt in der Minoritenk­irche die Segnungen der britischen Band This Is Not This Heat. Laut, leise, glatt und verkehrt, super.

Newspapers in German

Newspapers from Austria