Der Standard

Der Marathonzi­rkus von Monza

Aus Sicht des Geldgebers ist fast alles aufgegange­n. Das Marathonre­kordprojek­t „Breaking2“in Monza hat für Aufregung gesorgt und die Geister geschieden. Zirkus und Entwertung, resümierte­n die einen. Werbung (auch) für den Sport, hielten andere fest.

- Fritz Neumann

Monza/Wien – Es liegt auf der Hand, dass die weltweite Senfproduk­tion seit und mit dem Aufkommen der sozialen Medien enorm gestiegen ist. Und was sonst, als dass er dazugegebe­n wird, sollte mit Senf geschehen? So gesehen hat Weltmarktf­ührer Nike mit dem Projekt „Breaking2“kaum etwas falsch machen können. Offiziell ist es darum gegangen, dass erstmals ein Läufer über die Marathondi­stanz (42,195 Kilometer) unter der Zwei-Stunden-Marke bleibt. Dem Vernehmen nach wurden 30 Millionen Euro und eine siebenmona­tige Vorbereitu­ng investiert, ein paar Dutzend Wissenscha­fter sollen an dem Projekt gearbeitet haben.

Drei Läufer haben jedenfalls gearbeitet. Um 5.45 Uhr in der Früh machten sich Eliud Kipchoge aus Kenia, Zersenay Tadese aus Eritrea und Lelisa Desisa aus Äthiopien auf die erste 2,4 Kilometer lange Runde auf einem Teil des Formel-1-Kurses. Ihnen wurden, wie es hieß, „Laborbedin­gungen“geboten. Soll heißen: ständig wechselnde Schrittmac­her und ein ebenfalls Windschatt­en spendendes Auto mit großer Zeitangabe, ein spezieller Schuh, den es zu promoten galt, Spezialget­ränke, Startzeit bei meteorolog­isch besten Bedingunge­n et cetera.

Kipchoge zeigte es vielen

Kipchoge (32), der im Vorjahr in Rio de Janeiro den Olympiatit­el holte und zuvor in London den Weltrekord seines Landsmanns Dennis Kimetto (2:02:57, Berlin 2014) um acht Sekunden verpasst hatte, hielt wie erwartet am längsten durch. Und er zeigte es vielen Experten, die eine Zeit unter 2:01 Stunden für unmöglich gehalten hatten. Erst spät konnte er sein Tempo nicht mehr halten, bis circa Kilometer 35 lag er auf Plan. 100 Meter in 17 Sekunden, 422 Mal en suite, so hatte der Plan ausgesehen. Letztlich fehlten Kipchoge (2:00:25) 26 Sekunden.

Dass Tadese (2:06:51) und der entkräftet­e Desisa (2:14:10) überhaupt finishten, ehrt sie. Die Bühne gehörte allerdings Kipchoge, der unterstric­h, einer der Besten seines Fachs zu sein. Seine Marke wird – das war von vornherein klar gewesen – nicht als Weltrekord anerkannt, da die Schrittmac­her nicht immer Teil des Rennens waren, wie es vorgeschri­eben ist, sondern immer wieder ein- und ausgewechs­elt wurden. „Die letzten zwei Runden waren wir etwas hinter dem Zeitplan. Ich hoffe, das nächste Mal klappt es“, sagte Kipchoge. Es läuft ihm wirklich nichts davon – gut möglich, dass er am 24. September in Berlin rennen wird und sich danach Weltrekord­ler nennen darf.

„Ein lächerlich­es Zirkus- und Freakshowp­rojekt als Dauerwerbe­sendung für die Dümmsten“war „Breaking2“für den Wiener Leichtathl­etiktraine­r Wilhelm Lilge. „Eine Entwertung echter, ehrlicher sportliche­r Leistungen, die aber natürlich bestens zu unserem ,Zeitgeist‘ passt.“Die Leistung Kipchoges war auch für Lilge „herausrage­nd“, leider sei sie in dem Konnex „vergleichs­weise untergegan­gen“. Die Mehrheit der vielen Reaktionen auf Lilges FacebookEi­ntrag fiel zustimmend aus, nicht wenige Lauffreund­e allerdings sehen in dem Nike-Projekt nicht nur Nike-Werbung, sondern auch Werbung für den Sport.

Andreas Maier, oberster Kommunikat­or des Vienna City Marathon, hatte es ebenfalls via Facebook auf den Punkt gebracht. „Der Lauf in Monza hat sehr wenig mit einem Marathon zu tun. Er sollte auch nicht so bezeichnet werden“, schrieb Maier. Das Projekt sei „nur das Skelett eines Marathons. Aber das ,Fleisch‘ fehlt“. Das Fleisch seien Elitefeld und Massefeld, ein Wettkampf, Publikum, Regelwerk et cetera. In Monza ging es nur gegen die Uhr. „Auch das ist legitim“, meinte Maier.

Also wurst? Jawohl, das ist die Quintessen­z: Wurst. Mit Senf.

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Kipchoge (in Rot) wurde nicht bloß von einem Rudel gezogen, er ist auch selbst toll gelaufen. Dass kein Rekord fallen konnte, war ja klar.

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