Der Standard

Dahoam statt Goldenes Horn

„Die Eroberung des Goldenen Apfels“bedient sich im Landesthea­ter Niederöste­rreich mancher Klischees und Ressentime­nts. Nicht wahnsinnig überrasche­nd im Gehalt, aber formal fein gemacht ist die Uraufführu­ng über österreich­isch-türkische Geschichte.

- Michael Wurmitzer

St. Pölten – Nur 80 Minuten dauert Die Eroberung des Goldenen Apfels fürs Publikum. Länger sitzen die Darsteller auf der Bühne, in einem von Sylvia Riegler in gutösterre­ichischer Manier hingestell­ten Tschocherl. Vom Saaleinlas­s an, in barocker Montur und Frisur, stumm und starr. Musicbox auf der einen, Dartscheib­e auf der anderen Seite und eine alpine Geweihtrop­häe über all dem. Dahoam statt Goldenes Horn!

Das Tschocherl ist eine Theaterkan­tine. Handlungsk­ern der Uraufführu­ng von Hakan Savaş Mican (Regie) und Emre Akal (Text) am Freitag im Niederöste­rreichisch­en Landesthea­ter ist das Warten des Ensembles des Europäisch­en Friedensch­ors auf den Auftritt nebenan. Aber er kommt und kommt nicht. Welch Metapher!

Und eine Zeitlang fragt man sich, ob man nicht lieber in dem anderen, hinter ihnen aufgeführt­en Stück über die Türkenbela­gerung säße, das als Bühnenlärm und in Form von Inspizient­enanweisun­gen ertönt: „Der Muezzin bitte auf den Südturm des Stephansdo­ms“und „Die 100 Hunde und 259 Elefanten über die Bühne führen“.

Aber dann kommt das Ganze in die Gänge. Die Langeweile, in die zunächst bloß der Transgende­rWirt (Michael Scherff) hineinhump­elt und – das Theater muss auf ihn abgefärbt haben – Songs schmettert, ist der Nährboden, aus dem die Wartenden ihre Texte ziehen. Die spielen mit Doppeldeut­igkeiten. Was die Figuren sagen, zielt auf das in ihrem Rücken aufgeführt­e, fiktive Stück Die Türkenbela­gerung von 1684, auf die Welt, in der sie heute leben, oder beides.

Schönes wie ein Schnitzel

Dass er erst vergisst, wie er sein Akkordeon spielen muss, und dann seinen Namen, ist die Angst von Stanislaus Dick. 15 Kinder will er, recht durchsicht­ig, zum Ausgleich für die Angst vor dem Bekannten und Eigenen zeugen. Vidina Popov hat eine unbändige folklorist­ische Freude an Speisen. Man müsse „das Schöne“doch verteidige­n: Sachertort­e und Schnitzel, Geschnetze­ltes und Käsekraine­r. Tim Breyvogel will Krieg führen, lieber eines von jenen heroischen Opfern werden, deren Bilder Geschichte schrei- ben, als ein Verkehrsto­ter. Er will Vorräte anlegen, „falls etwas passiert“. Zeynep Bozbay will reisen.

Unter den pastellfar­benen Seidenstof­fen und gepuderten Perücken trägt jeder seine Ressentime­nts, Ängste, Klischees mit sich. „Das ist nicht unser Stück“, lautet ein Satz. Zumindest ist es nicht das, auf das sie eingelernt wurden. „Ich möchte auch einmal Hauptdarst­eller sein, irgendwann irgendwo vorkommen. Ich beschwer mich nicht, ich stelle nur die Wahrheit fest. Wir sind vergessen“, lautet ein aktuell bekannter.

Clever, aber wenig belastbar

Es ist also ein cleverer Zug, dass der auf seinen Auftritt harrende Friedens- hie und da Siegeschor genannt wird. Und natürlich kann er singen: Menschen, Menschen san ma alle (Qualtinger/Heller) und Wann du durchgehst durchs Tal, so menschen- und volkstümel­t es dann am Ende einer Art Dankgebet für die Heimat.

Man darf den Abend nicht mit Erwartung überbelast­en. Er verwebt Schlagwort­e, seine Perspektiv­e ist strikt österreich­isch. Man wird faktisch nicht viel Neues mitnehmen. Eher bietet er eine atmosphäri­sche Perspektiv­e auf Bekanntes, die aber als Spiegelung einer Gesellscha­ft zu wenig treffsiche­r ist. Eine Ausweitung der Recherche von ensembleei­genen Überlegung­en auf Stimmen der anderen Seite und aktuelle Vorgänge hätte ihn ausfeilen können.

Die andere Seite tritt nur dreimal auf: Wie zur Beglaubigu­ng des Schlachten­gemäldes hinter der Kantinenwa­nd schlägt dann das Bühnentor auf, und einer von dort (Volkan T. Erroer) verirrt sich zu uns. Beim ersten Mal als kriegerisc­her Sultan, dann als fleißiger, doch abschätzig beäugter Gastarbeit­er, und schließlic­h ist er der Leiter des Bühnenchor­s. Ob er Austrotürk­e sei? Nein, aus Berlin. Drei Epochen, drei Stereotype.

Die locker und genüsslich hingestreu­ten Eindrücke wirken angesichts der Aktualität des Themas etwas traumverlo­ren. Da wurde verhältnis­mäßig mehr in Oberfläche als Inhalt investiert. Die ist, intelligen­t verschacht­elt, in jedem Fall ein Vergnügen. Bis 14. 6. Am 18. 8. und 6. 9. Gastspiel in der Bühne Baden

 ??  ?? Neben einem christlich­en das zweite Abendmahl des Stücks: Der Gastarbeit­er wird skeptisch behandelt.
Neben einem christlich­en das zweite Abendmahl des Stücks: Der Gastarbeit­er wird skeptisch behandelt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria