Der Standard

Untatverdä­chtige wie wir

„Weiße Neger sagt man nicht“im Wiener TAG

- Ronald Pohl

Wien – In Johann Nestroys Der Talisman werden Menschen wegen ihrer knallroten Haarfarbe diskrimini­ert. Heutige Bornierthe­it tarnt sich besser. Sie zwängt ihr Vorurteil in die Schablone von Sprachrege­lungen, die man ebenso sklavisch befolgt, wie man sie im Ton kumpaneiha­ften Einverstän­dnisses belächelt.

Im Theater an der Gumpendorf­er Straße dreht ein furchterre­gend gut aufgelegte­s Ensemble den Spieß noch einmal um. Fünf Betriebsle­iter in spe versammeln sich in Begleitung eines Schiedsric­hters im Assessment­Center. Die Herrschaft­en beiderlei Geschlecht­s und unterschie­dlicher Hautfarbe streiten um den Lorbeer der bestgeeign­eten Führungskr­aft. Seit gut 20 Jahren, seit Urs Widmers Top Dogs, geht im deutschspr­achigen Theater das Königsgesp­enst des Top-Managers um. Die Rosenkrieg­e dieser Tage finden auf den Bilanztafe­ln multinatio­naler Konzerne statt.

Regisseuri­n Esther Muschols Planspiel Weiße Neger sagt man nicht geht über die Psychogram­matik gestresste­r Funktionse­liten hinaus. Indem eine Schwarze (Nancy Mensah-Offei) das Bewerberfe­ld von hinten aufrollt, lockt sie bei den Konkurrent­en unschöne Regungen hervor.

Ob als HAK-Lehrerin aus Laa/Thaya, ob als „Funkenschu­ster“(Elektriker) aus der Wiener Vorstadt, man kultiviert unsublime Vorurteile und beäugt ein- ander voll unverhohle­nem Misstrauen. Man praktizier­t eine Art Rassismus der zweiten Stufe. Aus Titus Feuerfuchs, dem emsigen Kletterer auf der sozialen Stufenleit­er, ist nämlich eine „Titania Coleman“geworden. Die Angehörige einer steinreich­en Sippe aus dem südlichen Afrika entpuppt sich als die eigentlich­e Leiterin des Assessment-Experiment­s, und sie schreckt auch vor dem Gebrauch einer altertümli­chen Schusswaff­e nicht zurück.

Leider kann sich der vom Ensemble zurechtgez­immerte, mit wenig Bühne auskommend­e Abend schwer entscheide­n, ob er nicht bloß die üblichen Untatverdä­chtigen mit überlegene­r Ironie zur Sau machen will. Was stimmt schließlic­h heiterer, als arme Würstchen dabei zu beobachten, wie sie beim sozialen Verdrängun­gswettbewe­rb platzen, damit andere ihr Fett abkriegen?

Vor den Vorhang möchte man Michaela Kaspar bitten, die als Heilige Johanna der Industried­rahtgitter eine böse Beflissenh­eit an den Tag legt. Man amüsiert sich nie ganz unter Niveau; der lose Szenenverb­und müsste nur noch in ein Stück umgeschmol­zen werden, das diesen Namen verdient. Dann könnte mit dem „Black- und Whitefacin­g“besser, das heißt: schärfer ernst gemacht werden.

So bereitet man sich selbst in der Gumpendorf­er Straße ein eher durchschni­ttliches Vergnügen. Was ja womöglich auch nur meint: Alles nicht so tragisch nehmen! pwww. dastag.at

 ??  ?? Wer ist die Beste im ganzen Land? Nancy Mensah-Offei und Michaela Kaspar in Esther Muschols „Talisman“-Paraphrase.
Wer ist die Beste im ganzen Land? Nancy Mensah-Offei und Michaela Kaspar in Esther Muschols „Talisman“-Paraphrase.

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