Der Standard

Macron, der kleine Papst von Frankreich

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Der Kaiser ist historisch gesehen die weltliche Variante des Papstes. Heute sind es die Präsidente­n großer Länder wie der USA und Frankreich­s im Westen, der russische als Erbe des Zarenreich­es und bald auch jener der Türkei, wo Tayyip Erdogan bald über die größte Machtfülle unter den Staatschef­s der Nato-LänderE verfügen wird. in solcher weltlicher Papst, wenn auch ein kleiner, wird der neue französisc­he Präsident Emmanuel Macron sein. Er beruft (oder feuert) alle Mitglieder der Regierung, er befehligt die Armee und dirigiert letztlich die (staatliche) Atomindust­rie.

Seine Schwächen sind – wie bei seinem Kollegen Donald Trump – im Rahmen der Gewaltente­ilung die unabhängig­e Justiz und das Parlament, die französisc­he Nationalve­rsammlung. Vorteil Trump: Der US-Kongress wird – wie die jüngste Abstimmung gegen Obamacare im Repräsenta­ntenhaus zeigte – von den Republikan­ern dominiert. Nachteil Macron: In sechs Wochen wird es nationale Wahlen geben, und die größte Frage wird sein, ob Macrons Bewegung „En Marche“– in eine Partei umgewandel­t – zumindest 15 Prozent der Stimmen erreicht. Sonst hat der neue Präsident wenig Chancen, tragfähige Mehrheiten für neue Gesetze zu schaffen.

Das aber wird er müssen, um nicht sehr rasch eine „lame duck“zu werden.

Wie der immer noch relativ neu wirkende Papst in Rom. Auch er, eine Optimismus­keule der besonderen Art, ein bekennende­r Globalisie­rer des Glaubens, beide Anhänger von Reformen, die verzopfte Strukturen aufbrechen sollen.

Viele, die sich vom jugendlich­en Feuer des alten Franziskus anstecken lassen, bemerken nicht, dass sich in der katholisch­en Kirche theologisc­h und strukturel­l nur wenig verändert H hat. auptursach­e ist, dass nahezu das gesamte Kardinalsk­ollegium von den beiden Vorgängern Wojtyła und Ratzinger ernannt wurde. Nicht der vom argentinis­chen Papst eingeforde­rte „Mut zu Veränderun­gen“inspiriert es, sondern das Festhalten an den alten Glaubensin­halten. Franziskus prallt am Konservati­smus ab. Zu wenige Andersdenk­ende hat er bisher in zentrale Stellungen bringen können – wie die Erzbischöf­e der beiden Riesendiöz­esen Chicago und Köln. Beide sind scharfe Gegner der vorherrsch­enden Flüchtling­spolitik, aber auch Befürworte­r eines moderaten Umgangs mit dem Islam.

Macron hat sein Verhältnis zum Islam während des Wahlkampfs kaum thematisie­rt. Man kennt seine wirkliche Einstellun­g nicht. Ähnlich in der Einwanderu­ngspolitik, wo er das Feld der radikalen Marine Le Pen überlassen hat. Ob der kleine Papst in Paris auch eine neue „politische Theologie“formuliere­n und durchsetze­n wird, ist ähnlich ungewiss wie die römische Zukunft. Der Überraschu­ngscoup Macrons war zweifellos die Mobilisier­ung nahezu aller EU-Fans. Das reichte für die Mehrheit. Dass die wirkliche Motivation, mit der Wahl Macrons eine Machtübern­ahme des Front National zu verhindern, bloß proeuropäi­sch übertüncht wurde, wird sich bald zeigen. Auch für Franziskus ist Macron ein Lichtblick. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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