Frankreich: Macron siegt über Le Pen
Wählerbefragungen zeigten einen klaren Vorsprung für den moderaten Präsidentschaftskandidaten
– Bei der Stimmabgabe im mondänen französischen Badeort Le Touquet am Ärmelkanal ließ sich Emmanuel Macron bereits am Sonntagvormittag genussvoll als Sieger der Stichwahl gegen Marine Le Pen feiern. Tatsächlich hatten in den vergangenen zwei Wochen seit dem ersten Wahldurchgang alle Umfragen eine deutliche Sprache gesprochen: Der parteilose Mitte-Kandidat würde sich ziemlich locker gegen die Rechts-außen-Politikerin des Front National durchsetzen.
Diesen Trend untermauerten am Wahltag selbst auch sämtliche Wählerbefragungen, die in ausländischen französischsprachigen Medien am Sonntagnachmittag zu zirkulieren begannen. Schon Stunden vor Wahlschluss um 20 Uhr stand für sie fest: Macron wird Nachfolger von François Hollande im Pariser ÉlyséePalast. (red)
Nach einer turbulenten, äußerst angespannten Kampagne erlebte Frankreich am Sonntag dann einen ruhigen Wahltag ohne Überraschungen. Der Parteilose Mitte-Kandidat Emmanuel Macron erhielt laut Wählerbefragungen mehr als 60 Prozent der Stimmen, die Rechtsnationalistin Marine Le Pen weniger als 40 Prozent. Das entsprach auch den den Prognosen der Pariser Umfrageinstitute über die zwei vergangenen Wochen.
In den ersten Reaktionen in Frankreich, aber auch weit darüber hinaus, kam die allgemeine Erleichterung über die Niederlage Le Pens zum Ausdruck. Erst an zweiter Stelle genannt wurde der Erfolg des Proeuropäers Macron – obwohl der erst 39-jährige Politnovize ein völliges Novum für Frankreich darstellt. Seine Wahl dürfte der Pariser Politik eine Frischzellenkur verpassen. Auch bei den Parlamentswahlen im Juni will seine Bewegung „En Marche“mit vorwiegend neuen Gesichtern antreten. Im Élysée-Palast, aber auch im Regierungssitz des Hôtel Matignon und in der Nationalversammlung steht damit eine grundlegende Erneuerung an.
Macron wollte seinen Wahlsieg am späten Sonntagabend im Innenhof des Louvre-Museums feiern. Große Sicherheitsvorkehrungen gingen dem erwarteten Volksauflauf voraus. Nach dem Terroranschlag auf den ChampsÉlysées vor dem ersten Wahlgang hatte die Polizei auch vor der Stichwahl einen Verdächtigen bei einer Militärbasis westlich von Paris verhaftet. Pariser Kommentatoren sahen in der Louvre-Pyramide, die Macrons Wahlfeier diente, ein Symbol für den Willen zur Erneuerung einer alten Nation. Leitartikler Laurent Joffrin mahnte allerdings, die Pyramide sei aus Glas – Zeichen eines „schönen, aber fragilen Wahlsiegs“.
Marine Le Pen äußerte sich vorerst nicht zu ihrer Niederlage. Die Kandidatin des Front National erzielte auch für eigene Maßstäbe kein Spitzenergebnis, wenn man es an den in sie gesetzten Erwartungen misst. Die Zunahme der Stimmen im Vergleich zu früheren Präsidentschaftswahlen ist dennoch spektakulär: In der Stichwahl 2002 hatte ihr Vater Jean-Marie Le Pen 5,5 Millionen Stimmen erzielt; jetzt kommt seine Tochter Marine wohl auf das Doppelte. Allein darin zeigt sich, wie stark die Rechtspopulisten in Frankreich geworden sind; seit den Regionalwahlen von 2015 ist der Front National (FN) sogar die stärkste Partei Frankreichs.
Nach einer leichten Enttäuschung im ersten Wahlgang erlebte Marine Le Pen auch im zweiten Durchgang einen Dämpfer. Laut den Umfragen der vergangenen zwei Wochen konnte sie teilweise mit mehr als 40 Prozent Stimmen rechnen. In den ersten Tagen nach der Qualifikationsrunde hatte sie Macron, den unerfahrenen Politnovizen, sogar noch vorgeführt.
Die Nerven hielten nicht
Doch die Nerven hielten nicht bis zum Schluss: Im entscheidenden TV-Duell trat sie zu aggressiv auf; und auch die angeblich russische Hackerattacke auf Macrons Wahlkampfteam dürfte eher ihr geschadet haben, da sich viele Franzosen solche Manipulationsversuche von außen verbieten.
Am Sonntag musste die unterlegene Kandidatin dann auch von ihrem eigenen Vater Kritik einstecken: „Sie hat Charakter, daran fehlt es ihr nicht“, sagte der von ihr aus der Partei geworfene FNGründer. Aber man braucht auch andere Qualitäten.“Der Personenund Kursstreit dürfte deshalb in de Partei weitergehen.
Frankreich hat also Neuland betreten. Der erst 39-jährige Präsident entspricht so gar nicht dem bisherigen Bild eines gesetzten, von einer Großpartei unterstützten Staatspräsidenten. Macron stützt sich „nur“auf eine erst vor einem Jahr per Internet lancierte Bewegung namens „En Marche“(„In Bewegung“). Noch ist völlig offen, ob sie überhaupt in der Lage ist, dem neuen Präsidenten eine Regierungsmehrheit zu verschaffen.
Die große Frage ist, ob die Franzosen im Juni bei der Wahl der Nationalversammlung (Parlament) Macron tatsächlich eine Mehrheit mit auf seinen Weg geben werden, damit er seine Wahlversprechen auch umsetzen kann. Traditionell ist das der Fall. Doch jetzt ist nichts mehr wie früher: Neben den geschwächten Konservativen und den am Boden liegenden Sozialisten haben sich mit En Marche und Linksaußen Jean-Luc Mélenchon vier gleich große Blöcke gebildet – ein absolutes Novum.
pChat mit Historiker Wolfgang Schmale derStandard.at/Frankreich