Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer“
Müde der Provokationen und der Platzhalterrolle: Reinhold Mitterlehner nützte seinen Rücktritt als ÖVP-Chef und Vizekanzler für eine bitterironische Abrechnung mit den eigenen Reihen. Die Sprengkraft könnte über die Parteigrenze hinausreichen: Manches spr
Ein überhaps angesetzter Auftritt, eine an anonyme Adressaten gerichtete Abrechnung, ein Abgang ohne Antworten auf weitere Fragen: Die Geschichte wiederholt sich in der ÖVP. Vor knapp drei Jahren war Michael Spindelegger auf diese Weise als Parteichef und Vizekanzler abgetreten, und genauso verabschiedete sich nun der ebenso zermürbte Nachfolger Reinhold Mitterlehner – wenn auch mit einer Portion mehr Esprit als sein Vorgänger.
„Ich finde, es ist genug“, sagt der 61-jährige Oberösterreicher Mittwochmittag in der ÖVP-Zentrale – eine Erkenntnis, die am Vorabend vor dem Fernseher endgültig gereift sei. Da hat die ZiB 2 des ORF einen Beitrag über ihn mit dem Satz „Django, die Totengräber warten schon“anmoderiert. Dies sei der „letzte Mosaikstein“gewesen, erklärt Mitterlehner, der den Namen des Westernhelden aus seiner CV-Verbindung in die Politik mitgenommen hat ( siehe Porträt links). Im öffentlich-rechtlichen Leitmedium sei eine solche Metapher fehl am Platz: Django überlebe zwar immer, doch zum „Selbstschutz“, nicht zuletzt seiner Familie, habe er sich zum raschen Rücktritt entschlossen.
Der Provokation überdrüssig
Auslöser ist allerdings nicht gleich Ursache, und als diese nennt Mitterlehner klar die Zustände in der Koalition und den darin aneinandergeketteten Parteien. Auf der einen Seite die „Inszenierungen“à la Plan der SPÖ, auf der anderen die „Gegenreaktionen und wechselseitigen Provokationen“: Da „in der Mitte überzubleiben macht keinen Spaß, macht keinen Sinn mehr“.
Es fallen keine Namen der Schuldigen, doch die Anspielungen werden, als sich Mitterlehner warmredet, deutlicher. „Es ist unmöglich, einerseits Regierungsarbeit zu leis- ten und gleichzeitig Opposition zu sein“, stellt er fest – ein Satz wie maßgeschneidert auf Innenminister Wolfgang Sobotka, den Meister innerkoalitionärer Querschüsse.
Was sich der „Mann des Ausgleichs“(Eigeneinschätzung) überdies nicht bieten lassen wollte: „Ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf, bis jemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt, agiert.“Da darf sich nun Außenminister Sebastian Kurz angesprochen fühlen. Der schwarze Shootingstar wird seit Monaten als künftiger ÖVP-Chef gehandelt, winkte zuletzt aber mit dem Argument ab, dass die Partei im derzeitigen unreformierten Zustand nicht seinen Ansprüchen genüge.
Spitze Hinweise an Partei
Kollektiv an die Partei richtet der scheidende Chef den einen oder anderen ironisch verpackten Hinweis. Er sei der vierte Obmann in zehn Jahren, stellt Mitterlehner fest: Da könnte man unter Umständen auf die Idee kommen, dass ein strukturelles Problem vorliege. Eine sachdienliche Empfehlung „für alle, die dann noch in der Regierung tätig sind“, sei vielleicht auch, Regierungs- und Parteiarbeit künftig voneinander zu trennen. Und zum Abschied schließlich: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.“
Seine persönliche Trennung möchte Mitterlehner rasch abwickeln: Den Parteivorsitz will er mit der VP-Vorstandssitzung am Wochenende los sein, das Amt des Vizekanzlers, Wirtschafts- und Wissenschaftsministers am 15. Mai. Auch als Spitzenkandidat für die nächste Wahl trete er nicht an, sagt Mitterlehner – natürlich eine No-na-Aussage, die ihm aber wichtig sei: „Denn die Parteispitzen und der präsumtive Nachfolger wissen das monatelang.“
Mitterlehner verriet nicht, ob er damit Kurz meint; es blieb SPÖChef Christian Kern überlassen, diesen vorab zum schwarzen Spitzenmann auszurufen. Er biete Kurz an, eine Reformpartnerschaft einzugehen, sagte der Kanzler (siehe Seite 4) – was ÖVP-Generalsekretär Werner Amon als „unglaubwürdig“zurückwies: Die SPÖ setze doch nur auf Dauerinszenierung und Angriffe auf Kurz.
Ähnliches gaben, aller Mitterlehner-Kritik an den eigenen Reihen zum Trotz, viele Schwarze zum Besten. Ein Hinweis, dass der Abgang des Obmanns in Neuwahlen mündet? Sollte Kurz übernehmen, spricht aus ÖVP-Sicht manches für eine rasche Kraftprobe. Unreformierte Partei hin oder her: Derzeit steht der Außenminister in der öffentlichen Wahrnehmung noch über den unerfreulichen Dingen in der Koalition, mit jedem Monat Regierungsarbeit könnte sich das ändern.
Kurz abnützen lassen
Ähnliche Überlegungen grassierten nach Kerns Antritt in der SPÖ, doch zuletzt haben sich Neuwahlgelüste verflüchtigt. In den Umfragen zeige sich Aufwind, heißt es, warum nicht warten, bis sich Kurz im koalitionären Alltag aufreibt? Außerdem gibt es ein Handicap: Wiens Genossen sind in Flügelkämpfe um die Nachfolge von Bürgermeister Michael Häupl verstrickt – was sie im Wahlkampf paralysieren könnte.
Doch will Kurz überhaupt? Der Außenminister lässt das erst einmal offen – und übernimmt Mitterlehners Kritik, als wäre er bestimmt nicht gemeint gewesen: „Wenn er sagt, dass es so nicht weitergehen kann, weder in der ÖVP noch in der Regierung, dann hat er damit vollkommen recht.“