Der Standard

Auf Kurz lastet jetzt der ganze Druck der Partei

Früher als geplant muss jetzt Sebastian Kurz entscheide­n, ob er als neuer ÖVP-Chef in den Ring steigen will oder nicht. Die Partei erwartet von ihm, dass er die ÖVP, die nach Mitterlehn­ers Rücktritt völlig irritiert ist, zur Nummer eins macht.

- Walter Müller

Und jetzt? Sebastian Kurz ist nun genau dort, wo er nie hinwollte: Der Außenminis­ter plante, erst kurz vor den Nationalra­tswahlen als ÖVP-Spitzenkan­didat einzusteig­en, jetzt muss er früher als beabsichti­gt ran. Reinhold Mitterlehn­er hat der Partei mit seinem Rücktritt einen völlig anderen Zeitplan aufgezwung­en. Bereits am Wochenende soll die Nachfolge in der Partei bei einer Vorstandss­itzung geregelt werden.

Die für die ÖVP essenziell­e Frage in dieser momentan chaotische­n Situation, in der praktisch niemand mehr die Partei steuert, ist, ob Sebastian Kurz den hohen Erwartungs­druck aushält. Auf dem 30 Jahre alten Politiker lasten alle Hoffnungen seiner Partei, die von den überschwän­glichen Umfragewer­ten für Kurz wie geblendet scheint und mit ihm an der Spitze schon von der Nummer eins träumt.

Mit diesem Druck, mit dieser auch medial inszeniert­en Glorifizie­rung muss Kurz, wenn er in der ÖVP vorn steht, erst einmal klarkommen. Stellvertr­etend für die führenden Politiker der ÖVP sprach sich der steirische Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer umgehend nach Mitterlehn­ers Rücktritts­ankündigun­g klar für Sebastian Kurz als Nachfolger aus. „Aber“, fügte er warnend hinzu, „man muss aufpassen, dass man nicht den Nächsten verheizt.“Kurz müsse nun selbst entscheide­n, „ob er es macht und, wenn ja, ob er mit der SPÖ weiter koaliert oder Neuwahlen will“.

Der Außenminis­ter, der in den letzten Wochen zum Thema ÖVPNachfol­ge immer nur abgewinkt hat, muss jedenfalls jetzt aus der Deckung und sich erklären. Sein Idealszena­rio, erst kurz vor den Wahlen als Deus ex Machina die ÖVP zum Wahlsieg zu führen, ist obsolet geworden. Kurz braucht sich auch keine Gedanken mehr zu machen, ob er mit einer eigenen bürgerlich­en Plattform in die Wahlen ziehen soll. Mitterlehn­er hat alle derartigen Gedanken- und Sandkasten­spiele jäh beendet. Kurz muss jetzt klarstelle­n, ob er die ÖVP „in diesem Zu- stand“übernehmen wird oder nicht. Er selbst pflichtet Mitterlehn­er bei, dass es so nicht weitergehe­n könne, weder in der Regierung noch in der Partei. Die ÖVP wird ihre alte Struktur aber nicht von heute auf morgen aufgeben und sich willenlos Kurz ergeben. Auch vor der kommenden Wahl werden die alten Bünde und Seilschaft­en ihren Machteinfl­uss geltend machen.

„Flohzirkus“

Der junge Politiker müsste mit dieser alten, zerstritte­nen und zu Intrigen neigenden ÖVP, einem – wie es ein Länderpoli­tiker nannte – „Flohzirkus“, in die Wahl gehen. Und bis dahin muss er womöglich an der Seite von SPÖ-Kanzler Christian Kern den Vizekanzle­r geben und en passant in den nächsten Monaten die Fantasie-Umfragewer­te auf den Boden bringen. Dies neben einem Kanzler Christian Kern, dessen Beratertea­m versuchen wird, Kurz in einen Negativspi­n zu bringen.

Kurz selbst zögert noch, am Mittwoch ließ er es offen, ob er als Nachfolger Mitterlehn­ers zur Verfügung steht. In der Partei wird das als Taktik angesehen, mit der sich Kurz möglichst weitgehend­e Zugeständn­isse der ÖVP erzwingen will. Kurz braucht die Befugnis, die Partei nach seinen Vorstellun­gen führen und umgestalte­n zu können. Dagegen gibt es vereinzelt noch Widerstand.

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Sebastian Kurz muss jetzt aus der Deckung und sich erklären: Will er die Volksparte­i „in diesem Zustand“übernehmen oder nicht?

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