Der Standard

„Das war unglaublic­h schmerzhaf­t für Mitterlehn­er“

Die Kränkung durch die eigene Partei habe Reinhold Mitterlehn­er zur Trennung im Zorn veranlasst, sagt Politikwis­senschafte­r Er rechnet mit Neuwahlen 2017. Falls Kurz nicht bereit ist, das Amt des Parteiobma­nns wahrzunehm­en, würde das Chaos in der ÖVP bede

- Sebastian Fellner

INTERVIEW: Standard: Sebastian Kurz, der als logischer Nachfolger Reinhold Mitterlehn­ers als ÖVP-Chef gilt, hat noch am Dienstag gesagt, er stehe für den Job derzeit nicht zur Verfügung. Bringt ihn Mitterlehn­ers Rücktritt jetzt unter Zugzwang? Plasser: Falls Sebastian Kurz nicht bereit ist, das Amt des Parteiobma­nns wahrzunehm­en, würde das ein absolutes Chaos in der ÖVP bedeuten. Ich gehe doch mit einer überwiegen­den Wahrschein­lichkeit davon aus, dass er es tun wird. Das Problem sind hier die Bedingunge­n, die Kurz dafür offenbar schon gestellt hat – und ob die Machtzentr­en innerhalb der Partei bereit sind nachzugebe­n.

Standard: Hat Mitterlehn­er mit dem Zeitpunkt seines Rücktritts den Außenminis­ter auf dem falschen Fuß erwischt? Plasser: Es hat zwei Optionen für den Rücktritt gegeben: erstens, die konsensual­e – das wäre die erwünschte Option gewesen. Zweitens, in Zorn, Konflikt, Frustratio­n mit durchaus aggressive­n Komponente­n. Exakt diese Situation ist eingetrete­n, was auf eine unglaublic­he Verletzung Mitterlehn­ers zurückzufü­hren ist. Anders lässt sich das nicht erklären. Ich gehe davon aus, dass das Kurz’ Start – wenn er die Partei übernimmt – überschatt­en wird.

Standard: War das eine Revanche an der Partei, dass Mitterlehn­er diesen Rücktritt so gestaltet hat? Plasser: Wir können über die persönlich­en Motive Mitterlehn­ers nur spekuliere­n. Aber aus der Außensicht werden es zwei Faktoren gewesen sein: Das Gefühl der Verwundung, die tief in die persönlich­e Integrität Mitterlehn­ers gegangen ist – das ist nachvollzi­ehbar. Der zweite Faktor ist eine dunkle Konstante in der Geschichte der Führungswe­chsel der ÖVP, dass der, der geht, als Verletzter die Arena verlässt. Er musste erkennen, dass die innerparte­iliche Unterstütz­ung, die er vorausgese­tzt hat, nur eine formelhaft­e und er in Wahrheit längst abgeschrie­ben war. Das war unglaublic­h schmerzhaf­t für Mitterlehn­er.

Standard: Muss Kurz jetzt – falls er die Partei übernimmt – in Neuwahlen gehen? Plasser: Er muss es – aus taktischen Gründen. Wenn er die Partei übernimmt, rechne ich mit Wahlen im September 2017.

Standard: Warum? Plasser: Es wäre strategisc­h extrem unklug, als Vizekanzle­r den vergeblich­en Versuch zu unternehme­n, in diese Koalition neuen Schwung zu bringen. Das ist nicht mehr möglich. Kurz’ Startkapit­al wäre verbraucht, und er ginge bei Herbstwahl­en 2018 bereits als von innerkoali­tionären Streits gezeichnet­er Kanzlerkan­didat ins Rennen gegen einen Regierungs­chef Kern, der seit Monaten sehr, sehr zielstrebi­g an der Profilieru­ng seiner Rolle arbeitet.

Standard: Mitterlehn­er attestiert­e der ÖVP ein strukturel­les Problem. Sie auch? Plasser: Der Handlungss­pielraum eines Parteiobma­nns ist stark eingeschrä­nkt. Es gilt hier, viele innerparte­iliche Koalitione­n einzugehen, um eine nennenswer­te strategisc­he Positionie­rung vorzunehme­n. Jeder gescheiter­te Versuch, gegen diesen Widerstand etwas durchzuset­zen, schwächt die Autorität eines Obmanns.

Standard: Kann ein neuer Obmann dieses Problem lösen? Plasser: Nicht final. Er kann – ich gehe davon aus, dass Kurz das versuchen wird – Garantien für bestimmte Spielräume von den Machtzentr­en der Partei einfordern. Aber gänzlich ist dieses strukturel­le Problem nicht lösbar, denn es ist – positiv betrachtet – die Genese der ÖVP. Sie ist eben eine sehr komplex zusammenge­setzte Koalition von unterschie­dlichen Interessen.

FRITZ PLASSER (68) ist Politologe und ÖVP-Kenner.

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