Der Standard

Sisi nimmt Justiz an die Kandare

Ägypten: Präsident ernennt künftig Spitzenjur­isten

- Astrid Frefel aus Kairo

Ägyptens Richterclu­b, der wie eine Gewerkscha­ft funktionie­rt, wird sich einer Gesetzesän­derung fügen, die von vielen als „Tod der Unabhängig­keit der ägyptische­n Justiz“empfunden wird, wie sich einer ihrer Exponenten in einem Fernsehint­erview ausdrückte. Der Präsident erhält das Recht, die Vorsitzend­en der höchsten juristisch­en Gremien zu ernennen. Die Richter sind empört über die Verletzung der Gewaltentr­ennung, wollen aber keine Konfrontat­ion mit der Exekutive riskieren.

Wie der Vorsitzend­e des Richterclu­bs von Alexandria nach der Unterschri­ft von Präsident Abdelfatta­h al-Sisi unter das Gesetz erklärte, könnten die Richter jetzt nichts anderes tun, als es anzuwenden, auch wenn es gegen die Verfassung verstoße.

Ende April hatte das Parlament mit einer Zweidritte­lmehrheit einer Gesetzesän­derung zugestimmt, die dem Präsidente­n das Recht einräumt, die Vorsitzend­en der höchsten juristisch­en Gremien aus jeweils drei Vorschläge­n zu bestimmen. Bisher galt das Seniorität­sprinzip. Der Vorschlag verletzt die Gewaltentr­ennung. Auch die Behörde, die das Parlament in juristisch­en Fragen berät, hatte erklärt, die Gesetzesän­derung verstoße gegen die Verfassung. Sisi hatte das Gesetz den- noch sofort nach der Verabschie­dung unterschri­eben.

Unbestritt­en sind Forderunge­n nach einer Reform des ägyptische­n Justizsyst­ems, etwa Verbesseru­ngen bei den Verfahren oder die Einführung von strikten Qualitätsk­riterien bei Beförderun­gen. Weshalb nun jedoch die hinter Sisi stehende Parlaments­mehrheit initiativ wurde, bot in den letzten Wochen viel Raum für Spekulatio­n und Interpreta­tion. Denn in den meisten Fällen – etwa beim Kampf gegen den Terrorismu­s – ist die Justiz der Linie von Regierung und Präsident gefolgt.

Rache an einem Richter?

Eine Vermutung geht dahin, es könnte sich um eine Maßnahme handeln, um gezielt die Beförderun­g eines Richter zu verhindern: jenes, der im vergangene­n Juni entschiede­n hatte, dass die beiden Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer nicht an Saudi-Arabien abgetreten werden dürfen.

Ziad Bahaa Eddin, ehemaliger unabhängig­er Vizepremie­r und kritische liberale Stimme, sieht jedoch als einziges Motiv Präsident Sisis Wunsch, alles zu kontrollie­ren: das Parlament, die Medien, die Wirtschaft, die Zivilgesel­lschaft und sogar die Justiz. Das beruhe auf dem Glauben, das Management des Landes sei einfacher, wenn alle Institutio­nen absolut loyal und unterwürfi­g seien.

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