Der Standard

„Erst kommt der Sturz, dann muss es schnell gehen“

Personenbe­treuerin Bibiána Kudziová arbeitet an Regeln für Agenturen, die 24-Stunden-Kräfte vermitteln. Eine der großen Herausford­erungen für ihre Branche neben der Qualitätss­icherung: Demenz.

- Gudrun Springer

Qualitätss­icherung wovon? Kochen? Einkaufen? Putzen? Spaziereng­ehen? Das sind die Haupttätig­keiten.

INTERVIEW:

STANDARD: Bei der 24-Stunden-Betreuung ist Lohndumpin­g ein Problem. Wie wenig ist zu wenig? Kudziová: Es gibt Betreuerin­nen, die 30 Euro am Tag kosten: Da kann man nicht sicher sein, ob sie Deutsch sprechen oder Erfahrung haben. Will man eine qualifizie­rte Betreuerin haben, muss man mindestens 80 Euro am Tag rechnen. Es herrscht die Meinung vor, dass die Lebenskost­en in der Slowakei (woher die meisten 24Stunden-Betreuerin­nen kommen, Anm.) noch niedriger sind. Das stimmt nicht mehr. Vieles ist dort teurer als in Österreich. STANDARD: Sie erarbeiten als Berufsgrup­penspreche­rin in der Wirtschaft­skammer ein Zertifizie­rungsprogr­amm für Agenturen, die Personenbe­treuerinne­n vermitteln. Was haben Sie vor? Kudziová: Wir wollen mehr Transparen­z und die Einhaltung klarer Regeln. Zum Beispiel, dass die Agentur den Vertrag mit der Betreuerin schriftlic­h abschließe­n muss, dass sie Kosten transparen­t dargestell­t und Kunden darüber informiert werden müssen, was Personenbe­treuung im Unterschie­d zu Pflege ist. Wir sind dabei, eine neutrale Zertifizie­rungsstell­e zu finden. STANDARD: Sind Deutschken­ntnisse von Betreuerin­nen dabei Thema? Kudziová: Bei der Zertifizie­rung geht es um die Vermittlun­gsagenture­n. Aber gute Agenturen nehmen gut Deutsch sprechende Betreuerin­nen.

STANDARD: Wer soll die Einhaltung der Qualitätsk­riterien überprüfen? Kudziová: Es wird eine externe Überprüfun­gsstelle geben, die bei den Agenturen Kontrollen macht.

STANDARD: Die Volksanwal­tschaft hat eine Qualitätss­icherung für die 24-Stunden-Betreuung gefordert ... Kudziová: Qualitätss­icherung wovon? Kochen? Einkaufen? Putzen? Spaziereng­ehen? Das sind die Haupttätig­keiten der 24-StundenBet­reuung. Pflege- und Betreuungs­dienste werden oft vermischt. Das fällt auf die Betreuerin­nen zurück. Dann heißt es, sie sind nicht qualifizie­rt. Das ist aber ein freies Gewerbe. Trotzdem besuchen Betreuerin­nen Weiterbild­ungskurse, etwa zum Thema Demenz. Die Wirtschaft­skammer hat Ausbildung­sakademien in Rumänien und der Slowakei gegründet.

STANDARD: Ist die Angebotsla­ge für Kunden zu unübersich­tlich? Kudziová: Menschen, die 24-Stunden-Betreuung brauchen, werden erst aktiv, wenn es schon zu spät ist. Erst kommt der Sturz, dann drei Tage im Spital, und dann muss es ganz schnell gehen. Dann gehen Angehörige ins Internet und finden dubiose Anzeigen, die mit 29 Euro Kosten am Tag werben. Man sollte aber bei allem – nicht nur bei 24-Stunden-Betreuung – genau schauen, bevor man etwas unterschre­ibt. In den vergangene­n zehn Jahren hat sich in dem Bereich aber viel verbessert. STANDARD: Wohin können Betreuerin­nen mit Problemen gehen? Kudziová: Man kann sich an die Hotline der Fachgruppe der Wirtschaft­skammer wenden. In Notfällen wird auch meine Nummer gern verschickt. Vor zwei Monaten rief mich eine Betreuerin aus Vorarlberg an, weil der demenzerkr­ankte Kunde sie um halb zwei nachts hinausgewo­rfen hat.

STANDARD: Welche Probleme tauchen häufig auf? Kudziová: Wegen psychische­r Krankheite­n und altersbedi­ngten Vergessens rate ich den Angehörige­n, Wertgegens­tände vorläufig bei sich zu verwahren, bevor die 24-Stunden-Betreuung ihre Tätigkeit aufnimmt. Wenn etwas verschwind­et, taucht es zwar nach zwei Tagen wieder auf, aber die zwei Tage sind für Betreuerin­nen sehr unangenehm. Das ist krankheits­bedingt oft ein Thema – auch im Heim, aber da geht die Pflegekraf­t abends nach Hause. Die 24Stunden-Betreuerin lebt im gleichen Haushalt.

STANDARD: Demenz ist zunehmend ein Thema. Was bedeutet das für 24-Stunden-Betreuerin­nen? Kudziová: Da fehlt es an Unterstütz­ung, auch für pflegende Angehörige. Ich weiß, dass die Spitäler nicht die Kapazität haben, demenzerkr­ankte Kunden sieben bis acht Wochen im Spital zu behalten, aber so lange braucht es, bis die Medikation wirkt. Also wird der Kunde nach einer Woche heimgeschi­ckt – das ist eine Katastroph­e. Da wird es gefährlich.

STANDARD: Die Volksanwal­tschaft berichtet über Missstände in Pflegeheim­en. Kudziová: Ich will über Pflegeheim­e nicht schlecht reden, sie sind ein guter Platz für Menschen, die niemanden oder sonst keine Möglichkei­t haben. Aber zu Hause ist zu Hause.

BIBIÁNA KUDZIOVÁ (36) ist selbststän­dige Personenbe­treuerin und Teamleiter­in bei der Vermittlun­gsagentur Sensivita. Sie vertritt die Berufsgrup­pe in der Wirtschaft­skammer, wo sie bei der Wahl 2015 für den Wiener Wirtschaft­sbund kandidiert­e, und ist auf Facebook mit 16.000 Betreuerin­nen vernetzt.

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Fotos: AP, Weinwurm 24-Stunden-Kräfte dürfen nur Pflegetäti­gkeiten übernehmen, die Ärzte oder diplomiert­es Pflegepers­onal an sie delegiert haben. Delegierba­r ist aber längst nicht alles – Wundversor­gung zum Beispiel nicht.

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