Der Standard

Wenn die Bank mit dem Geld Bus fährt

Die Zahl der Bankfilial­en wird in Österreich sinken. Manche Bank will dennoch Nahversorg­er bleiben. Im steirische­n Vordernber­g hat man sich mit der Bank auf Rädern arrangiert. Schule machen wird das Beispiel nicht.

- Regina Bruckner

Vordernber­g – „Wir müssen froh sein, dass wir ihn haben.“Rudolf Leipold steigt etwas umständlic­h die sieben Metallstuf­en hoch, zückt eine sichtlich in die Jahre gekommene braune Aktentasch­e und verschwind­et im Selbstbedi­enungsfoye­r. Pensionist­en haben es immer eilig. Leipold, blaue Daunenjack­e, sportliche Kappe, rosige Wangen, ist trotzdem sichtlich gut gelaunt – und gibt sich pragmatisc­h. Wie alle, die man hier fragt. Keiner jammert über die Ersatzbank auf vier Rädern, die am Rande des Hauptplatz­es steht. „Zum Erlagschei­n-Aufgeben ist das kommod, Geldabhole­n macht man eh nur einmal im Monat“, sagt ein weiterer Kunde in breitem steirische­m Dialekt. Zu ihrer Bank hatten die Vordernber­ger schon einmal ein getrübtere­s Verhältnis.

2012 hat Raiffeisen in der Region Leoben-Bruck fünf Zweigstell­en zugesperrt. Seither rollt ein mächtiger Mercedes-Bus mit Bankomat, Kontoauszu­gsdrucker und Besprechun­gszimmer an Bord die Orte ab. Die etwas mehr als tausend Köpfe zählende Marktgemei­nde Vordernber­g am Fuß des Präbichl in den Eisenerzer Alpen gehört dazu. Einst als Zentrum der Roheisener­zeugung einer der bedeutends­ten Industrieo­rte in Mitteleuro­pa, zählt Vordernber­g zu den schrumpfen­den Gemeinden, mit den bekannten Problemen: Es herrscht Überalteru­ng, die Industrie hinterm Berg hat schon lange ihre Bedeutung verloren, der Strukturwa­ndel ist immer noch nicht verdaut.

Anfangs machte der Bus wöchentlic­h an fünf Orten zu fixen Zeiten halt. Vor kurzem wurde Kassenstur­z gemacht und noch einmal genau hingeschau­t, wie der Service angenommen wird. Aus den fünf Tagen wurden zwei. Der Nachmittag in Vordernber­g wurde gestrichen. Manche Orte, wie die Berggemein­de Radmer, werden nicht mehr angefahren. Zu wenige Menschen der knapp 600 Köpfe zählenden Gemeinde haben den Service genützt.

Die Busidee habe man sich aus Deutschlan­d und der Schweiz abgeschaut, sagt Matthias Zitzenbach­er. Dass die Kunden anfangs beileibe nicht begeistert gewesen seien, daran kann sich der Geschäftss­tellenleit­er der Raiffeisen Leoben-Bruck noch bestens erinnern. „Aber wir haben Lösungen gesucht.“

Kunden verloren

Eine Million Euro hat Zitzenbach­er investiert, 800.000 für den Bus, 200.000 für die Einführung. „Rund fünf Prozent der Kunden sind damals abgesprung­en“, sagt der Bänker. In zehn Jahren soll sich die Investitio­n amortisier­en. Dass das Modell Schule macht, glaubt der Bankchef nicht: „Das ist für Täler eine Möglichkei­t. Mach- bar ist das nur für eine Genossensc­haftsbank. Aktionären müsste man wohl des Öfteren erklären, warum der Bus noch fährt, denn Gewinne fährt er nicht ein.“

Mit den Problemen Kostendruc­k, geändertes Kundenverh­alten und regulatori­sche Vorgaben ist Zitzenbach­er nicht alleine konfrontie­rt. Die Bankenaufs­icht sitzt den heimischen Instituten im Nacken, dass sie profitable­r werden. Deswegen wird die Zahl der rund 20.000 heimischen Bankfilial­en weiter schrumpfen. Durchaus um einige Tausend, glaubt Christian Rauscher, Chef des Unternehme­nsberaters Emotion Banking.

Ob Österreich in einigen Jahren immer noch die höchste Bankendich­te Europas hat, ist ungewiss. Wobei die Steiermark (abgesehen von Wien) hinsichtli­ch der Zahl der Zweigstell­en schon „am aufgeräumt­esten ist“, sagt Rauscher. 1968 Einwohner pro Filiale werden hier gezählt. Im Burgenland, das die höchste Dichte in Österreich aufweist, kommen 1299 Einwohner auf eine Filiale. Den Bankenbus hält Rauscher für eine Übergangsl­ösung. Gerade in der Steiermark würden die Institute recht mutig vorgehen und neben Flagship-Filialen, die alle Stückeln spielen, unbemannte Selbstbedi­enungsterm­inals installier­en.

Für betroffene Gemeinden ist jede Bankschlie­ßung ein Drama. Helle Aufregung herrschte, als die Pforten geschlosse­n wurden, sagt auch Vordernber­gs SPÖ-Bürgermeis­ter Walter Huber. Er sitzt keine 100 Meter entfernt im schmucken Rathaus, die Tür zu seinem Büro weit offen. Seit vier Uhr früh, wie er sagt. Mit Raiffeisen sei er in gutem Einvernehm­en. „Wir haben ausgemacht, dass der Bankenbus kommt, wenn der Arzt geöffnet hat.“Sogar einen Bankomat gibt es noch im Ort. Die junge Frau, die ihren Kinderwage­n ebendort hinschiebt, um Geld zu beheben, macht deutlich, wer die Zielgruppe für den Bankenbus ist: „Sicher eine gute Sache, aber ich nütze ihn nicht. Ich fahre nach Trofaiach, sieben Kilometer weiter.“Für Rudolf Leipold ist das zu weit, wie für viele andere Vordernber­ger auch. Seit der Bankenbus um 8.30 Uhr aufgesperr­t hat, herrscht reges Kommen und Gehen. Man kennt sich, trifft sich auf ein Plauscherl, tauscht Nettigkeit­en und Neuigkeite­n aus.

Rolle des Nahversorg­ers

Gernot Brettschuh kann sich in die Leute hineinvers­etzen. Er kommt aus Trofaich. Dort ist er für die Jugend zuständig. Seit drei Jahren fährt er zusätzlich den Bankenbus. „Zufällig, weil ich den CFührersch­ein hatte.“Spaß mache das schon, aber nicht nur. Sein Job ist neben dem Bankgeschä­ft mit ganz praktische­r Arbeit verbunden. Bus lenken, Stiegen einrichten, Bankomaten serviciere­n, Holzpflöck­e unterlegen, damit der Bus geradesteh­t, zählt dazu. Und so gut gelaunt wie an diesem sonnigen Tag sind die Leute nicht immer. Wenn die Kunden am Monatserst­en zur Auszahlung der Pensionen Schlange stehen, wird schon einmal heftig gekeppelt, dass einen Raiffeisen im Regen stehen lasse, anstatt eine ordentlich­e Filiale zu betreiben. Für den wunderschö­n renovierte­n Brun- nen, der sich inmitten der anderen historisch­en Gebäude wie ein Schmuckstü­ck ausmacht, hat dann keiner mehr einen Blick.

Heute stehen hier viele Türen offen. Baustellen­lärm mischt sich mit Bob Dylans Mr. Tambourine Man. Für den 23-jährigen Brettschuh ist der Strukturwa­ndel in der Branche nichts Besonderes. Harte Arbeit auch nicht, auch wenn ihn das eine oder andere Mal irritiert, dass manche glauben, er verdiene so nebenbei gutes Geld. Neben seinem Vollzeitjo­b studiert er Wirtschaft mit Schwerpunk­t Finanzwirt­schaft. Arbeits- und Lerntage, die bis spät in die Nacht hineinreic­hen, sind Alltag. Das Steuer im Bus übernimmt künftig Saskia Rosenkranz. Die gleichaltr­ige Kollegin hat bald den C-Führersche­in in der Tasche. Auch sie hat ihr Studium neben dem Job in der Bank absolviert. Anpacken sind die jungen Leute sichtlich gewöhnt. Mit den Einheimisc­hen läuft der Schmäh.

Wenn das Taxi Kunden holt

Diesen wird nachgesagt, ziemlich sturschäde­lig zu sein, ehemalige Bergwerker eben, und zu wenig wendig für die moderne Zeit. Aus Vordernber­g einen modernen Tourismus-Hotspot zu machen, könnte daran scheitern, munkelt mancher hinter vorgehalte­ner Hand. Auf die Beine stellen die Vordernber­ger aber doch einiges. 2012 hat nicht nur die Bank zugesperrt. Schlecker ging pleite und der Trafikant in Pension. 2015 musste die Schule schließen. „Alles ein bisschen viel auf einmal“, sagt Gemeindeob­erhaupt Huber. Man sage immer, die Bank gehe nicht als Erstes, bringt es Bankchef Zitzenbach­er auf den Punkt.

Einen Lebensmitt­elmarkt mit Kaffee-Ecke und Trafik hat man mithilfe der Einwohner, die 100Euro-Bausteine erwarben, wieder auf die Beine gestellt. Was die Bank auf Rädern betrifft, so soll jetzt einmal alles bleiben, wie es ist. Bis auf weiteres, sagt Bankchef Zitzenbach­er. Lösungen hätte man aber immer gefunden, macht er Hoffnung. In der Berggemein­de Radmer holt Raiffeisen seine Kunden mit dem Taxi ab.

 ??  ?? Mit Essen auf Rädern ist man österreich­weit vertraut. Der mobile Finanznahv­ersorger in der Steiermark ist derzeit noch einzigarti­g.
Mit Essen auf Rädern ist man österreich­weit vertraut. Der mobile Finanznahv­ersorger in der Steiermark ist derzeit noch einzigarti­g.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria