Der Standard

Mit dem Wohnwagen in den virtuellen Raum

Am Freitag wird der Österreich-Pavillon mit Beiträgen der Lichtpoeti­n Brigitte Kowanz und des One-MinuteSkul­pteurs Erwin Wurm eröffnet. Spektakulä­r sind sowohl Wurms aufgebockt­er Lkw als auch Kowanz’ eleganter, an den Pavillon angedockte­r Light Space.

- Andrea Schurian aus Venedig

Brigitte Kowanz und Erwin Wurm? Sicher, beide sind Träger des Großen Österreich­ischen Staatsprei­ses. Und seit ihrer Studienzei­t miteinande­r befreundet. Aber wie passen die beiden künstleris­ch zusammen? Noch selten war im Vorfeld Österreich­s Biennale-Beitrag so heiß diskutiert worden, befeuert zudem durch die Tatsache, dass die beiden keine gemeinsame­n Interviews gaben.

Und jetzt? Passt. Bestens. Kuratorin Christa Steinle hatte recht. Die Lichtpoeti­n und der One-Minute-Skulpteur sind als BiennaleDu­o in der Tat stimmig. Das zeigt sich auch am Interesse während der Voreröffnu­ngstage. Eigentlich ist die Eröffnung erst am Freitag. Doch der am äußersten Ende der Giardini gelegene Österreich-Pavillon ist rege besucht. Interviews im Halbstunde­ntakt, New York Times, ARD, ZDF, japanische­s Fernsehen, alle da. Grund dafür ist zunächst ein auf die Schnauze gefallener Lkw – neun Meter hoch, überragt er als Aussichtss­turm den Hoffmann-Pavillon. Und das ist auf der Biennale, wo 88 Länder um das rare Gut Aufmerksam­keit buhlen, schon einmal nicht schlecht.

Auch die zweite Sensation des österreich­ischen Beitrags ist weithin schon von außen sichtbar, leuchtet aus dem Inneren des Pa- villons. Geradezu zwingend saugt einen Kowanz’ riesige, wandfüllen­de Lichtinsta­llation in den hölzernen, hundert Quadratmet­er großen White Cube.

So harmonisch, so selbstvers­tändlich ist der Übergang vom Hoffmann-Pavillon zu dem von Architekt Hermann Eisenköck erbauten hölzernen Light Space, dass man unweigerli­ch den Eindruck bekommt, es sei immer schon so gewesen. Und hofft, es möge immer so bleiben.

Überwindun­g begrenzter und begrenzend­er Architektu­r: Darum geht es in Kowanz’ ebenso sinnlichem wie buchstäbli­ch vielschich­tigem Biennale-Beitrag Infinity and beyond. Mit einer viereinhal­b mal neun Meter riesigen Neoninstal­lation reißt sie quasi die Wand nieder, multiplizi­ert den Raum in die Unendlichk­eit. Zwischen zwei Spiegelwän­den beschreibt sie das Datum, an dem 1989 das Internet erstmals in Cern präsentier­t wurde, sowie jenen Zeitpunkt, an dem es erstmals öffentlich zugänglich wurde.

Drei kleinere Arbeiten an einer Seitenwand ordnen sich zu einem Lichtschli­tz: Wieder agiert sie an der Schnittste­lle zwischen begrenztem und unendliche­m Raum, indem sie Schlüsseld­aten von Google, iPhone und Wikipedia in Morsecodes übersetzt und mit Kabeln und Neonschnür­en sichtbar macht.

„Die Arbeit greift eine technische Errungensc­haft auf, die unser Leben komplett verändert hat: die Digitalisi­erung. Sie ist für uns ebenso wenig fassbar wie die Unendlichk­eit oder der Urknall.“Dieser Konflikt ist unsere Realität: „Mit zunehmende­r Informatio­n steigt die Ungewisshe­it.“

Grenzübers­chreitungs­verkehr

Erweiterun­g des Skulpturen­begriffes, kleiner Grenzübers­chreitungs­verkehr zwischen Publikum und Kunst: „Stand quiet and look over the mediterran­ean sea“, steht als Handlungsa­nleitung auf der Plattform, die – aus Sicherheit­sgründen – immer nur fünf Personen gleichzeit­ig erklimmen dürfen. (Die Warteschla­nge davor erhöht die Neugier!)

Kein Mittelmeer in Sicht

Man sieht viel da oben, herbeiströ­mende Menschen, die Biennale-Nachbarn Serbien und Ägypten und, ganz hinten, das Dach der Griechen. Man sieht Baumwipfel und Zubringerb­oote. Nur das Mittelmeer sieht man nicht. Aber eine Vorstellun­g davon, sagt Wurm, habe ja jeder im Kopf. In Kombinatio­n mit dem Lkw ist es für viele sicherlich Hoffnungs- und Todeszone tausender Flüchtling­e.

Migration als hochpoliti­sche Klammer für Wurms Außen- und Innenraumg­estaltung: Drinnen steht ein Wohnwagen aus den 1970er-Jahren, Sinnbild für das Aufkommen des Massentour­ismus, einer Art Völkerwand­erung auf Zeit: „Österreich­er, Deutsche, Holländer sind mit ihren Wohnwagen in den Süden getingelt; gleichzeit­ig sind tausende Italiener in den Norden, nach Österreich, Deutschlan­d, die Schweiz gegangen, auf der Suche nach Arbeit“, sagt Wurm. „Den Caravan finde ich auch deshalb so interessan­t, weil man da sein Zuhause mitnimmt. Man isoliert sich in der Fremde, integriert sich nicht.“

Das Innenleben des alten Caravans – Waschbecke­n, WC, Herd, Sessel, Koffer, Lampen – steht und hängt, teils in Aluminium gegossen, in den beiden Hoffmann-Räumen. Und für alle, die Wurms Publikumsb­eteiligung­smodell nicht wirklich kennen, zeigen Vorturner die One-Minute-Sculptures auch vor.

 ??  ?? Der Österreich-Pavillon beleuchtet das Internet und reflektier­t Reise- und Migrations­ströme: Brigitte Kowanz’ Lichtarchi­tektur (li.) und Erwin Wurms Caravan mit Vorturneri­n.
Der Österreich-Pavillon beleuchtet das Internet und reflektier­t Reise- und Migrations­ströme: Brigitte Kowanz’ Lichtarchi­tektur (li.) und Erwin Wurms Caravan mit Vorturneri­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria