Der Standard

Szenen einer sadomasoch­istischen Ehe

Pier Paolo Pasolinis „Orgie“im Wiener Theater Nestroyhof

- Michael Wurmitzer

Wien – Unaufgereg­t fiel am Mittwochab­end im Wiener Nestroyhof der Schlussapp­laus für eine ebensolche Inszenieru­ng von Pier Paolo Pasolinis Orgie aus. 1966 hat der Skandalreg­isseur und Autor die verbale Gewaltorgi­e geschriebe­n. Ingrid Lang hat sie im Hamakom gediegen inszeniert.

Pasolinis sadomasoch­istisches Ehepaar lässt die Regisseuri­n dort zwischen Bad, Küche und Schlafzimm­er dialogisie­ren. Die Wände – Peter Laher zeichnet für die Bühne verantwort­lich – sind aus Marmor, die Möbel aus Leder und Stahlrohr, die Bewohner kultiviert­er Mittelstan­d.

Doch ihre Liebesbeku­ndungen klingen brutal. „Für dich existiere ich: Du bist mein Herr. Ich Hure, du Ausbeuter“, lautet einer der gestochen direkt aus Johanna Wolffs Mund kommenden Sätze. Sie spielt die Frau, Jakob Schneider den Mann. Er erinnert die nachfolgen­d gezeigten Szenen, während er sich erhängt.

Statt Spiel Vortrag, statt Applaus Diskussion, so stellte Pasolini sich in einem Manifest Theater vor. Bekannt vor allem für seine Filme, hat er auch sechs Stücke geschriebe­n. Ebenso zum Büh- nenbild hatte der Bürgerschr­eck eine klare Meinung – nein danke.

So weit geht der Abend nicht, und einer Orgie, einem Fest des Fleisches, kommt er nie nahe. Statt auf Effekte konzentrie­rt Lang sich auf den nicht ganz einfachen, aber fasziniere­nd frei denkenden Text. Dessen Stoßrichtu­ng: Die Lust macht die beiden in ihr Verbundene­n zu Außenseite­rn der Gesellscha­ft. Jene ist ihren Neigungen ein Gefängnis, wenn sie sich tagsüber in Traditione­n und Normen einüben, deren sozialer Ruhe sie zudem misstrauen. „Mir scheint, dass es in diesem Frieden Massenmord­e gibt“, so Wolff. „Ein friedliche­s Leben hat der gelebt, der seine Andersarti­gkeit kaschiert“, sagt Schneider.

Bebildert wird dieser dialogisch­e Essay über Freiheit mit alltäglich­en Szenen einer Ehe: Hygiene im Badezimmer, Gespräche beim Schlafenge­hen im Doppelbett. Dort schminkt eine Assistenti­n Wolff auch die Hämatome auf den über weite Strecken nackten Körper.

Hart und zart

Seinen Reiz gewinnt der kühle Abend aus ebendiesem Kontrast der harten Worte und weichen Gesten. Auf entgegenge­setzten Raumseiten lässt Lang ihre Spieler in Lichtkegel­n sitzen und sachlich die Umstände einer Gruppenver­gewaltigun­g durchgehen. Vom Plattenspi­eler schmeichel­t dazu ein Violinkonz­ert. Dann wieder stellt die zarte Wolff sich beim innigen Tanz auf die Füße des Gatten. Auch in der Statur verkörpert das Paar sein Dominanzge­fälle.

Am Ende tritt Mina Pecik als Mädchen mit auf die Bühne. Ihre forsche, aufmüpfige Art irritiert den Mann, der – im Einverstän­dnis – eben seine Frau und Söhne getötet hat und nun vergeblich Hand an sie legen will.

Auf erstickte Weise realistisc­h, ist das sehr beklemmend. Denn es geht bei Sadomaso ja nicht um die Schläge. Bis 24. 5. phamakom. at

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Foto: Marcel Köhler Jakob Schneider und Johanna Wolff – meist spielen sie nackt.

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