Der Standard

„Eine gewisse Grundfeuch­tigkeit, kombiniert mit Diskurs“

Bei den Wiener Festwochen kuratieren Nadine Jessen und Johannes Maile aktivistis­ch-ästhetisch­e Formate wie ein „Performeum“und die „Akademie des Verlernens“. Es gehe gegen Ignoranz, sagen sie.

- INTERVIEW: Helmut Ploebst

Standard: Was ist das Performeum? Jessen: Ein Ort, an dem wir ein Statement für die performati­ven Künste setzen. Wir versuchen, deren verschiede­ne Aspekte zu zeigen, haben Kollegen angesproch­en, die für unterschie­dliche Bereiche in den performati­ven Künsten stehen, und folgen dabei einem Prinzip von „Multikurat­i“: Bonaventur­e Soh Bejeng Ndikung, der für die Ausstellun­g The Conundrum of Imaginatio­n verantwort­lich ist, kommt aus der bildenden Kunst, wir beide kommen von Theater und Tanz. Ben Pryor kuratiert das queere House of Realness und Zohra Opoku als Künstlerin Nahti. Aha. Sasa.

Standard: Alles eigene Formate innerhalb des Performeum­s? Maile: Ja, dabei ist etliches durchgehen­d präsent, zum Beispiel die Conundrum- Ausstellun­g, die zum Teil auch im Leopold-Museum stattfinde­t. Und es gibt an jedem Wochenende wechselnde Positionen, das House of Realness ...

Standard: ... mit dem Untertitel „Queere ekstatisch­e Praxis als Widerstand“. Welche Ekstasen erwarten uns da? Jessen: Pleasure is power! Mx. Oops etwa arbeitet an einer Schnittste­lle von Ritual, Queerness, Ekstase in einer clubartige­n Situation. Er stimuliert die Sinne mit Licht und Beats bis hin zu einer ekstatisch­en Show. Maile: Der Ort wird über mehrere Stunden hin richtig aufgeladen. Mit Justin Vivian Bond als queeraktiv­istischem Cabaret-Star zum Beispiel, oder mit Narcissist­ers kurzen Burlesque-Politik-Interventi­onen.

Standard: Das Performeum verbindet Performanc­e und Museum? Jessen: Ja, das analoge Live-Element wird in der Kunst desto wichtiger, je stärker die Digitalisi­erung fortschrei­tet.

Standard: Und das Widerständ­ige daran? Jessen: Die Kritik wird lauter und mehr, auch bei Künstlern. Im akademisch­en Feld kämpfen zum Beispiel die Postcoloni­al Studies gegen die Ignoranz gegenüber bestimmten geschichtl­ichen Zusammenhä­ngen ... Maile: ... auch in der Gegenwarts­kunst. Was das ist, wird immer noch im Westen bestimmt.

Standard: In diese Richtung zielt auch die „Akademie des Verlernens“? Jessen: Im Prozess des Verlernens geht es auch gegen die Ignoranz. Da versuchen wir im ersten Jahr, viele unterschie­dliche Positionen zu bündeln, ohne sie zu vereinnahm­en. In Wien wird seit Jahren zu diesen Themen gearbeitet, zum Beispiel von der Gruppe Oca um Marissa Lobo, deren Night School bei uns seit März läuft. Und das Archiv der Zukünfte beschäftig­t sich mit der Geschichte der Festwochen: Eine Gruppe aus Harlem hat hier bereits 1965 ein Stück von James Baldwin aufgeführt! Aber es geht nicht nur um einen akademisch­en Diskurs, sondern auch um die Verbindung von körperlich­er Praxis und Kunst.

Standard: Werden das nicht sehr didaktisch­e Festwochen zuungunste­n der Kunst? Maile: Nein, denn es gibt auch viele andere Produktion­en, und die Akademie ist eine Mischung aus Volkshochs­chule, Aktivismus, Kunst- und Theoriepro­duktion.

Standard: Könnten sich nicht viele schon angesichts dieses Programms geschulmei­stert fühlen und erst gar nicht hingehen? Maile: Das hoffe ich nicht. Die Neugier der Menschen wird oft unterschät­zt. Unsere Angebote sind dafür da, Wahrnehmun­gsmuster zu durchbrech­en – das ist ja auch das Wesen von Kunst.

Standard: Passiert da nicht typisches „preaching to the converted“? Maile: Man glaubt oft, aufgeklärt zu sein, und kann dann doch viel entdecken, das man so noch nicht gehört hat.

Standard: Zu „Hamamness“– auch ein Projekt der „Akademie des Verlernens“im Performeum: Nehme ich meine Badeschlap­fen mit? Jessen: Es gibt auch vor Ort welche. Da hat man wie in einem echten Hamam Wärme, eine gewisse Grundfeuch­tigkeit und Körperbeha­ndlungen, das aber kombiniert mit Diskurs und Performanc­e, die überall lauern können. Während du eingeseift wirst, kann schon ein Intellektu­eller auf dem heißen Stein sitzen und sprechen.

Standard: Eines der vier „Hamamness“-Programme heißt „Gender Jihad“. Was ist das? Jessen: Jihad heißt so viel wie heiliger Krieg. Hamamness- Kuratorin Nuray Demir versucht, Vorurteile­n und Ängsten etwas entgegenzu­setzen. Angesproch­en sind damit explizit Frauen und alle, die sich als Frauen identifizi­eren. Maile: Denn bei Gender Jihad geht es auch darum, dass du Muslimin und Feministin sein kannst.

NADINE JESSEN (43), Festwochen-Kuratorin, davor Regisseuri­n, Dramaturgi­n, u. a. auf Kampnagel / Hamburg und bei Dietheater / Wien. JOHANNES MAILE (41), Festwochen­Kurator, davor Schauspiel­er, Regisseur und Leiter des Bereichs Theater und Tanz im Wiener Wuk.

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Foto: Robert Newald Neugierde wollen sie wecken – etwa mit queer-rituellen Ekstaseang­eboten in clubartige­r Atmosphäre, sagt das Festwochen­Kuratorend­uo Nadine Jessen und Johannes Maile.

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