Homo naledi ist jünger als gedacht
Erst kürzlich bereicherten Knochenfunde aus einer südafrikanischen Höhle den menschlichen Stammbaum mit dem Homo naledi um ein neues Mitglied. Nun lassen weitere Entdeckungen darauf schließen, dass dieser Urmensch ein Zeitgenosse des Homo sapiens war.
Ein Höhlensystem in der Nähe von Johannesburg, in dem bereits mehr Überreste von Urmenschen gefunden wurden als in der ganzen Welt zusammengenommen, hat eine neue Überraschung preisgegeben. Bei der Datierung der versteinerten Knochen zahlreicher Angehöriger des erst vor zwei Jahren als neue Menschenart bestimmten Homo naledi kam zum Vorschein, dass die Fossilien nicht etwa – wie zunächst vermutet – mehrere Millionen, sondern lediglich 230.000 bis 330.000 Jahre alt sind.
Da die Anfänge des Homo sapiens in dieselbe Zeit zurückreichen, müssen im südlichen Afrika damals vollkommen verschiedene Menschenarten nebeneinander gelebt haben. Die Entdeckung berge eine für die Archäologie „gigantische Botschaft“in sich, meint der die Ausgrabung leitende Paläoanthropologe Lee Berger: „Die Zeit der einfachen Geschichten ist vorbei. Wir müssen nochmals von vorne anfangen.“
Die Wissenschafter um den aus den USA stammenden Südafrikaner hatten aus dem „primitiven“Aussehen des Homo naledi zunächst geschlossen, dass es sich um einen mehrere Millionen Jahre alten Frühmenschentypus handeln müsse. Die Naledis haben ein wesentlich kleineres Gehirn als der Homo sapiens und ein Gesicht, das eher an heutige Menschenaffen erinnert. Allerdings lief der Homo naledi bereits aufrecht, und seine Gliedmaßen hatten Proportionen, die den unseren vergleichbar sind.
Überraschende Datierung
In einer neu entdeckten Kammer des rund 50 Kilometer nordöstlich von Johannesburg gelegenen Höhlensystems „Rising Star“fand Bergers Team nun große Teile des Skeletts eines Mannes, dessen Schädel so gut erhalten ist wie kaum ein anderer Schädel von Frühmenschen. Bei der Datierung ihrer Funde gaben sich die Wissenschafter alle Mühe. Ein 19köpfiges Team um den australischen Geologen Paul Dirks wandte sechs unabhängige Methoden an, um das Alter der Fossilien möglichst akkurat zu bestimmen. Alle kamen zu dem Schluss, dass die Fossilien nicht älter als 330.000 Jahre sein können.
Berger sieht es als wahrscheinlich an, dass der Homo naledi mehrere Millionen Jahre lang gelebt hat: Anders seien seine archaischen Merkmale, vor allem sein kleiner Wuchs, sein dem Australopithecus ähnlicher Oberkörper und sein kleines Gehirn kaum zu erklären. Ob die modernen Menschen ihre wesentlich älteren Vettern damals kannten, ist derzeit genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, warum des Homo naledi schließlich ausstarb.
Ältester Friedhof?
Umstritten bleibt weiterhin die Frage, warum in dem Höhlensystem so viele gut erhaltene Überreste des Homo naledi konserviert wurden – insgesamt handelt es sich um mindestens 15 Individuen. Bergers Team hatte bereits vor zwei Jahren spekuliert, dass die beiden Kammern womöglich ein Begräbnisplatz waren – eine Vermutung, die angesichts des zunächst angenommenen Alters der Funde von vielen Wissenschaftern angefochten wurde. Nun scheint Bergers These neue Nahrung bekommen zu haben: Einen Beweis, dass sich in der von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten „Wiege der Menschheit“bei Johannesburg auch deren „ältester Friedhof“befindet, gibt es allerdings noch immer nicht.
Bergers Angaben zufolge befinden sich in den zwei Flügeln des Höhlensystems, die Lesedi (Licht) und Dinaledi (Sterne) genannt wurden, wahrscheinlich noch immer tausende frühmenschliche Überreste. Sie sollen zumindest teilweise vor Ort gelassen werden, um der Nachwelt und deren verbesserten technologischen Methoden weitere Untersuchungsobjekte zu überlassen. Die Forscher haben mit den bereits geborgenen Schätzen ohnehin genug zu tun: Das Puzzle der Entstehungsgeschichte des modernen Menschen wird immer unübersichtlicher.