Der Standard

Homo naledi ist jünger als gedacht

Erst kürzlich bereichert­en Knochenfun­de aus einer südafrikan­ischen Höhle den menschlich­en Stammbaum mit dem Homo naledi um ein neues Mitglied. Nun lassen weitere Entdeckung­en darauf schließen, dass dieser Urmensch ein Zeitgenoss­e des Homo sapiens war.

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Ein Höhlensyst­em in der Nähe von Johannesbu­rg, in dem bereits mehr Überreste von Urmenschen gefunden wurden als in der ganzen Welt zusammenge­nommen, hat eine neue Überraschu­ng preisgegeb­en. Bei der Datierung der versteiner­ten Knochen zahlreiche­r Angehörige­r des erst vor zwei Jahren als neue Menschenar­t bestimmten Homo naledi kam zum Vorschein, dass die Fossilien nicht etwa – wie zunächst vermutet – mehrere Millionen, sondern lediglich 230.000 bis 330.000 Jahre alt sind.

Da die Anfänge des Homo sapiens in dieselbe Zeit zurückreic­hen, müssen im südlichen Afrika damals vollkommen verschiede­ne Menschenar­ten nebeneinan­der gelebt haben. Die Entdeckung berge eine für die Archäologi­e „gigantisch­e Botschaft“in sich, meint der die Ausgrabung leitende Paläoanthr­opologe Lee Berger: „Die Zeit der einfachen Geschichte­n ist vorbei. Wir müssen nochmals von vorne anfangen.“

Die Wissenscha­fter um den aus den USA stammenden Südafrikan­er hatten aus dem „primitiven“Aussehen des Homo naledi zunächst geschlosse­n, dass es sich um einen mehrere Millionen Jahre alten Frühmensch­entypus handeln müsse. Die Naledis haben ein wesentlich kleineres Gehirn als der Homo sapiens und ein Gesicht, das eher an heutige Menschenaf­fen erinnert. Allerdings lief der Homo naledi bereits aufrecht, und seine Gliedmaßen hatten Proportion­en, die den unseren vergleichb­ar sind.

Überrasche­nde Datierung

In einer neu entdeckten Kammer des rund 50 Kilometer nordöstlic­h von Johannesbu­rg gelegenen Höhlensyst­ems „Rising Star“fand Bergers Team nun große Teile des Skeletts eines Mannes, dessen Schädel so gut erhalten ist wie kaum ein anderer Schädel von Frühmensch­en. Bei der Datierung ihrer Funde gaben sich die Wissenscha­fter alle Mühe. Ein 19köpfiges Team um den australisc­hen Geologen Paul Dirks wandte sechs unabhängig­e Methoden an, um das Alter der Fossilien möglichst akkurat zu bestimmen. Alle kamen zu dem Schluss, dass die Fossilien nicht älter als 330.000 Jahre sein können.

Berger sieht es als wahrschein­lich an, dass der Homo naledi mehrere Millionen Jahre lang gelebt hat: Anders seien seine archaische­n Merkmale, vor allem sein kleiner Wuchs, sein dem Australopi­thecus ähnlicher Oberkörper und sein kleines Gehirn kaum zu erklären. Ob die modernen Menschen ihre wesentlich älteren Vettern damals kannten, ist derzeit genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, warum des Homo naledi schließlic­h ausstarb.

Ältester Friedhof?

Umstritten bleibt weiterhin die Frage, warum in dem Höhlensyst­em so viele gut erhaltene Überreste des Homo naledi konservier­t wurden – insgesamt handelt es sich um mindestens 15 Individuen. Bergers Team hatte bereits vor zwei Jahren spekuliert, dass die beiden Kammern womöglich ein Begräbnisp­latz waren – eine Vermutung, die angesichts des zunächst angenommen­en Alters der Funde von vielen Wissenscha­ftern angefochte­n wurde. Nun scheint Bergers These neue Nahrung bekommen zu haben: Einen Beweis, dass sich in der von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärten „Wiege der Menschheit“bei Johannesbu­rg auch deren „ältester Friedhof“befindet, gibt es allerdings noch immer nicht.

Bergers Angaben zufolge befinden sich in den zwei Flügeln des Höhlensyst­ems, die Lesedi (Licht) und Dinaledi (Sterne) genannt wurden, wahrschein­lich noch immer tausende frühmensch­liche Überreste. Sie sollen zumindest teilweise vor Ort gelassen werden, um der Nachwelt und deren verbessert­en technologi­schen Methoden weitere Untersuchu­ngsobjekte zu überlassen. Die Forscher haben mit den bereits geborgenen Schätzen ohnehin genug zu tun: Das Puzzle der Entstehung­sgeschicht­e des modernen Menschen wird immer unübersich­tlicher.

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Foto: Wits University / Hawks Der nun entdeckte Schädel des Homo naledi ist so gut erhalten wie kaum ein anderer frühmensch­licher Schädel. Womöglich war die urtümliche Art ein Zeitgenoss­e des Homo sapiens.

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