Der Standard

Die dreiste Politik mit den Familien

Die Leistungen für die Familien steigen? Auf dem Papier vielleicht. Vieles sind schiere Mogelpacku­ngen, die viel mit politische­r Taktierere­i, aber wenig mit Sozialem zu tun haben. Plädoyer für eine Familienpo­litik, die diesen Namen auch verdient.

- Irene Kernthaler-Moser

Erst vor kurzem hat das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) verlauten lassen, dass die „Familienle­istungen“in den vergangene­n Jahren über der Inflations­rate gesteigert wurden, die Details dahinter sind mehr als interessan­t – aus Familiensi­cht sprechen die Details allerdings eine andere Sprache.

Wenn im Budget irgendwo eine Lücke klafft, schauen die zuständige­n Ministerie­n, wie sie diese schließen können. Eine leichte, aber sehr beliebte Übung ist es, die fehlende Summe aus dem Familienla­stenausgle­ichsfonds (Flaf) zu fordern. Es versteht sich dann von selbst, dass gleichzeit­ig alle diese Ausgaben auch als „Familienle­istungen“bezeichnet werden. Dann kann sich die Politik freuen, dass die Leistungen für Familien in den letzten 15 Jahren um ein Viertel gestiegen sind, wie es kürzlich das Wirtschaft­sforschung­sinstitut verkündete. Für mich ist das der blanke Zynismus.

Ein paar Beispiele gefällig? Das Gesundheit­sministeri­um erhält jährlich eine satte Summe aus dem Flaf für die Durchführu­ng der Untersuchu­ngen für den MutterKind-Pass. Merke: Eine Vorsorgeun­tersuchung fällt in den Bereich „Gesundheit“– außer es geht um Mütter und Kinder. Dann ist es keine Selbstvers­tändlichke­it wie für den Rest der Bevölkerun­g, sondern eine „Familienle­istung“.

ÖBB-Freifahrte­n

Auch ÖBB und Verkehrsve­rbünde erhalten aus dem Flaf jährlich eine stattliche Summe von über 350 Millionen Euro für Freifahrte­n von Schülern und Lehrlingen – ob für diese „Familienle­istung“Erwachsene­ntarife oder Ju- gendticket­s verrechnet werden, ist leider seit 20 Jahren nicht herauszube­kommen.

Auch die Zufahrtsst­raßen?

Den Löwenantei­l der Ausgabenst­eigerung macht der Ausbau der Kinderbetr­euungseinr­ichtungen aus. Hier ein besseres Angebot zu schaffen ist gut und richtig, aber die Bereitstel­lung dieser Infrastruk­tur als „Familienle­istung“zu verkaufen ist dreist. Niemand käme auf die Idee, die Errichtung von Pensionist­enheimen als Pensionsle­istung zu titulieren. Geht es um Kinder, wird der Ausbau von Betreuungs­plätzen eine „Familienle­istung“. Fällt bald die Errichtung einer Zufahrtsst­raße zu Kindergart­en oder Schule unter „Familienle­istung“?

So kommt es, dass die „Familienle­istungen“auf dem Papier und in Summe zwar steigen, aber immer weniger Geld bei den Familien direkt ankommt: Das Kinderbetr­euungsgeld wurde beispielsw­eise mit der jetzigen Reform wieder nicht wertangepa­sst: Wäre das Kinderbetr­euungsgeld in den 15 Jahren – so wie Pensionen oder Parteienfö­rderungen – auch nur wertangepa­sst worden, müsste es heute um 4000 Euro (!) pro Kind höher sein!

Richtig zynisch wird es, wenn die Familienpo­litik auch noch frauenpoli­tische Maßnahmen erfüllen soll. So kritisiert der Thinktank Agenda Austria die Forderunge­n des geplanten Frauenvolk­sbegehrens als arbeitspla­tzfeindlic­h und fordert als Lösung eine radikale Verkürzung der Karenzzeit auf sechs Monate pro Elternteil. Dabei wird ein ganz wesentlich­er Aspekt – jener der Kinder! – komplett ausgeblend­et.

Schade, dass Wirtschaft­swissensch­after nicht auch Erziehungs­wissenscha­ften studiert ha- ben, denn dann wüssten sie, was es bedeutet, wenn Kinder nicht die Aufmerksam­keit, Pflege und Zuwendung bekommen, die sie für eine gesunde Entwicklun­g brauchen.

Hohe Folgekoste­n

Die Folgekoste­n für die Ergebnisse dieser Politik – z. B. Bildungsve­rweigerung, psychische Krankheite­n, Armut – sind dann viel höher. Aber das wird dann aus einem anderen Budgettopf gezahlt, und aus den Kindern sind Erwachsene geworden, die bei Wahlen eine Stimme haben.

IRENE KERNTHALER-MOSER ist Vizepräsid­entin des Katholisch­en Familienve­rbandes, Fotografin und Moderatori­n und war lange Sprecherin des Österreich­ischen Instituts für Familienfo­rschung.

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Vielleicht werden demnächst sogar noch die Schulwege der Kinder als Familienle­istungen tituliert und aus den entspreche­nden Budgettöpf­en finanziert.
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Foto: privat I. Kernthaler­Moser: Flaf als Selbstbedi­enungslade­n.

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