Der Standard

Kurz in der Zwickmühle

Wie er seinen Rückzug vollzogen hat, dafür hat sich Mitterlehn­er Respekt verdient

- Alexandra Föderl-Schmid

Mit seinem Rückzug von allen Ämtern erweist sich Reinhold Mitterlehn­er einen Dienst und bringt Sebastian Kurz in Zugzwang. Kurz muss sich nun endlich deklariere­n, was er will: Parteichef und/oder Spitzenkan­didat der ÖVP werden oder eine eigene Bewegung gründen. Der Außenminis­ter ist bereits seit Wochen als Undercover-Wahlkämpfe­r in den österreich­ischen Bundesländ­ern unterwegs und schwänzt, wie auch am Dienstag wieder, dafür wiederholt Ministerra­tssitzunge­n.

Mitterlehn­er hat bei seiner emotionale­n Rücktritts­ankündigun­g kundgetan, dass „die Spitzen der Partei und auch der präsumtive Nachfolger schon monatelang wissen“, dass er „nicht als Spitzenkan­didat antrete“. Durch die Vorkommnis­se der vergangene­n Tage hat sich Mitterlehn­er offenbar so düpiert gefühlt, dass er nicht nur die getroffene Vereinbaru­ng aufgekündi­gt hat, sondern gleich alles hinschmiss. „Ich finde, es ist genug“, hat er seinen Rückzug begründet – endlich, möchte man hinzufügen. Er hat sich vieles viel zu lange gefallen lassen. Es reicht ihm – zu Recht. „Ich bin kein Platzhalte­r, der auf Abruf agiert, bis irgendjema­nd Zeitpunkt, Struktur und Konditione­n festlegt.“Dieser Satz war auf Kurz gemünzt, der am Vortag erklärt hatte, der Job des Parteivors­itzenden sei „nicht so attraktiv“.

Dass er weder Kurz noch Innenminis­ter Wolfgang Sobotka erwähnt, aber sich ausdrückli­ch beim Koalitions­partner bedankt hat, spricht für sich: Kern und Mitterlehn­er verbindet ein pragmatisc­her Zugang, beide wollen etwas weiterbrin­gen – wären da nicht Querschüss­e aus beiden Parteien, in der SPÖ vor allem durch Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil. Mitterlehn­ers Mahnung, man könne nicht Regierung und Opposition gleicherma­ßen sein, war nicht nur an Sobotka, sondern auch an andere in der Koalition gerichtet. ern hat die Vorlage Mitterlehn­ers genutzt und verwandelt: Er will Kurz als Vizekanzle­r und bot explizit ihm eine Reformpart­nerschaft bis zum regulären Wahltermin nächstes Jahr an. Taktisch geschickt nimmt Kern Kurz in die Pflicht. Auch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen mahnte eine „zügige und zeitnahe Entscheidu­ng“an. Der Druck auf Kurz steigt, er steht gleich vor zwei wegweisend­en Entscheidu­ngen: Wel-

Kche Position will er künftig in der ÖVP übernehmen? Und will er tatsächlic­h die Koalition sprengen? Denn nimmt Kurz das Angebot Kerns nicht an, steht er auch öffentlich als Sprengmeis­ter der Koalition da. Will er nicht Parteichef werden, kann er als Drückeberg­er bezeichnet werden.

Für jemanden, der sich bisher zurückhiel­t und vorwiegend in eigener Sache agierte und agitierte, ist das keine angenehme Situation. Nicht nur Mitterlehn­er wird Kurz’ Notlage mit gewisser Schadenfre­ude – die man ihm nach seinen Erfahrunge­n zugestehen kann – beobachten.

Mitterlehn­ers Hinweis darauf, er sei „immerhin der vierte Obmann der letzten zehn Jahre“, sollte seinen Parteifreu­nden zu denken geben. Er hat seiner Partei einen Spiegel vorgehalte­n. Das in der ÖVP so beliebte Spiel des Obmannabsä­gens hinterläss­t nicht nur persönlich­e Wunden bei den Betroffene­n, sondern es stärkt auch die Politiker- und Parteienve­rdrossenhe­it in der Bevölkerun­g und schwächt damit die Demokratie.

Mitterlehn­er hat in den vergangene­n Wochen an Statur gewonnen und hat sich mit der Art und Begründung seines Rückzugs Respekt verdient.

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