Der Standard

Frankreich­s Stunde null

- Stefan Brändle

Frankreich­s Parteienla­ndschaft ist ein Trümmerfel­d. Die Sozialiste­n liquidiere­n sich gerade selbst; ihre Anführer laufen entweder (wie Manuel Valls) zum neuen Präsidente­n Emmanuel Macron über oder gründen (wie Benoît Hamon) eigene Bewegungen. Die Republikan­er schlittern führungslo­s in die Parlaments­wahl vom Juni, nachdem sich ihr Präsidents­chaftskand­idat François Fillon wie in Luft aufgelöst hat.

Am Mittwoch erwischte es auch den Front National (FN). Der möglicherw­eise nur provisoris­che Rückzug von Marion Maréchal-Le Pen (dritte Generation der Familiendy­nastie) ist ein Pyrrhussie­g für Parteichef­in Marine Le Pen (zweite Generation). Sie rettet damit ihren „sozialen“Wirtschaft­skurs, verliert aber zweifellos viele Wähler, die sich wie ihre Nichte eine stramm rechte Linie wünschen.

Marion Maréchal-Le Pen, beim Fußvolk des FN sehr beliebt, bildete zusammen mit ihrem Großvater Jean-Marie Le Pen eine starke interne Opposition. Nun wurde sie von der Parteichef­in und ihrem Chefstrate­gen Florian Philippot fürs Erste entfernt. Aber gerade dieses Duo, das im Wahlprogra­mm das Initiativr­echt für Volksabsti­mmungen predigte, regiert in der eigenen Partei sehr selbstherr­lich und damit undemokrat­isch.

Die Auflösungs­erscheinun­gen in den französisc­hen Parteien sind nicht nur durch den „Macron-Sog“bedingt, der die Pariser Politik erfasst hat. Sie zeugen vielmehr von unüberwind­baren ideologisc­hen Gräben in der Europa- und Immigratio­nspolitik. Das gilt sowohl für die Sozialiste­n wie auch für die Republikan­er und die Frontisten. Parteispal­tungen stehen bevor, vermutlich gefolgt von völlig neuen Allianzen. Frankreich­s Politik steht damit vor der Stunde null. Und wohin die Reise geht, weiß eigentlich niemand. Wohl auch nicht der 39-jährige Jungpräsid­ent im ÉlyséePala­st.

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