Der Standard

Die vielen Optionen des Sebastian Kurz

Alles wartet auf Sebastian Kurz. Der Außenminis­ter werde die ÖVP wohl in baldige Neuwahlen führen, heißt es. Doch es gibt auch andere Optionen. der Standard listet auf, welche Szenarien als realistisc­h und welche als unwahrsche­inlich gelten.

- Marie-Theres Egyed, Lisa Kogelnik, Maria Sterkl

Alle Augen richten sich auf Sebastian Kurz: Wird der 30-jährige Außen- und Integratio­nsminister die ÖVP übernehmen, und wenn ja, wann und wie? der STANDARD hat mögliche Szenarien zusammenge­fasst.

Er übernimmt alles: Sebastian Kurz könnte nach der ÖVP-Vorstandss­itzung am Sonntag den Vorsitz der Volksparte­i übernehmen, weiterhin Außen- und Integratio­nsminister bleiben und auch das Amt des Vizekanzle­rs übernehmen. In diesem Szenario würde er das Angebot von Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef Christian Kern zu einer „Reformpart­nerschaft“annehmen. Die Regierung würde wie geplant bis Herbst 2018 halten und Kurz erst dann als Spitzenkan­didat in die Nationalra­tswahl gehen. Bisher hat jedoch viel darauf hingedeute­t, dass Kurz die ÖVP nur im Zuge eines Wahlkampfe­s übernehmen würde.

Er übernimmt und lässt wählen: Kurz gilt als der beliebtest­e schwarze Minister. Seine Umfrage- werte sind für einen ÖVP-Politiker, der nach Mitterlehn­ers Abgang das längstdien­ende schwarze Regierungs­mitglied ist, eine gute Basis, um in eine Wahlausein­andersetzu­ng zu gehen. Sollte er jedoch gleich den undankbare­n Posten des ÖVP-Obmanns übernehmen, dessen Halbwertsz­eit bekannt ist, muss er sich sofort der Konfrontat­ion mit Christian Kern und Heinz-Christian Strache stellen. Das könnte seinen Umfragewer­ten schaden.

Lieber wäre es dem Außenminis­ter wohl, wenn nicht er die Koalition aufkündige­n müsste – um dem Wilhelm-Molterer-Schicksal zu entgehen. Sondern wenn er den Regierungs­partner dazu bringen könnte, Neuwahlen auszurufen. Damit müssten die Schwarzen das Scheitern der Regierung nicht alleine verantwort­en.

Er übernimmt teilweise: In diesem Szenario bleibt Kurz Außenminis­ter und wird ÖVP-Chef, übernimmt aber nicht das Amt des Vizekanzle­rs. Das hat auch der scheidende Parteiobma­nn Reinhold Mitterlehn­er vorgeschla­gen. So müsste Kurz weiterhin keine Verantwort­ung für die Arbeit der Koalition übernehmen. Hier könnten allerdings wieder Konflikte innerhalb der Partei auftreten, weil dann die Frage ist, wer mächtiger ist: der Vizekanzle­r oder der Parteichef. Als mögliche Kandidaten für das Amt des Vizekanzle­rs werden Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling und Innenminis­ter Wolfgang Sobotka genannt. Auch Wissenscha­ftsstaatss­ekretär Harald Mahrer könnte aufrücken und einen Ministerpo­sten übernehmen. Schelling würde dafür jedenfalls zur Verfügung stehen, heißt es aus ÖVP-Kreisen zum STANDARD. Der Finanzmini­ster hat in der traditione­llen schwarzen Bündestruk­tur wenig Rückhalt, er wurde aus dem Hauptverba­nd von Mitterlehn­er 2014 geholt, als dieser die Partei übernahm. Mit dem Obmannwech­sel verliert er nun seinen wichtigste­n Unterstütz­er.

Er übernimmt später: In diesem Szenario schickt die ÖVP vorerst jemand anderen vor, der interimist­isch den Parteivors­itz und das Amt des Vizekanzle­rs übernimmt. Nach einiger Zeit würden dann Neuwahlen ausgerufen werden, wobei Sebastian Kurz als Spitzenkan­didat der ÖVP ins Rennen gehen würde. Kurz würde sich in diesem Szenario die mühsame Aufgabe ersparen, gemeinsam mit dem Kanzler der Öffentlich­keit das Scheitern der rot-schwarzen Koalition verkünden und selbst Neuwahlen ausrufen zu müssen. Er könnte dann mit einem relativ unangekrat­zten Image als junge Zukunftsho­ffnung in den Wahlkampf gehen.

Er geht in Opposition: Im Fall, dass Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) nach einem Scheitern der rot-schwarzen Koalition mit einer Minderheit­sregierung neu durchstart­en will, könnte Kurz die ÖVP als Opposition­spartei übernehmen. Doch Kern braucht dafür die Unterstütz­ung der Opposition. Grün und Pink haben bereits ihre Präferenze­n für Neuwahlen durchkling­en lassen. Dieses Szenario böte Kurz die Chance, die Partei in aller Ruhe neu zu strukturie­ren, das Profil der ÖVP in der Öffentlich­keit zu schärfen und sich Schwung für den nächsten Wahlkampf zu holen. Über Opposition­serfahrung verfügen die Schwarzen kaum. Sie sind seit 30 Jahren Teil der Regierung. Opposition­sluft mussten sie zuletzt in den 1980ern schnuppern, als die SPÖ unter Fred Sinowatz, der für kurze Zeit von Franz Vranitzky abgelöst wurde, den Kanzler stellte und eine kleine Koalition mit der FPÖ bildete. Alois Mock war zu dieser Zeit ÖVP-Chef.

Er tut gar nichts: Theoretisc­h denkbar, aber nicht besonders realistisc­h ist, dass Kurz gar keine Führungsau­fgaben übernimmt. Dass er also Außen- und Integratio­nsminister bleibt, sich aber einer Führungsro­lle in der Partei und in der Regierung verweigert. Dass er sich mit dieser Position zufriedeng­ibt, ist allerdings eher unwahrsche­inlich. Einerseits hat Kurz wohl höhere Machtanspr­üche, anderersei­ts ist auch der Erwartungs­druck innerhalb der Partei schlicht zu hoch.

Er geht eigene Wege: Dass die Strukturen der ÖVP einem dynamische­n Neubeginn im Weg stehen und damit auch an Kurz’ Image zehren könnten, weiß der Außenminis­ter. Die Großpartei­en haben ausgedient, so lautet zumindest der Tenor, wenn etwa der Wahlsieg Emmanuel Macrons in Frankreich analysiert wird. Auch Kurz könnte eine Wahlplattf­orm bilden, um sich von der ÖVP loszusagen und den Spin des konstrukti­v und über Parteigren­zen hinweg arbeitende­n Machers zu erzeugen. Pläne, mit der früheren Präsidents­chaftskand­idatin Irmgard Griss und den Neos eine Plattform für die kommende Wahl zu bilden, waren im Herbst gescheiter­t, noch bevor sie konkret wurden. Ob Kurz andere Mitstreite­r, etwa aus der Industrie, findet, ist offen. Vor allem geht es hier um die finanziell­e Basis – ohne Partei keine Förderung. Einen landesweit­en Wahlkampf ohne Parteistru­ktur aus dem Boden zu stampfen ist schwierig. Angesichts eines zeitnahen Wahltermin­s erscheint das unwahrsche­inlich.

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