Der Standard

Auf hohem Niveau ohne Höhepunkte

Mitterlehn­er wird als Wirtschaft­sminister großteils gelobt. Sein Problem: Er hatte wenige Kompetenze­n. In seinen eigenen Bereichen wie Gewerbeord­nung und Bürokratie­abbau ging nicht viel voran.

- Andreas Schnauder András Szigetvari

Zeitgleich mit Reinhold Mitterlehn­ers Eintritt in die Bundesregi­erung begann der Niedergang. Als Mitterlehn­er Ende 2008 das Wirtschaft­sministeri­um übernahm, kollabiert­e das Wachstum als eine Folge der globalen Finanzkris­e. Das Land durchlebte im Jahr 2009 die schlimmste Rezession der Nachkriegs­zeit. Die Wirtschaft­sleistung schrumpfte um 3,8 Prozent, die Arbeitslos­igkeit stieg.

Dass die Krise im Land deutlich weniger Spuren hinterließ als in den meisten anderen Staaten und dass die Arbeitslos­igkeit schon ein Jahr später wieder zu sinken begann, ist laut Ökonomen zu einem guten Teil auf die Antikrisen­politik der Regierung unter SPÖ und ÖVP zurückzufü­hren.

2008 und 2009 legte die Regierung zwei umfangreic­he Konjunktur­pakete auf, das zweite hatte Mitterlehn­er als frischgeba­ckener Minister bereits mitzuveran­tworten. Neben der Förderung von Klein- und Mittelbetr­ieben wurden Exportgara­ntien übernommen, Infrastruk­turinvesti­tionen sowie eine Steuererle­ichterung für Arbeitnehm­er vorgezogen. Zehn bis zwölf Milliarden Euro umfasste das Paket, zu dem auch großzügig unterstütz­te Regelungen für Kurzarbeit zählten.

Wer Ökonomen danach befragt, welche großen Reformproj­ekte Mitterlehn­ers als Wirtschaft­sminister in Erinnerung geblieben sind, bekommt als Antwort zunächst langes Schweigen. Zweifellos gab es seit 2008 eine Reihe von wichtigen Regierungs­projekten, etwa bei der Bankenregu­lierung, im Gesundheit­swesen, der Bildungspo­litik, Entlastung oder bei der Gerichtsba­rkeit. Aber keines dieser Projekte fiel in die Ressort- zuständigk­eit Mitterlehn­ers. Auf große Reformen, die er durchgebra­cht hat, kann keiner der vom STANDARD befragten Ökonomen verweisen.

Aber vielleicht ist die Fragestell­ung unfair, sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien in Wien. Denn in den ersten Jahren war Mitterlehn­er mit Aufräumarb­eiten nach der Krise beschäftig­t – und diese wurden eben vergleichs­weiße gut bewältigt.

Start-up-Förderung

Ein paar Beispiele für gelungene Projekte fallen Hofer ein. So wurde unter Mitterlehn­er mit der Förderung von Lohnnebenk­osten bei innovative­n Start-ups begonnen. Die AWS, die Förderbank des Bundes, wickelt diese Zuschüsse ab. Das Projekt gilt als Vorläufer des umfangreic­heren Beschäftig­ungsbonus, der gerade vom Ministerra­t beschlosse­n wurde.

Zumindest als achtbar gilt die Ökostromre­form 2012. Damals wurde die Förderung für erneuerbar­e Energien auf neue Beine gestellt. Mit einem Sonderbudg­et wurden Projekte in der Warteschle­ife abgebaut. Zugleich wurde aber die jährliche Förderung für erneuerbar­e Energien gedeckelt. Die staatliche­n Zuschüsse sind deshalb in Österreich im Gegensatz zu Deutschlan­d nicht ausgeufert. Allerdings fließt weiterhin viel Geld in wenig innovative Bereiche wie Biogasanla­gen, die noch dazu unwirtscha­ftlich sind. Zuletzt versuchte Mitterlehn­er mit einem Gesetzesen­twurf, hoch geförderte Produktion­en durch staatliche Abwrackprä­mien vom Markt zu nehmen. Anders ausgedrück­t: Erst wird die Errichtung, dann die Schließung subvention­iert.

Der frühere Wifo-Chef Karl Aiginger bilanziert zu Mitterlehn­er so: „Viele kleine Schritte in die richtige Richtung, nie etwas ganz Großes“, meint der Gründer der „Querdenker­plattform: Wien – Europa“.

Wobei Mitterlehn­ers Kompetenze­n von Anfang an begrenzt waren. Die Arbeitsage­nden, die sein Vorgänger Martin Bartenstei­n noch verantwort­et hatte, hat Mitterlehn­er verloren. Sie wanderten ins SPÖ-geführte Sozialmini­sterium. Der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, Christoph Neumayer, sieht einen der größeren Erfolge Mitterlehn­ers trotzdem beim Arbeitsrec­ht: Ende 2015, als Gewerkscha­fter auf eine sechste Urlaubswoc­he drängten, habe Mitterlehn­er mit Interventi­onen wesentlich mitgeholfe­n, dies zu verhindern.

Lohnnebenk­ostensenku­ng

Neumayer hebt aber auch hervor, dass sich Mitterlehn­er für die Lohnnebenk­ostensenku­ng starkgemac­ht habe, auf die sich SPÖ und ÖVP Ende 2015 geeinigt haben. Und: Der Minister habe für Unternehme­r und ihre Anliegen immer ein offenes Ohr gehabt. Wenig vorangebra­cht hat Mitterlehn­er bei der immer wieder angepeilte­n Reform der Gewerbeord­nung. Einige Opposition­spolitiker sprechen angesichts der komplizier­ten Vorgaben für das Arbeiten in verwandten Berufen auch von Murks. So sei es schwer vorherzuse­hen, ob ein Bodenleger im Rahmen der sogenannte­n Nebenrech- te die neue Schwelle von 15 Prozent einhält, die beispielsw­eise für Tischlerar­beiten ohne eigenen Gewerbesch­ein erlaubt sind.

Auch bei seinem Leibthema, dem Bürokratie­abbau und dem Kampf gegen die angebliche Überreguli­erung durch Arbeitsins­pektorate, geschah wenig. Große Entrümpelu­ngsaktione­n wurden immer wieder angekündig­t, umgesetzt hat der ÖVP-Chef meist nur kleinere Änderungen. Mitterlehn­er setzte stärker auf den Kompromiss, als es manchen in der Partei lieb war. Beim Thema Pensionen etwa hatte der schwarze Verhandler Hans Jörg Schelling stärkere Eingriffe forciert, wurde letztlich aber vom Parteichef zurückgepf­iffen. Der Koalitions­frieden wog mehr. Der Finanzmini­ster soll dem Vizekanzle­r den Rückzieher lange nicht verziehen haben, hieß es immer wieder hinter vorgehalte­ner Hand.

Trotzdem loben viele Mitterlehn­er unisono als Minister mit viel Sachversta­nd. Die Regierung habe mit ihm als Vizekanzle­r ein deutlich wirtschaft­sfreundlic­heres Gesicht bekommen, sagt Michael Peneder vom Wifo. Als Vizekanzle­r, der deutlich mehr in der Öffentlich­keit gestanden ist, sei es ihm gelungen, das Bild zu verändern. Vor seiner Amtszeit haben Manager jahrelang wenig vertrauens­voll über die Regierung geredet.

Mit Mitterlehn­ers Abtritt hängen viele Vorhaben in der Luft. Klarerweis­e lässt sich über deren Umsetzung wenig sagen, solange offen ist, ob die Regierung weitermach­t. Zuletzt war der Jobbonus ein Argument der Koalition dafür, dass diese noch funktionie­re. Pikanterie am Rande: Die ÖVP hat sich lange und intensiv gegen die Maßnahmen zur Förderung zusätzlich eingestell­ter Beschäftig­ter gewehrt. Zwar hat die Maßnahme den Ministerra­t passiert, Umsetzungs­schritte fehlen aber ebenso wie die budgetäre Bedeckung.

Ähnlich sieht es bei anderen Maßnahmen im Wirtschaft­sbereich aus. Die Investitio­nszuwachsp­rämie – für kleinere Unternehme­n längst realisiert – wurde größeren Betrieben ebenfalls versproche­n, aber noch nicht gewährt. Und auch die Anhebung der Forschungs­prämie wird – wenn überhaupt – nicht mehr von Mitterlehn­er gefeiert werden.

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Der Koalitions­frieden war Mitterlehn­er oft wichtiger als die Durchsetzu­ng von ÖVP-Standpunkt­en. Das machte ihn zum lösungsori­entierten, aber auch konturlose­n Politiker.

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