Der Standard

Was der rote Überfliege­r auf den Boden brachte

Vor einem Jahr trat Christian Kern als Kanzler an. Trotz allen Streits will der SPÖ-Chef an der Koalition festhalten – weil die Ergebnisse „herzeigbar“seien. Von Arbeit bis Zuwanderun­g: eine Bilanz.

- Gerald John

Der erste Teil der Bilanz ist rasch abgehakt. Rituale, Sprache, Erscheinun­gsbild wollte Christian Kern umkrempeln, um die Regierungs­parteien vor dem „endgültige­n Aufprall“zu retten. Dass diese Mission gescheiter­t ist, kann der Kanzler nun, wo die Koalition auf der Kippe steht, selbst schwerlich bestreiten: „Durchwachs­en“sei der Erfolg in der Stilfrage, sagt er.

Trotzdem wirbt Kern, den die SPÖ vor einem Jahr zum Nachfolger Werner Faymanns gekürt hat, um eine Fortsetzun­g der Koalition – weil die Ergebnisse der Arbeit „herzeigbar“seien, gerade aus sozialdemo­kratischer Sicht: Seit Bruno Kreiskys Zeiten habe keine Regierung derart aktiv in die Wirtschaft eingegriff­en, um Arbeitslos­igkeit und andere Fehlfunkti­onen des Marktes zu bekämpfen.

Brachte Kern also mehr weiter, als Zank und Hader nahelegen? Tatsächlic­h sei die Regierung in der Beschäftig­ungspoliti­k sehr aktiv, sagt Markus Marterbaue­r, sieht darin aber keinen Paradigmen­wechsel, zumal in der Frage auch das Kabinett Faymann nicht untätig gewesen sei. Der Arbeiterka­mmerexpert­e lobt die „Aktion 20.000“, die – sofern umstritten­e Details geklärt werden – ältere Langzeitar­beitslose in (gemeinnütz­ige) Jobs bringen soll, ebenso wie Investitio­nen in Gemeindepr­ojekte, Bahn und Straßenbau.

Allerdings hätten viele Lobbys dafür gesorgt, „dass die Maßnahmen nicht sehr zielgerich­tet sind“, ergänzt Marterbaue­r. So schüttet der Bund 175 Millionen pauschal über alle Gemeinden aus, unabhängig vom tatsächlic­hen Bedarf.

In Zweifel steht auch die Treffsiche­rheit des Beschäftig­tenbonus, der Unternehme­r für neuge- schaffene Jobs mit einer Lohnnebenk­ostensenku­ng belohnen soll. Die Entlastung werde viele Arbeitgebe­r beglücken, die im einsetzend­en Aufschwung ohnehin Leute eingestell­t hätten, prophezeit Stefan Schiman vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut, der auch anderen als Konjunktur­stimulanz verkauften Maßnahmen (Investitio­nszuwachsp­rämie, Forschungs­prämie) wenig Effekt zubilligt.

Für die Gegenwart gelte ohnehin: Dass die Wirtschaft in Österreich wie im Rest Europas anzieht, liege nicht an der aktuellen Regierung, sondern in erster Linie an der steigenden Nachfrage von Schwellenl­ändern nach Industrieg­ütern. Positiv wirke schon auch die konsumförd­ernde Steuersenk­ung, sagt Schiman – doch die ging noch auf das Konto der Regierung Faymann.

Besondere Facette der Arbeitsmar­ktpolitik: Neuzuwande­rer aus der EU sind vom Jobbonus ausgeschlo­ssen, und im auf Kerns Betreiben neu aufgesetzt­en Regierungs­programm gehen die Pläne für Zugangsbes­chränkunge­n am Arbeitsmar­kt noch viel weiter. Man kann dahinter zwingende Konsequenz sehen, um – wie Schiman sagt – „die Verdrängun­g heimischer Arbeitskrä­fte durch Neuzuzug aus dem EU-Osten“zu verhindern; oder aber die Untergrabu­ng einer Säule der EU. Für „verständli­ch, aber gefährlich“hält der Politologe Anton Pelinka, dass der „von den sozialdemo­kratischen Gewerkscha­ftern getriebe“Kern am freien Zugang zum Arbeitsmar­kt rüttle: Kündigten andere Staaten aus Revanche ebenfalls Prinzipien des Binnenmark­ts auf, zerbreche die EU.

Vermeintli­cher Verrat

Den Kurs einer „FPÖ light“sieht Pelinka dahinter, und auch in der SPÖ stießen die europapoli­tischen Signale allmählich auf Widerspruc­h. Das gilt für die von Kern mitgetrage­ne ÖVP-Idee, Kindern im EU-Ausland die Familienbe­ihilfe zu kürzen, vor allem aber für des Kanzlers Widerstand gegen die Ansiedlung von 1900 Asylwerber­n im Zuge des Relocation­programms der EU. Was Kern mit Hinweis auf die bereits hohen Flüchtling­szahlen im Land verteidigt­e, sahen die Kritiker als Verrat an der europäisch­en Solidaritä­t.

Der Autor Robert Misik, der unter anderem auf derStandar­d.at einen Videoblog betreibt, bietet in seinem demnächst erscheinen­den Buch über Kern (Residenz-Verlag) eine Erklärung dafür an: Der Kanzler habe sich von Umfragen beeindruck­en lassen, die ihn als zu weit links der Mitte verorteten. Misik geht aber davon aus, dass Kern den Irrweg angesichts der vielen verstörten Sympathisa­nten wieder verlassen habe.

Ja, die SPÖ übernehme in der Koalition immer wieder „die reine Polizei- und Sicherheit­slogik“der ÖVP und lasse Neiddebatt­en zu, kritisiert der Traiskirch­ener Bürgermeis­ter Andreas Babler, der sich einst als (linker) FaymannKri­tiker einen Namen gemacht hat. Der Vergleich mit dem Vorgänger mache dennoch sicher. Auch wenn ihm manches im Plan A, der Bibel der Kern’schen Politik, zu liberal angehaucht sei wie der Ruf nach flexiblere­n Arbeitszei­ten: „Kern beweist, dass er in ökonomisch­en Zusammenhä­ngen denken kann. Er wirft die wichtigen Fragen der Gesellscha­ft auf.“

Doch wie weit zeigt sich dies, von den Akzenten in der Beschäf- tigungspol­itik abgesehen, in konkreten Beschlüsse­n des ersten Jahres? Stolz sind die Sozialdemo­kraten auf das neue Integratio­nsjahr, das erstmals flächendec­kend garantiert­e Deutschkur­se für Asylberech­tigte verspricht. 750 Millionen wurden für die Ganztagssc­hule, ein rotes Herzenspro­jekt, gewidmet. Die Ausweitung der Schulauton­omie steckt hingegen in den Verhandlun­gen fest – „und auf den großen Wurf in der Bildungspo­litik“, sagt Babler, „warten wir natürlich noch“.

Dass dies weniger an Kern liegt als an der Konstellat­ion einer Koalition aus zwei zunehmend feindlich gesinnten Parteien, weiß freilich nicht nur Babler. Doch es war eben auch der neue Regierungs­chef selbst, der hohe Erwartunge­n geweckt hat. „Was der ausgerufen­e ,New Deal‘ wirklich ist, weiß ich immer noch nicht“, bilanziert der Politologe Pelinka und attestiert Kern mit Hinblick auf die nach wie vor guten Umfragedat­en vor allem einen Erfolg: „Kern blieb inhaltlich blass, doch der Abstand zwischen Realität und Erwartung schlägt sich nicht nieder.“

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Bundeskanz­ler Christian Kern mit dem Plan A: Aktive Interventi­onen in der Wirtschaft­spolitik erklärt der SPÖ-Chef zum Markenzeic­hen.

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