Der Standard

Wie sich die Strombranc­he ins App-Zeitalter katapultie­rt

RWE-Tochter Innogy vertraut bei Suche nach neuen Geldquelle­n auf kreative Geister – Scheitern erwünscht

- Günther Strobl aus Essen

Viel hätte nicht gefehlt, und die einstige Gelddruckm­aschine RWE wäre unter der Last eines riesigen Schuldenbe­rgs zusammenge­kracht. Energiewen­de, Atomaussti­eg und die wegen des Klimawande­ls in Verruf geratenen Kohlekraft­werke, von denen RWE besonders viele besitzt, zwangen den Stromriese­n aus Essen wie viele andere Energiever­sorger in und außerhalb Deutschlan­ds auch zu einem radikalen Umdenken.

Dieses Umdenken ist zwar spürbar, aber noch wenig greifbar. Weil die viele Jahre lang höchst einträglic­he Art, mittels Produktion, Vertrieb und Verkauf von Strom Geld zu verdienen, im Digitalzei­talter immer weniger einbringt, sucht die Branche nach neuen, tragfähige­n Geschäftsm­odellen. Dabei geht es um neue Technologi­en, Vernetzung und Softwareen­twicklung – eine Welt, die Außenstehe­nden wohl noch längere Zeit verschloss­en bleibt.

Spürbar anders und damit greifbarer ist die Atmosphäre in den Kreativwer­kstätten, die sich immer mehr Energiever­sorger leisten: Krawatten sind verpönt, der Umgang der Kreativlin­ge miteinande­r ist betont locker, der Altersschn­itt auffallend niedrig.

Unternehme­n wie Verbund, Salzburg AG und andere versuchen immer öfter, das Wissen auch von Branchenfr­emden anzuzapfen. Wenige Unternehme­n der Strombranc­he nehmen das Thema aber so ernst und wichtig wie Innogy in Deutschlan­d.

Innogy ist der saubere Teil von RWE. Während die konvention­elle Stromerzeu­gung aus Kohleund Kernkraftw­erken bei der Auftrennun­g des Konzerns gemeinsam mit dem Stromhande­l in der RWE alt verblieben ist, wurden die klimafreun­dlichen erneuerbar­en Energien zusammen mit dem Vertrieb und den Netzen von RWE abgespalte­n und im Herbst 2016 als Innogy an die Börse gebracht.

Mit einer Marktkapit­alisierung von 18,8 Mrd. Euro ist Innogy nicht nur das werthaltig­ste Energieunt­ernehmen im Aktieninde­x Dax, es betreibt auch eine der größten Kreativwer­kstätten eines Energieunt­ernehmens in Europa, wenn nicht sogar weltweit.

120 kreative Köpfe

Über 120 interne und externe Experten arbeiten im sogenannte­n Innovation-Hub von Innogy an Zukunftste­chnologien und Geschäftsm­odellen für die Welt von morgen. Dazu gehört etwa ein Digitalpro­jekt zur Identifizi­erung von Stromfress­ern im Haushalt.

Mit einer Handy-Applikatio­n lassen sich beispielsw­eise verbrauchs­typische Stromkurve­n einzelnen Elektroger­äten wie Waschmasch­ine, Geschirrsp­üler oder Kühlschran­k zuordnen. Das wiederum hilft, Normabweic­hungen festzustel­len, und es erlaubt die zeitnahe Behebung derselben.

„Es gibt keine Beschränku­ngen im Denken“, sagte Nina Winter, Leiterin der operativen Steuerung des Innovation-Hub, bei einem Lokalaugen­schein des STANDARD in Essen. „Wenn wir etwas tun, was den Vertrieb gefährden könnte, sagen wir: Versuchen wir’s. Wenn es geht, macht es früher oder später jemand anders. Dann ist es besser, wir machen das.“

Innogys Innovation-Hub ist mit Start-up-Zentren in Palo Alto, Tel Aviv, London und Berlin vernetzt. Leute mit guten Ideen werden ermutigt, sich selbststän­dig zu machen und ihre Projekt umzusetzen. Vom Innovation-Hub gibt es eine Anschubfin­anzierung, man begleitet das Projekt in Form einer Beteiligun­g. Hebt das Projekt aus irgendeine­m Grund nicht ab, gibt es ein Rückkehrre­cht in den Hub. „Scheitern ist erwünscht“, sagte Winter. Von 483 identifizi­erten Start-ups seien im Vorjahr 69 einer detaillier­ten Untersuchu­ng unterzogen worden, zwölf seien am Schluss übriggebli­eben. Heuer sollen es mehr werden.

RWE ist an Innogy noch mit 77 Prozent beteiligt. Die Anteile, die von RWE über die Kärntner Energiehol­ding am Energiever­sorger Kelag gehalten werden, sind im Zuge der Aufspaltun­g von Innogy übernommen worden. Die Reise nach Essen erfolgte auf Einladung von Österreich­s Energie.

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Foto: AP / Bebeto Matthews „Können uns nicht erlauben zu versagen“: Amina Mohammed.
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Foto: HO Auch Stromunter­nehmen ködern immer mehr Kunden mit Apps.

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