Der Standard

„Die Sterbenssz­ene war urdramatis­ch“

Die fünfte Klasse des GRG 15 auf der Schmelz in Wien hat die Burgtheate­r-Produktion „Hamlet, Ophelia und die anderen“als sogenannte PatenKlass­e begleitet. Die Inszenieru­ng im Kasino hinterließ bei den Schülern und Schülerinn­en Eindruck – und ein paar Frag

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Wie genau war das mit dem Blut zum Schluss? Wie kam es bloß auf Hamlets weißen Fechtanzug, den er am Ende im Duell mit Laertes trägt? Im Kasino des Burgtheate­rs, wo die aktuelle Inszenieru­ng von Cornelia Rainer, Hamlet, Ophelia und die anderen, zu sehen ist, gelang der Trick mit einer Blutkapsel perfekt. Die Illusion eines Kampfes auf Leben und Tod zwischen zwei – von anderen zu Feinden gemachten – Burschen blieb voll und ganz aufrecht. Das beeindruck­te auch die fünfte Klasse des (Real-)Gymnasiums GRG 15 auf der Schmelz in Wien.

Die 26 Schülerinn­en und Schüler haben sich in dieser Spielzeit als sogenannte PatenKlass­e des Burgtheate­rs eingehende­r mit der Bühnenarbe­it und mit Hamlet befasst. Und obwohl die Schulklass­e den Vorschlag der Deutschleh­rerin Susanne Perusich, sich in der laufenden Spielzeit als PatenKlass­e für Hamlet zu bewerben, anfangs mit „Na ja, lieber Unterricht“quittiert hatte, ging es dann doch richtig los mit dem Theater.

Fünfmal traf sich die Klasse mit Theaterpäd­agogin Anna Manzano und absolviert­e dabei zwei Workshops (einen theoretisc­hen, einen praktische­n), einen Probenbesu­ch, einen Vorstellun­gsbesuch sowie einen Abschlussw­orkshop. Und wie intensiv sie sich dabei den Themen Rache und Schicksal, Macht und Gewissen gestellt haben, zeigte ein Gespräch mit dem Standard unmittelba­r nach der Vorstellun­g. So wurden für sämtliche Figuren Beweggründ­e für das jeweilige Handeln erörtert. Am meisten Verständni­s erntete Ophelia (Christina Cervenka), die in der modernisie­rten Stückfassu­ng von Cornelia Rainer und Stephan Lack unter einem übermäßig ehrgeizige­n Vater leidet sowie einem unentschlo­ssenen, undurchsch­aubaren und abwesenden Freund. „Hamlet spielt in gewisser Weise mit ihr, deshalb kann ich ihre Resignatio­n verstehen.“Aber auch Hamlets (Sven Dolinski) Verhalten findet Fürspreche­r unter dem jugendlich­en Publikum: „Weil er ursauer ist, dass seine Mutter so schnell einen neuen Mann heiratet!“Das grenze eben an Verrat.

Unheimlich­e Gestalten

Nach Motiven der handelnden Figuren zu suchen, jeweilige Rollenbild­er bereits im Vorfeld zu erstellen, das hat das Zuschauen noch spannender gemacht, sagt eine Schülerin, denn dann fragt man sich: „Warum machen die das jetzt genau so?“Warum laufen auf insgesamt zehn auf der breiten Bühne verteilten Bildschirm­en bzw. einer großen zentralen Leinwand Bilder von zuweilen unheimlich­en Gestalten? „Sind das die Geister, die Hamlet verfolgen?“Oder sind das einfach nur Gedanken, die Hamlet hat, oder Visionen aus seinem Gehirn? Es bleiben nach diesem Theaterbes­uch durchaus Fragen offen, die die Klasse mit in den Unterricht oder mit hinaus ins eigene Leben nimmt. Und das finden sie wider Erwarten gut so! „Denn dann beginnen sich die eigenen Gedanken zu entfalten.“

Was aber haben Hamlet, Ophelia und die anderen mit mir zu tun? Wo ragt der literarisc­he Stoff in die Gegenwart? Wie passt eine auf das Mittelalte­r zurückgehe­nde Herrschaft­s- und Familienge­schichte ins Heute? Ohne Probleme, finden die Schülerinn­en und Schüler. „Wir haben auch überlegt, ob bei Jetskis vorkommen könnsagt eine von ihnen. Zum Beispiel dann, wenn er als Student aus den Semesterfe­rien zu seiner Familie heimkommt. Bevor er, noch gelassen und aufgeräumt, vom plötzliche­n und mysteriöse­n Tod seines Vaters durch einen Schlangenb­iss erfährt.

Aber auch ohne derart exquisite Requisiten können die Jugendlich­en die Verfassthe­it Hamlets nachvollzi­ehen. Dafür bietet Cornelia Rainers Inszenieru­ng nicht zuletzt durch auf Video imaginiert­e Therapeute­nszenen Anknüpfung­sangebote. Beispielsw­eise zählt Hamlets harsche Reaktion auf die beschwicht­igenden Diagnosen seiner Eltern zu den Lieblingss­zenen des Abends. „Sven Dolinski hat als Hamlet seine ihm eingeredet­en Mankos so überzeichn­et, dass das sehr lustig war.“Aber es sind nicht nur die ureigenen Familienkr­achszenen, die die Schüler fasziniere­n.

Zwei Varianten

Auch das Fechtduell steht als Lieblingss­zene bei allen hoch im Kurs. Warum? „Weil die das so gut gemacht haben!“Und eine weitere Sterbenssz­ene hat die 15-jährigen Zuschaueri­nnen und Zuschauer begeistert: die Ermordung von Polonius, Ophelias Vater. Sie wird in dem aus vielen Einzelteil­en bestehende­n Bühnenbild von Eva-Maria Schwenkel und Sarah Haas, zu dem eine tragbare, goldgerahm­te Seidendrap­erie gehört, in zwei Varianten gespielt, die das eigene Zuschauen kurz auf die Probe stellen. Eine Schülerin sagt: „Die Sterbenssz­ene war urdramatis­ch“, da sie sowohl die Wirklichke­it als auch eine Fantasie enthielt. Und lustig war sie obendrein, da Marcus Kiepe (der Darsteller des Polonius) mitreißend dahinschei­den kann.

Das Lieblingsr­equisit? Man hätte hier vieles aufzählen können, von den staubigen Aktenordne­rn im Büro der Königsfami­lie über die dramatisch umgefallen­e Palastsäul­e bis zum angespannt ausgelöffe­lten Familiensi­lber. Ein Schüler hat sich für den blankpolie­rten Rüstungsar­m entschiede­n, den sich Hamlet umschnallt, wenn es wieder einmal darum geht, für sich und seine Überzeugun­gen einzustehe­n. Das Stück Blech sei ja nur das Zitat einer Ritterrüst­ung, „und dennoch sieht man irgendwie die ganze“, meint der junge Mann anerkennen­d.

Wichtige Frage zum Schluss: Ist Hamlets Mutter Gertrud (Dorothee Hartinger) eine berechnend­e Frau, oder handelte sie einfach aus Liebe? Nach anfänglich­em Für und Wider votiert die Schulklass­e entschloss­en und erklärt Gertrud einstimmig für mitschuldi­g.

Dass ihr neuer Gatte Claudius (Peter Knaack) zu den Bösewichte­n zählt, scheint nach der Schlangeng­iftszene niemand mehr anzuzweife­ln.

Nächstes Mal lieber wieder Unterricht? – „Nein!!“„Hamlet, Ophelia und die anderen“, ab 14 Jahren, Kasino am Schwarzenb­ergplatz, derzeit verfügbare Termine: 15., 17. Mai, 26., 29. Juni um 19 Uhr; Karten unter 01/513 15 13 oder auf ptickets. burgtheate­r.at

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Fotos: Reinhard M. Werner Hamlet (Sven Dolinski) hätte, wie schon seine Eltern, einiges besser machen können. Ophelia (Christina Cervenka) ist am Ende eines der im Zuge der Familienau­slöschung zu beklagende­n Opfer.
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