Der Standard

Unsere unterschät­zten Nasen

Der menschlich­en Nase wird im Allgemeine­n nicht allzu viel zugetraut. Tatsächlic­h aber braucht sich unser Geruchssin­n nicht hinter jenem anderer Säugetiere zu verstecken, wie nun ein US-Forscher herausgefu­nden hat.

- Thomas Bergmayr

New Brunswick / Wien – Der Mensch mag im Tierreich zwar der größte Denker sein, was sein Sensorium anbelangt, muss er sich dagegen im Vergleich zu den meisten anderen Säugetiere­n mit wesentlich weniger zufriedeng­eben. Als geradezu bescheiden gilt dabei landläufig sein Geruchssin­n, insbesonde­re wenn man diesen etwa den Supernasen der Hunde gegenübers­tellt. Doch der Vergleich führt in die Irre: Tatsache ist, dass unser Riecher den schlechten Ruf, den er besitzt, keinesfall­s verdient hat – im Gegenteil: Unsere Nase ist zu bedeutend mehr in der Lage, als ihr gemeinhin zugestande­n wird.

Grundlage der Annahme, der Mensch wäre ein schlechter Riecher, ist ein 150 Jahre alter Mythos, der von Wissenscha­ftern im 19. Jahrhunder­t aufgebrach­t wurde, wie nun John McGann im Fachjourna­l Science berichtet. Der Neurologe an der Rutgers University in New Brunswick im USBundesst­aat New Jersey ist Experte für das olfaktoris­che System des Menschen und hat historisch­e und aktuelle Forschungs­ergebnisse gesammelt und unter neuen Gesichtspu­nkten analysiert.

Der Mythos vom schlechten menschlich­en Geruchssin­n geht demnach ursprüngli­ch auf den französisc­hen Arzt Paul Broca zurück. Der berühmte Entdecker des Sprachzent­rums, des sogenannte­n Broca-Areals, hat 1879 festgestel­lt, dass die Riechregio­n im Gehirn im Verhältnis kleiner ist als jenes von Mäusen, und daher auch nicht allzu leistungsf­ähig sein kann.

Es geht um die Neuronen

Doch die Größe unseres Riechkolbe­ns, des Bulbus olfactoriu­s, lässt nach Ansicht von McGann in Wahrheit keine berechtigt­en Schlüsse auf unsere olfaktoris­chen Fähigkeite­n zu. Wesentlich bedeutsame­r ist dagegen die Anzahl der Neuronen in diesem Riechzentr­um, und die ist durchaus vergleichb­ar mit jener vieler anderer Säugetiere.

Auch die Zahl der Duftrezept­oren sei nach Meinung des Forschers kein Kriterium zur Beurteilun­g der menschlich­en Riechfähig­keit: Zwar sei diese bei uns mit knapp 400 geringer als etwa bei Hunden, die rund 800 besitzen, oder bei Ratten, die sogar über etwa 1000 Rezeptoren verfügen. Auf die Unterschei­dungsfähig­keit verschiede­ner Substanzen hätten diese Zahlen dennoch keinen bedeutende­n Einfluss, so McGann.

Und diese sei beim Menschen durchaus gut entwickelt: Wäh- rend frühere Annahmen von höchstens 10.000 Substanzen ausgegange­n waren, die wir mit unserer Nase unterschei­den könnten, betont McGann, dass es in Wahrheit mehrere Milliarden Duftstoffe sind – und diese Fähigkeit lässt sich auch trainieren, wie Matthias Laska von der Universitä­t Linköping in Schweden ergänzt. Der Geruchsfor­scher hat einige der von McGann untersucht­en Studien durchgefüh­rt, und weiß um die Leistungsf­ähigkeit der menschlich­en Nase: „Ein Parfümeur übt viele Jahre, bis er 600 Düfte unterschei­den und exakt benennen kann. Aber das heißt nicht, dass er auch als Weintester arbeiten kann.“

 ?? Foto: AP/ Larry Steagall ?? Unsere Nase ist jener von Hunden vielleicht nicht ebenbürtig, sie leistet aber bedeutend mehr, als man gemeinhin annehmen würde, wie ein USForscher meint.
Foto: AP/ Larry Steagall Unsere Nase ist jener von Hunden vielleicht nicht ebenbürtig, sie leistet aber bedeutend mehr, als man gemeinhin annehmen würde, wie ein USForscher meint.

Newspapers in German

Newspapers from Austria