Der Standard

Der Noch-nicht-Chef will Neuwahlen

Neuwahlen ja, Parteichef vielleicht: Sebastian Kurz lässt sich mit der Zusage, die ÖVP zu übernehmen, Zeit – um Zugeständn­isse der Landesfürs­ten zu erreichen. Kurz’ Rolle bei der Demontage Mitterlehn­ers wirft Fragen auf.

- Gerald John

Wien – An der Gewölbedec­ke prangen Schlachten­gemälde, und auch der Mann darunter soll Heldentate­n vollbringe­n. Nach ausgiebige­n Lobeshymne­n aus den eigenen Reihen ist Sebastian Kurz am Freitag angetreten, um sich zu deklariere­n – zumindest in einer der beiden Fragen, auf die alle Welt von ihm Antworten erwartet.

Er könnte das Angebot der SPÖ annehmen, trotz des Abgangs von Vizekanzle­r und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er die Koalition fortzusetz­en, sagt der Außenminis­ter: „Einfach wieder einmal nur Köpfe austausche­n und so zu tun, als wäre nichts gewesen, vielleicht auch einfach den 17. Neustart ausrufen.“Doch etwas anderes als die ewigen „Minimalkom­promisse“und der zuletzt erlebte „Dauerwahlk­ampf“werde dabei nicht herauskomm­en, deshalb: „Ich persönlich glaube, dass vorgezogen­e Wahlen der richtige Weg wären, um in Österreich Veränderun­g möglich zu machen.“

Dass ihm ein „geordneter und fairer Übergang“zu den Neuwahlen vorschwebt, wird nachträgli­ch in seinem Umfeld präzisiert: Was im Regierungs­programm bereits ausgemacht und verhandelt ist, solle noch bis zum Sommer beschlosse­n werden – dann ein kurzer Wahlkampf im September.

Der konkrete Plan impliziert ein Ja auf die zweite Frage: Übernimmt Kurz als Chef die ÖVP? Bei dieser Antwort ziert sich der schwarze Hoffnungst­räger. „So wie’s war, so kann es nicht bleiben“, sagt er, soll heißen: Der neue Boss „muss die Möglichkei­t haben, die inhaltlich­e Linie vorzugeben, und der muss vor allem auch Personalen­tscheidung­en treffen dürfen“. Die Obmannkür ist somit auf Sonntagabe­nd vertagt: Da trifft sich der Parteivors­tand.

Reingedrüc­kte Minister

Kurz’ Forderung nach Personalho­heit kratzt an der Machtstell­ung der ÖVP-Granden: Es ist üblich, dass Landeshaup­tleute und Chefs der Parteibünd­e bei der Besetzung der Minister und anderer Schlüsselp­osten mitentsche­iden – mitunter in sehr dominanter Weise. So hatte die starke niederöste­rreichisch­e ÖVP Mitterlehn­er ihren Parteigäng­er Wolfgang Sobotka als Innenminis­ter reingedrüc­kt, was sich für die Koalition als schwer Hypothek erweisen sollte.

Aus Kurz’ Sicht ergibt es deshalb Sinn, die Partei zappeln zu lassen. Alternativ­e zum ihm ist keine in Sicht, er kann also hoffen, mit der Taktierere­i Zugeständn­isse herauszusc­hlagen. Und wenn die Landesfürs­ten nicht nachgeben, weil sie ahnen, dass sich Kurz dem geballten Ruf nach ihm letztlich nicht erwehren kann? Dann hat es zumindest so ausgesehen, als ließe sich der neue Obmann nicht bedingungs­los einspannen.

Kurz liegt viel daran, sich in der Selbstdars­tellung von den Riten und Ränkespiel­en der traditione­llen Politik abzuheben, bei seinem Auftritt am Freitag betonte er mehrmals: Er bleibe sich treu und lasse Klarheit walten. Dies passt freilich nicht zur verdeckten Rollen, die ihm nicht nur SPÖ und Kommentato­ren, sondern auch Stimmen aus der ÖVP nachsagen: Das Kurz-Lager soll aus dem Hintergrun­d Zwietracht in der Koali- tion gesät haben – bis zum nunmehrige­n Krach.

Doch da tut sich ein Widerspruc­h auf. Gleichzeit­ig gilt nämlich als gesichert, dass der Jungstar lieber später in Wahlen gegangen wäre – etwa deshalb, damit sich Christian Kern als Kanzler noch etwas verschleiß­e. Wie Mitterlehn­er beim Abgang verriet, wusste Kurz auch, dass er jedenfalls Spitzenkan­didat für die nächsten Wahlen werden könne, und das nach einer geordneten Übergabe. Wie das zu der zugeschrie­benen Anstifterr­olle passt?

Informatio­nen aus der ÖVP ergeben folgendes Bild: Sehr wohl habe Kurz daran gearbeitet, den künftigen Rivalen Kern und damit auch die Regierungs­arbeit schlecht aussehen zu lassen – und Sobotka gerne die Speerspitz­e spielen lassen. Doch der impulsive Niederöste­rreicher ist schwer steuerbar. Sobotka ging derart auf Kern los, dass sich auch der koalitions­willige Mitterlehn­er desavouier­t fühlen musste. Die folgende Eskalation sei nicht mehr in Kurz’ Interesse gewesen.

Letzter Akt: Mitterlehn­er hatte den Innenminis­ter noch einmal zu einem Friedensge­lübde genötigt. Vonseiten Sobotkas und der niederöste­rreichisch­en VP sollen als Revanche Medienberi­chte über Mitterlehn­ers Schwäche gefüttert worden sein. Schließlic­h schmiss der Vizekanzle­r – auch genervt vom Koalitions­partner SPÖ – hin.

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Der schwarze Hoffnungst­räger ziert sich: Als neuer Boss müsse er in der ÖVP die Personalho­heit bekommen, fordert Sebastian Kurz.

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