Der Standard

Neue Krise Berlin – Ankara

Deutsche türkischst­ämmige Journalist­in im Gefängnis

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Istanbul/Athen – Zehn Tage saß sie schon im Gefängnis, dann bekamen deutsche Medien Wind davon. Am Freitag reagierte dann auch die deutsche Bundesregi­erung: Eine weitere Journalist­in ist in der Türkei inhaftiert worden. Anders als der Korrespond­ent der Tageszeitu­ng Die Welt, Deniz Yücel, soll Meşale Tolu, eine türkischst­ämmige Deutsche, nur noch einen deutschen Pass haben. Das macht ihren Fall diplomatis­ch noch heikler. Denn die türkischen Behörden haben die deutsche Regierung nicht über die Inhaftieru­ng der 33-Jährigen informiert.

Außenamtss­precher Martin Schäfer forderte Zugang für deutsche Vertreter zu Tolu. Die Türkei müsse diesen Fall „nicht nur anständig, sondern auch völkerrech­tsgemäß“behandeln.

Tolu wurde in den frühen Morgenstun­den des 30. Aprils in ihrer Istanbuler Wohnung von einem Kommando der türkischen Polizei festgenomm­en. Ihren zweieinhal­b Jahre alten Sohn soll sie notgedrung­en bei den Nachbarn abgegeben haben. Tolus Ehemann Suat Çorlu, ein führendes Mitglied der kleinen Sozialisti­schen Partei der Unterdrück­ten (ESP) war bereits Anfang April in Polizeigew­ahrsam genommen worden. Die Festnahme der Journalist­in Tolu war Teil einer Razzia gegen linke Aktivisten vor den Kundgebung­en zum 1. Mai.

Tolu arbeitete als Übersetzer­in für die ebenfalls linksgeric­htete kurdische Nachrichte­nagentur Etha (Etkin Haber Ajansi). Am 5. Mai wurde sie offiziell in Untersuchu­ngshaft genommen, gemeinsam mit Ömer Sezgin, einem Kollegen von Etha. Die türkische Justiz wirft ihr Verbreitun­g terroristi­scher Propaganda vor.

165 Journalist­en in Haft

Mit Tolu und Sezgin stieg die Zahl der inhaftiert­en Journalist­en in der Türkei auf 165. Seither kam noch der französisc­he Pressefoto­graf Mathias Depardon hinzu und, am Freitag, der Chef der Onlineausg­abe der wichtigste­n türkischen Opposition­szeitung Cumhuriyet, Oguz Güven. Deren Chefredakt­eur und elf weitere Kolumniste­n sitzen bereits seit einem halben Jahr in Haft. In der Türkei gilt seit Juli 2016 der Ausnahmezu­stand. (mab)

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