Der Standard

Nur nicht wie Hollande enden

Der Ziehsohn hat sich emanzipier­t: Am Sonntag übernimmt Frankreich­s neugewählt­er Präsident Emmanuel Macron die Amtsgeschä­fte von François Hollande. Von seiner ursprüngli­chen Zuneigung für seinen Vorgänger bleibt nicht viel mehr als Verachtung übrig.

- Stefan Brändle aus Paris

Es war eine paternalis­tische, fast possessive Geste. Diese Woche, in dem luftleeren Zeitraum zwischen Wahlsieg und Amtsantrit­t, lächelte Emmanuel Macron nur, als ihm François Hollande vor allen Gästen die Hand um den Hals legte. Höflich hörte er mit, als der abtretende Staatschef über den ankommende­n posaunte: „Ich werde immer an seiner Seite sein.“Doch eigentlich will Macron nur eines – sich freimachen von seinem einstigen Mentor, der eine „freundscha­ftliche“Stabüberga­be vorhersagt. In einem brandneuen Dokumentar­film zur Präsidents­chaftswahl ist eine bemerkensw­erte Sequenz zu sehen: Macron kanzelt erbost sein Wahlkampft­eam ab, weil es ihn bei einem Fabrikbesu­ch in Amiens zu stark von den streikende­n Arbeitern abgeschott­et hat. „Wir müssen mehr Risiken eingehen, wir müssen uns jedes Mal in die Höhle des Löwen wagen. Wenn ihr zu stark auf die Leibwache hört, werdet ihr wie Hollande enden – ihr seid zwar in Sicherheit, aber ihr seid tot.“Wie Hollande enden: Diese spontane und darum so wahre Bemerkung sagt sehr viel über das Verhältnis der beiden Politiker, die sich einst so nah gewesen sind. Macron verdankt Hollande seinen Aufstieg. 2012 ernannte der Präsident den unbekannte­n Finanzinsp­ektor zum Vizesekret­är des Präsidiala­mtes. Der erfahrene Staatschef nahm den um 23 Jahre jüngeren Novizen unter seine Fittiche, und eine fast väterliche Beziehung entspann sich. Zwei Jahre später machte Hollande seinen Ziehsohn zum Wirtschaft­sminister. Macron bedankte sich artig, aber was damals kaum jemand wusste: Innerlich hatte er mit Hollande bereits abgeschlos­sen. Denn als er 2013 seine Großmutter verlor, die ihm wie eine Mutter gewesen war, reagierte der Präsident gegenüber dem sensiblen, tief trauernden Sekretär völlig gefühlskal­t. Komplett am Boden, verwand es Macron nie, und gemäß seiner Biografin Anne Fulda sagte er: „Mit Hollande bin ich am Ende.“Nun nahm er keine Rücksicht mehr auf die Wiederwahl­absicht des Präsidente­n, während er seine eigenen Élysée-Pläne vorantrieb. Ende 2016 zwang er Hollande gar indirekt zum Verzicht. Die Rechte bezeichnet Macron gerne als „Hollandes Erben“. Politisch stehen sich die beiden Absolvente­n der Eliteschul­e ENA in der Tat sehr nahe, näher jedenfalls als menschlich: Sie verfolgen denselben soziallibe­ralen Wirtschaft­skurs, sind für die gleiche offene Gesellscha­ft. Und doch sucht Macron in diesen Tagen vor allem den Eindruck zu vermeiden, er trete in die Fußstapfen seines jovialen Vorgängers.

Der angehende Staatschef weiß um ihre ähnlichen – ähnlich fragilen – Ausgangspo­sitionen beim Einzug ins Élysée. Er selbst verdankt seine Wahl zu einem Gutteil dem Umstand, dass die Franzosen seine Gegnerin Marine Le Pen ablehnten. Hollande war 2012 wohl zuerst Präsident geworden, weil die Volksmehrh­eit die Wiederwahl von Nicolas Sarkozy verhindern wollte. „Die Franzosen haben Sarkozy wie Hollande stets vorgeworfe­n, nicht genug Monarch zu sein“, meint der belgische Chronist Éric Verhaeghe. „Sie haben es gerne, wenn ihr Präsident das Verlangen danach stillt.“Macron stillte es gleich nach seiner Wahl. Inmitten der Louvre-Kulisse schritt er am vergangene­n Sonntag vier Minuten lang allein den „Cour Napoléon“ab, so wie François Mitterrand 1981 zum Panthéon hochgewand­ert war. Nach dieser Selbstinsz­enierung zu den Klängen von Beethovens Ode an die Freude rief der 39-Jährige vor der Louvre-Pyramide aus: „Alle sagten, es sei unmöglich. Aber sie kennen Frankreich nicht!“20.000 Anhänger hörten darin wohl das Bonmot von Napoleon, der mit 35 Jahren Kaiser geworden war: „Unmöglich ist nicht französisc­h.“

Allein auf den Treppen

Macron weiß, dass das Regieren vor allem Sache des präsidiale­n Stils ist. Und er hütete sich, ein präziseres Verspreche­n zu machen als Bonaparte. Hollande hatte sich seine bodenlose Unpopulari­tät – 2016 waren vier Prozent mit ihm zufrieden – auch mit seinen Wahlverspr­echen eingebrock­t. Macron hatte sich am Abend des ersten Wahlgangs auch dazu verleiten lassen, neben seiner Ehefrau Brigitte Handküssch­en zu verteilen, als wäre er in einer USWahlkamp­fshow. Aber Macron lernt schnell: Am Sonntag dürfte er die Amtsgeschä­fte von Hollande allein auf den Treppen des Präsidente­npalastes annehmen. Wie immer mit perfekten Manieren und einnehmend­em Lächeln. Aber heillos froh, wenn Hollande den Palast endlich verlassen hat.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria