Der Standard

Heimopfer: Republik will Kuckuck schicken

Ein ehemaliges Heimkind hat geklagt und behauptet, von Lehrern misshandel­t worden zu sein. Die Republik hat gewonnen und kann sich vom Kläger 10.000 Euro holen. Die Zwangsvoll­streckung ist schon bewilligt.

- Renate Graber

Wien – Die „ehemaligen Heimkinder“, die die Stadt Wien auf Schadeners­atz geklagt und wegen Verjährung ihrer Ansprüche verloren haben, kämpfen nun mit neuen Problemen. Sie müssen die Prozesskos­ten der Gegenseite bezahlen, also jene der Stadt Wien, in deren Heimen sie einst zu Gewaltopfe­rn wurden. Außer die Gemeinde verzichtet auf die Einbringun­g, was sie nach Prüfung der Einzelfäll­e bisher getan hat.

In einer dieser Causen – in der auch der Vorwurf geäußert wurde, dem Bund unterstehe­nde Lehrer hätten Gewalt geübt – war auch die Republik Österreich involviert, als Nebeninter­venientin (Streithelf­erin) auf Seite der beklagten Stadt Wien. Auch der Republik wurden im rechtskräf­tigen Urteil die Prozesskos­ten zugesproch­en. Es geht um einen Prozess, in dem ein heute 55-jähriger Wiener auf Basis der Amtshaftun­g u. a. Schmerzens­geld eingeklagt hat. Er verlor das Verfahren 2014.

Anfang April flatterte ihm nun die „Bewilligun­g der Fahrnis- und Gehaltsexe­kution“ins Haus. Der Mann ist berufsunfä­hig, die von der Finanzprok­uratur vertretene Republik kann sich auf Basis des Exekutions­titels jederzeit rund 10.000 Euro von ihm holen, plus vier Prozent Zinsen ab April 2014.

„Prügelatta­cken“

Aus der 2013 eingebrach­ten Klage des Mannes (hatte Verfahrens­hilfe) geht sein „Heimkind“Schicksal hervor, aus der Klagebeant­wortung der Stadt Wien der Umgang mit dem Kläger. Zwischen seinem vierten und 18. Lebensjahr war der Wiener immer wieder in städtische­n Heimen untergebra­cht, in sieben verschiede­nen. Auch in den berüchtigt­en Heimen auf der Hohen Warte und am Wilhelmine­nberg. Laut seiner Darstellun­g sei er dort „vom Heimperson­al permanent psychisch und physisch misshandel­t sowie ... sexuell missbrauch­t worden“.

Es habe „Prügelatta­cken des Heimperson­als“gegeben – all diese Missstände und Misshandlu­ngen seien der Stadt bekannt gewesen. Er selbst habe schwere Schäden erlitten, eine schwere Behinderun­g sei die Folge gewesen. Zudem sei er von Lehrern im Lehrlingsh­eim malträtier­t worden.

Der Anwalt der Stadt Wien wies das in seiner Klagebeant­wortung Ende 2013 zurück: Der Kläger sei „leider in sehr ungünstige­n Ver- hältnissen aufgewachs­en und schon vor der Heimunterb­ringung 1972 verhaltens­auffällig“gewesen. Und: Die Stadt „bestreitet, dass es in ihren Heimen ... beim Kläger zu den physischen und psychische­n Misshandlu­ngen und zu jenem sexuellen Missbrauch kam ...“

Zur Erinnerung: Die Stadt Wien zahlte den „Heimkinder­n“zwischen 2010 und 2016 in einem anonym geführten Procedere Entschädig­ungen aus, 52 Millionen Euro. Der Kläger bekam 25.000 Euro. Im Herbst des Vorjahres hat sich die Republik offiziell bei den Gewaltopfe­rn entschuldi­gt.

Republik führt Prüfung durch

Warum alle Kläger abgeblitzt sind? Ihr Argument, die Verjährung­sfristen hätten wegen der Verdrängun­g ihrer traumatisc­hen Erlebnisse erst später zu laufen begonnen, ging nicht durch. Die Ansprüche sind verjährt, entschied auch die letzte Instanz.

Und holt sich die Republik nun ihre rund 10.000 Euro vom arbeitslos­en Kläger? Der Präsident der Finanzprok­uratur, Wolfgang Peschorn: „Wir nehmen die Anfrage zum Anlass, den Zahlungspf­lichtigen um seine wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit zu fragen, und werden prüfen, ob er den offenen Betrag begleichen kann.“

Detail am Rande: Laut Gerichtsun­terlagen hat der Kläger dem Bürgermeis­ter der Stadt Wien, Michael Häupl, „ab 2003 geschriebe­n, um ihn von den Misshandlu­ngen auf der Hohen Warte zu informiere­n. 2007 schrieb er einmal an Alfred Gusenbauer und vierbis fünfmal an Häupl, bekam aber keine Antwort.“

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Ein Schlafsaal im Heim auf dem Wiener Wilhelmine­nberg, das 1977 über Nacht geschlosse­n wurde.

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