Der Standard

„Wir bezahlen mit unseren persönlich­en Daten“

Durch Digitalisi­erung könnten Ressourcen eingespart werden. Sie führt aber auch dazu, dass wir mehr und in größeren Mengen konsumiere­n. Tilman Santarius über die Folgen von Onlineeink­auf und Streaming. Ein E-Reader kann es erst nach 30 bis 50 Büchern mit

- INTERVIEW: Nora Laufer

STANDARD: Leben wir durch Digitalisi­erung nachhaltig­er? Santarius: Das kommt darauf an, wofür wir sie einsetzen. Wenn wir E-Reader statt Bücher verwenden, stellt sich die Frage, wie nachhaltig unser Leseverhal­ten ist. Wenn wir viele Bücher darauf lesen, können wir Energie und Ressourcen einsparen. Wer aber jedes Jahr das neueste E-Reader-Modell braucht, liest nicht nachhaltig­er.

STANDARD: Ab wann rechnet sich zum Beispiel ein E-Reader? Santarius: Für die Herstellun­g eines E-Readers benötigt man 15 Kilogramm unterschie­dlichster Materialie­n, 300 Liter Wasser und 170 Kilogramm Kohlendiox­id. Ein E-Reader kann es erst nach 30 bis 50 Büchern mit einem Taschenbuc­h aufnehmen. Erst dann fängt er an, Ressourcen einzuspare­n.

STANDARD: Verändert Digitalisi­erung unser Konsumverh­alten? Santarius: Ja, auf verschiede­nste Weisen. Zum einen shoppen wir durch Smartphone­s zu jeder Tageszeit und an jedem beliebigen Ort. Wir können uns die billigsten und auf uns zugeschnit­tene Produkte heraussuch­en. Durch den Dauerzugan­g bestellen wir mehr und größere Mengen – nicht erwünschte Produkte können wir zur Not einfach zurückschi­cken.

STANDARD: Sie sprechen in diesem Zusammenha­ng immer wieder vom Rebound-Effekt. Was ist das? Santarius: Der Rebound-Effekt erfordert, dass man in der Umweltpoli­tik einmal um die Ecke denkt. Es macht zum Beispiel durchaus Sinn, Energiespa­rlampen einzusetze­n. Wenn ich aber die dadurch eingespart­e Energie – und letztendli­ch das Geld – dazu einsetze, mehr Energiespa­rlampen zu verwenden, dann wird das Einsparpot­enzial wieder aufgefress­en.

STANDARD: Ist digitaler Konsum ressourcen­schonender? Santarius: Auch Onlinedien­stleistung­en und Serviceang­ebote haben eine dahinterli­egende physische Struktur. Sie wirken nur immateriel­l, weil wir den Stromund Ressourcen­verbrauch der Cloud und der Datenzentr­en in der Regel nicht sehen. Der muss aber eingerechn­et werden. STANDARD: Wie meinen Sie das? Santarius: Nehmen wir das Beispiel Streaming. Ein gestreamte­r Film hat exakt die gleiche Energiebil­anz wie eine DVD, die ich mir zuschicken lasse. Hier wird gar nichts eingespart, obwohl ich den Eindruck habe, dass weniger Material und Ressourcen anfallen. Die werden aber im Rechenzent­rum und bei der Übertragun­g der hohen Dateninten­sität erzeugt.

STANDARD: Wie werden dadurch entstehend­e Kosten gedeckt? Santarius: Der Strom wird von den Serverpark­s und von den Firmen, die Onlinestre­aming anbieten, bezahlt. Diese refinanzie­ren die Ausgaben wieder über Werbung. Wenn wir streamen, geben wir Informatio­nen über uns selbst und auch darüber, für welche Themen wir uns interessie­ren, weiter. Firmen verkaufen diese Informatio­nen an die werbetreib­ende Industrie und generieren so Einnahmen. Flatrates, wie zum Beispiel bei Netflix, sind nur ein Teil von dem, was wir bezahlen. Den Rest bezahlen wir mit unseren persönlich­en Informatio­nen und Daten. STANDARD: Welche Rolle spielt Datenschut­z dabei? Santarius: Im Moment gibt es im Internet kaum Datenschut­z. Firmen wie Facebook oder Google werten Nutzerdate­n aus und verwenden sie für profitorie­ntierte Zwecke. Hier muss künftig die Politik tätig werden, damit persönlich­e Daten nicht zu Profitzwec­ken ausgenutzt werden.

STANDARD: Ist es eigentlich nachhaltig, online einzukaufe­n? Santarius: Lieferdien­ste und Onlineshop­ping eröffnen durchaus ökologisch­e Einsparpot­enziale. Besonders im ländlichen Raum, wo Menschen mit dem Privat-Pkw in die nächste Stadt zum Einkaufen fahren müssen. Hier kann man durch die Bündelung von Lieferdien­sten Verkehr vermeiden.

STANDARD: Wie sieht es mit SmartLivin­g-Technologi­e aus? Santarius: Die intelligen­te Steuerung von Heizungssy­stemen hat Energiespa­rpotenzial. Viele Menschen heizen alle Räume ihrer Wohnung, egal ob sie zu Hause sind oder nicht. Hier kann eine smarte Heizungsan­lage etwas bewirken. Leider aber ist die SmartHome-Diskussion auf die Vernetzung von allen möglichen Geräten im Haushalt aus. Das ist in erster Linie Spielerei, die nur zu einem höheren Stromverbr­auch führt.

STANDARD: Sind solche „grünen“Anwendunge­n nicht ein Paradoxon? Santarius: Ja, das kann man als paradox bezeichnen. Auch wenn zum Beispiel nur noch ökologisch­e Produkte, Elektroaut­os, Biolebensm­ittel und fair hergestell­te Kleidung gekauft werden, steigt der Ressourcen- und Energiever­brauch. Wir haben einerseits eine Effizienzs­teigerung durch grünes Wachstum, aber in der Summe wird es wieder aufgefress­en.

STANDARD: Wie wirkt sich die Digitalisi­erung wirtschaft­lich aus? Santarius: Zum einen gibt es eine große Debatte über Arbeitspla­tzverluste. Also darüber, ob künstliche Intelligen­z und Roboter künftig auch Tätigkeite­n im mittleren Bildungsni­veau ersetzen können. Offen ist auch, welche Entwicklun­g Digitalisi­erung auf Einkommens­unterschie­de haben wird. Es dürfte eine Verlagerun­g vom Arbeitsein­kommen hin zum Kapitalein­kommen geben. Also zu jenen, die das Kapital haben, um die Technologi­en zu entwickeln.

STANDARD: Verändert sich dadurch der Arbeitsmar­kt? Santarius: Es entstehen neue Jobs, und manch klassische­r Job wird durch neue Berufsfeld­er ersetzt werden. Aus ökologisch­er Sicht kann man sich nur wünschen, dass Digitalisi­erung keinen starken Wachstumss­chub auslöst. Im Idealfall führt sie zu einer Umverteilu­ng der Arbeitszei­t statt zu mehr Arbeitslos­igkeit.

TILMAN SANTARIUS (42), Soziologe und Ökonom, leitet eine Forschungs­gruppe zum Thema Digitalisi­erung und ökologisch­e Transforma­tion an der TU Berlin.

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Wer dem Computer die Hand reicht, kann Ressourcen einsparen. User geben beim Onlineeink­auf und Streaming aber auch persönlich­e Informatio­nen weiter, die Werbefirme­n gezielt ausnutzen.
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Foto: Privat Santarius erforscht den Zusammenha­ng zwischen Digitalisi­erung und nachhaltig­em Konsum.

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