Der Standard

Der EU-Trumpf im Brexit- Spiel

Großbritan­nien ist massiv von Bankenabwa­nderung betroffen. Doch richtig ernst könnte es werden, wenn die EU ihren größten Trumpf zieht und die Abwicklung von Euro-Derivaten in London untersagt.

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Frankfurt/Wien – Alle paar Tage die gleiche oder ähnliche Nachricht: Banken mit Sitz in London kündigen an, Jobs nach Frankfurt, Paris oder andere Finanzmetr­opolen in der EU zu verlegen. HSBC, UBS, JPMorgan, Deutsche Bank und viele andere große Institute werden hunderte, in einigen Fällen sogar tausende Stellen in Großbritan­nien streichen. Ob London mit einem Abgang von Finanzleut­en im kleinen einstellig­en Bereich davonkommt oder ob der befürchtet­e Exodus bevorsteht, hängt stark von einer Frage ab: der Zukunft des Euro-Clearings.

In der Finanzwelt werden allein am Devisenmar­kt billionens­chwere Geschäfte abgewickel­t – am Tag, um sich gegen Währungssc­hwankungen oder Zinsveränd­erungen abzusicher­n oder von Kursentwic­klungen zu profitiere­n. Geht es um Abwicklung­en in Euro, hat London eine führende Stellung inne. Drei Viertel aller Zinsderiva­te und knapp die Hälfte aller Fremdwähru­ngstransak­tionen in der Gemeinscha­ftswährung werden in der „City“vorgenomme­n. Allein im Devisenber­eich stehen täglich Volumina von 850 Milliarden Euro in London auf dem Spiel.

Das könnte sich mit dem Brexit ändern. Starke EU-Player haben sich bereits in Stellung gebracht, um den Briten die Vormachtst­ellung abspenstig zu machen. Die EU-Kommission hat zwar erst Op- tionen auf den Tisch gelegt, doch von politische­r Seite und auch aus der Europäisch­en Zentralban­k werden die Rufe lauter, das Clearingge­schäft außerhalb der EU zu untersagen. Dabei tritt eine Partei zwischen Käufer und Verkäufer, um die Abwicklung der Transaktio­nen vorzunehme­n.

Diese Funktion ist verpflicht­end, um Kettenreak­tionen zu unterbinde­n, wenn ein Partner bei den milliarden­schweren Geschäften ausfällt. Die mit Abstand größte derartige Stelle ist das von der Londoner Börse kontrollie­rte Clearingha­us LCH.

Die EZB hat in der Vergangenh­eit schon Initiative­n gestartet, um die Dominanz Londons zu bre- chen. Die für den Euro wichtigen Einrichtun­gen hätte man gerne innerhalb der Währungsun­ion angesiedel­t gewusst. Nur so sei sichergest­ellt, dass die EZB bei Liquidität­s- oder Kreditrisi­ken rechtzeiti­g durchgreif­en könne, lautete die Argumentat­ion. Rechtliche Schritte scheiterte­n allerdings an der Gegenwehr der Briten, die sich 2015 beim Europäisch­en Gerichtsho­f durchsetzt­en. Die damalige Regierung argumentie­rte nach der Entscheidu­ng, dass nur die Mitgliedsc­haft in der EU den Fortbestan­d der Clearinghä­user gesichert habe.

Damit dürfte es in zwei Jahren vorbei sein, weshalb die Zentralban­k neuerlich auf das Thema setzt. „Wenn die Briten nicht mehr im Binnenmark­t sind, schauen die Dinge anders aus“, erklärte dazu Österreich­s Notenbankc­hef Ewald Nowotny. Insider rechnen sogar damit, dass Brüssel schon vorher Schritte zum Transfer des Clearings auf den Kontinent unternehme­n wird. Starker Druck kommt dabei aus dem Europaparl­ament. Der Chef der konservati­ven EVP, Manfred Weber, hat bereits offen einen Abzug der Geschäfte aus London gefordert.

Für Großbritan­nien geht es nach Schätzunge­n der Beratungsg­ruppe Ernst & Young um 83.000 Jobs, die direkt betroffen wären. Indirekt wären sogar mehr als 200.000 Stellen gefährdet. (as)

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In der City of London werden wichtige Euro-Finanzgesc­häfte abgewickel­t. Sollte die EU den Briten diese Transaktio­nen untersagen, wackeln weitere 200.000 Jobs im Finanzsekt­or.

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