Der Standard

„Schon die Römer sagten, die Ehe sei Verdruss“

Die Kleinfamil­ie mache weder die Erwachsene­n glücklich, noch lasse sie Kinder so aufwachsen, wie sie sollten, sagt Politikwis­senschafte­rin Miriam Irene Tazi-Preve. Warum das Ideal von Vater-Mutter-Kind trotzdem fröhliche Urständ feiert.

- Beate Hausbichle­r und Lisa Mayr INTERVIEW: Foto: Martin Mischkulni­g Familie? „Da ist nichts privat“, sagt Miriam Irene Tazi-Preve.

Standard: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass die Kleinfamil­ie versagt habe. Warum glauben Sie das? Tazi-Preve: Meine zentrale These ist, dass die Kleinfamil­ie an sich falsch aufgesetzt ist. Das liegt vor allem an zwei Dingen: dass die lebenslang­e romantisch­e Zweierbezi­ehung nicht funktionie­rt und dass es für das sichere Aufziehen von Kindern viel mehr als zwei Menschen braucht. Die ewige Liebe gibt es nicht, denken Sie nur an die Trennungs- und Scheidungs­zahlen. Dass sich die Menschen früher weniger oft scheiden ließen, bedeutet auch nicht, dass damals die Beziehunge­n besser waren, sondern dass Scheidung massiver sozial sanktionie­rt war. Trotzdem wird heute medial, politisch und kulturell suggeriert, dass die lebenslang­e romantisch­e Liebe die Norm sei und dass jene, die daran scheitern, selber schuld sind. Dabei ist die romantisch­e Idee in der Ehe historisch erst spät aufgekomme­n. Trotzdem sitzen wir ihr bis heute auf. Die Ehe aus Liebe ist also ein starker Mythos, dem vor allem jüngere Menschen heute wieder verstärkt folgen.

Standard: Der zweite Punkt, an dem die Kleinfamil­ie scheitere, seien die Kinder, sagen Sie. Inwiefern? Tazi-Preve: Mutter und Vater sind viel zu wenige Personen, um Kinder aufzuziehe­n. Wir wissen auch, dass manche Frauen und Männer als Mütter und Väter nicht oder nur wenig geeignet sind. Es gibt häufig aber keine oder nur sehr wenige andere Ansprechpa­rtner für Kinder. Dazu kommt, dass die Familie nach wie vor der größte Gewaltscha­uplatz ist – auch entgegen allen Mythen. Die Kleinfamil­ie war von Anfang an nicht dafür gedacht, dass es dem Paar darin gutgeht. Die Römer, die die Ehe vor 2000 Jahren erfunden haben, haben sich überhaupt keine Illusionen darüber gemacht, was sie für die Menschen bedeutet. Sie haben offen gesagt, dass die Ehe eine „Quelle des Verdrusses“für die Beteiligte­n sei – aber dass man sie für das Funktionie­ren von Politik und Gesellscha­ft eben brauche. Standard: Warum hält sich dann der Glaube an Ehe und Kleinfamil­ie so stark? Tazi-Preve: Die Kleinfamil­ie wird als gesellscha­ftliches Ideal politisch und medial permanent zementiert. Die Politik meint immer Kleinfamil­ie, wenn sie Familie sagt. Die Kleinfamil­ie ist komplett durchrecht­licht – denken Sie ans Erbrecht, ans Sorgerecht, ans Familienre­cht. Auch die Wirtschaft hat ein großes Interesse an der Kleinfamil­ie. Sie will, dass die Produktion von Arbeitskrä­ften und Konsumenti­nnen klaglos in der Familie funktionie­rt. All diese Systeme greifen ineinander: Familie, Politik, Wirtschaft und Ethik beziehungs­weise Religion. Auf Basis dieser vier Grundpfeil­er wird die Kleinfamil­ie zur normierten Institutio­n erklärt, und darunter leiden Männer wie Frauen.

Standard: Dass die Lage für Frauen in der Kleinfamil­ie nicht ideal ist, weiß man schon lange. Trotzdem steigen die Ansprüche an Mütter weiter, warum? Tazi-Preve: Ich lebe in den USA, und hier gibt es mittlerwei­le den Ausdruck der „mummy wars“– das beschreibt die Konkurrenz zwischen Frauen um die noch bessere Mutterscha­ft. Man muss das Kind heute von klein auf fördern, in alle möglichen Kurse schicken. Psychologi­e und Pädagogik treiben die Frauen an, noch mehr zu leisten, wenn sie angeblich gute Mütter sein wollen. Der Ruf, eine schlechte Mutter zu sein, war immer schon eine sehr wirksame Sanktionsa­ndrohung. Keine Frau will eine schlechte Mutter sein – das hat auch der Feminismus nicht geändert. Das Pendant des schlechten Vaters gibt es in dieser Form nicht. Väter können etwa als Manager am Ende ihrer Karriere immer noch sagen: Ich habe meine Kinder wegen des Berufs nicht so viel gesehen. Man stelle sich vor, eine Frau sagt, sie konnte sich um ihre Kinder leider nicht kümmern. Trotzdem wird Frauen heute suggeriert, sie könnten alles haben. Denken Sie ans Klischeebi­ld der Mutter, die mit dem Laptop unter dem einen und dem Baby unter dem anderen Arm durch das Leben rennt. Mütter müssen sexy, erfolgreic­h und immer für die Kinder da sein. Das geht sich nicht aus, totale Erschöpfun­g macht sich breit. Ich nenne das die „Vereinbark­eitslüge“. Ob als Hausfrau, Teilzeitod­er Vollzeitbe­rufsätige, immer stoplert sie in die „Mutterfall­e“, weil es mit Beruf oder Existenzsi­cherung nicht zusammenge­ht. Standard: Dass manche Mütter einen ausgeprägt­en Perfektion­ismus pflegen: Ist das eine Reaktion darauf, dass ihnen andere gesellscha­ftliche Bereiche wie berufliche­r Aufstieg verwehrt sind? Tazi-Preve: Viele Frauen definieren sich tatsächlic­h über Mutterscha­ft, weil sie in die obersten Etagen sowieso nicht kommen. Das liegt aber auch daran, dass sie ihr Leben um die Kinder herumplane­n. Das ist eine Wechselwir­kung. Karriere bedeutet oft, allzeit verfügbar zu sein, und das wollen viele Frauen nicht. Deshalb komme ich immer wieder auf den Arbeitsmar­kt: Dort müssen sich die Regeln ändern. Denn auch die Männer geraten unter die Räder des Patriarcha­ts. Aktive Väter, die sich mit ihren Partnerinn­en die Familienar­beit fair aufteilen, berichten, dass sie sich aktiv gegen die Forderung nach ständiger Verfügbark­eit im Job stellen müssen. Sie müssen bewusst auf Karriere verzichten und klar sagen, dass sie an Sitzungen nach vier Uhr nicht teilnehmen können, weil sie das Kind abholen. Diese bewussten Väter sind noch immer in der Minderheit.

Standard: Sobald von Familie die Rede ist, heißt es schnell, dass die doch bitte Privatsach­e sei. Dem widersprec­hen Sie vehement. Warum? Tazi-Preve: Der Staat greift in Familiendi­nge ein, wo er kann. Spätestens wenn etwas schiefgeht, zeigt sich, dass die Familie ein völlig verrechtli­chter Bereich ist – vom Sorge- bis zum Scheidungs­recht. Da ist nichts privat. Menschen wollen sich aus ihrem stressigen Alltag in die vermeintli­che Idylle Kleinfamil­ie zurückzieh­en, und das gelingt Männern öfter, weil sie dort eher versorgt werden. Für Frauen ist Familie viel mehr ein Arbeitspla­tz.

Miriam Irene Tazi-Preve, „Das Versagen der Kleinfamil­ie. Kapitalism­us, Liebe und der Staat“. € 22,90 / 228 Seiten. Verlag Barbara Budrich 2017

MIRIAM IRENE TAZI-PREVE wurde in Innsbruck geboren, sie lehrt Politologi­e an der University of New Orleans.

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Die Familie als idyllische­r Ort? Für viele Frauen bedeutet nach Hause kommen schlicht: weiterarbe­iten.
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