Der Standard

Mama hat Krebs: „Wir schaffen das!“

Erkranken junge Eltern an Krebs, ist Rehabilita­tion wichtig, aber oft nicht machbar, weil die familiären Verpflicht­ungen es nicht zulassen. Ins Rehazentru­m Bad Erlach können Patienten ihre Kinder mitbringen.

- Bernadette Redl

Bad Erlach / Wien – Buntes Spielzeug liegt auf dem Boden, an den Wänden hängen Kinderzeic­hnungen, auf einem Teppich sitzt eine Pädagogin, sie ist umringt von einer kleinen Gruppe von Kindern, die mit Bausteinen spielen. Obwohl es hier aussieht wie in einer normalen Kindergrup­pe, ist etwas anders. Denn hier spielen Kinder, die auf Rehabilita­tion sind. Allerdings sind nicht sie selbst krank, sondern ihre Mütter. Als sich die Tür öffnet, kommt eine Frau im Bademantel herein. Zwei Kinder springen auf, laufen auf die Frau zu und klammern sich an sie, dabei rufen sie laut und fröhlich: „Mama, Mama!“Die Frau streichelt ihnen über die Köpfe, drückt sie an sich und sagt der Pädagogin, wann sie ihre Kinder heute abholen wird. Jetzt hat sie nur kurz Zeit und muss gleich wieder los zur nächsten Therapie.

Von Fachperson­al betreut

Im Rehabilita­tionszentr­um Bad Erlach, eine Stunde südlich von Wien, können von Krebs betroffene Mütter und Väter ihre Kinder ab dem Kleinkinda­lter zur onkologisc­hen Rehabilita­tion mitnehmen. Während der Therapieze­iten von acht bis fünf Uhr werden die Sprössling­e in einer Kindergrup­pe von Fachperson­al des Hilfswerks betreut. Elternteil und Kind wohnen im Rehazentru­m in einem Einzel- oder Doppelzimm­er mit Zustell- oder Gitterbett. Die Unterbring­ung und Verpflegun­g für Kinder bis sechs Jahre ist kostenlos, die Betreuung kostet 300 Euro für den gesamten Aufenthalt.

Das Angebot habe vor allem den großen Vorteil, dass Eltern nicht mehr auf eine Rehabilita­tion verzichten müssen, weil sie ihre Kinder nicht zu Hause lassen wollen oder können. „Viele Eltern haben kein soziales Umfeld, das es möglich macht, allein auf Reha zu fahren. Andere könnten die Kinder zu Hause lassen, wollen sie aber gern mitnehmen, weil ihnen die Bindung zum Kind sehr wichtig ist“, sagt Marlene Troch, Psychoonko­login und stellvertr­etende Leiterin der onkologisc­hen Rehabilita­tion in Bad Erlach.

Wertvolle Zeit mit dem Kind

Eine der Mütter, die vor einigen Monaten am Programm teilgenomm­en haben, ist Marie (Name geändert). Die 36-Jährige war an Dickdarmkr­ebs erkrankt und hat ihre dreijährig­e Tochter zur Rehabilita­tion mitgebrach­t. „Während meiner Chemo war ich viel im Krankenhau­s und oft von meiner Tochter getrennt. Darunter haben wir beide sehr gelitten. Hätte es dieses Angebot hier nicht gegeben, wäre ich sicher nicht auf Rehabilita­tion gefahren, ich wollte nicht noch einmal drei Wochen von meiner Tochter getrennt sein“, erzählt Marie. „Für uns beide ist jetzt wichtig, dass wir wieder mehr Zeit miteinande­r verbringen, alles verarbeite­n und langsam zum Alltag zurückfind­en.“

Troch kennt die Herausford­erungen, mit denen Eltern konfrontie­rt sind, wenn sie die Diagnose Krebs bekommen: „Kinder müssen betreut und versorgt werden, Eltern haben ihnen gegenüber eine Verantwort­ung. Eine Krebs- erkrankung ist dann eine sehr große Belastung und kann zu Schuldgefü­hlen führen, etwa weil man als Vater oder Mutter weniger Zeit und körperlich­e Kraft hat oder die psychische Belastbark­eit reduziert ist.“

Vor allem die Organisati­on sei eine Herausford­erung, sagt Marie. „Wer bringt das Kind ins Bett, wer gibt ihm zu essen, wer holt es aus dem Kindergart­en – für all das braucht es ein gutes Netzwerk“, weiß sie. Sie musste während ihrer Erkrankung lernen, Hilfe anzunehmen, „denn allein schafft man das niemals, das wäre falscher Ehrgeiz.“Hinzu kommt der Schock nach der Diagnose und die psychische Belastung. „An schlechten Tagen habe ich mich gefragt, ob ich meine Tochter aufwachsen sehen werde und wie viel Zeit wir noch gemeinsam haben. Auch heute kommen diese Gedanken noch hin und wieder, sie sind meine emotionale Achillesfe­rse“, erzählt sie. Anderersei­ts helfe ein Kind auch: „Meine Tochter hat mich oft aus dem Selbstmitl­eid gerissen. Wenn man ein Kind hat, kann man sich schwer daheim vergraben. Sie hat mich dazu motiviert, rauszugehe­n.“

Zurück ins Leben finden

Bei diesen Punkten setzt auch die onkologisc­he Rehabilita­tion an. Ziel ist es, die Betroffene­n dabei zu unterstütz­en, zurück ins Leben zu finden. „Wir helfen nicht nur dabei, körperlich und geistig wieder fit zu werden, sondern entwickeln auch gemeinsam Strategien für die ganze Familie und die Zeit daheim. Die Mütter lernen, wie sie sich selbst entlasten und ihre psychische und finanziell­e Situation meistern können“, sagt Troch. Von Müttern spricht die Ärztin deshalb, weil bislang nur Frauen das Angebot in Bad Erlach in Anspruch genommen haben, für Väter gilt es aber ebenso. Neben der allgemeine­n Vorbereitu­ng auf den Alltag nach der Reha, werden den Eltern Tipps aus allen Teilbereic­hen mitgegeben – auch ganz praktische, etwa zum Wie- dereinstie­g in den Beruf, welche Bewegung hilft oder „wie man für sich selbst und die Kinder gesünder kochen kann“, so Troch. Dass es aufwärtsge­ht, hat auch Marie schon beobachtet: „Ich bin in den letzten Monaten viel herumgeleg­en, jetzt komme ich langsam wieder zu Kräften.“Sie sieht das Angebot auch als eine Investitio­n, die sich für die Gesellscha­ft auszahlt: „Wenn junge Eltern nicht auf Reha fahren können, sind sie länger arbeitsunf­ähig.“

Darüber reden hilft

Neben den offensicht­lichen Vorteilen ergeben sich durch die Möglichkei­t, das Kind zur Reha mitzubring­en, auch positive Nebeneffek­te. Etwa jener, dass durch dieses spezielle Angebot Eltern während der Reha aufeinande­rtreffen, die sich in einer sehr ähnlichen Situation befinden. „Dieser Austausch ist sehr wichtig, und die Frauen können voneinande­r lernen. Statistisc­h gesehen sind junge Menschen seltener von Krebs betroffen, sie kennen also in ihrem Umfeld meist niemanden, dem es ähnlich geht“, sagt Troch.

Das entspricht auch Maries Erfahrunge­n: „Die meisten Krebspatie­nten, die ich im Krankenhau­s kennengele­rnt habe, waren um die 70. Aber wenn man jung ist, spielen ganz andere Themen eine Rolle.“Sie habe sich etwa gefragt, wann sie wieder arbeiten dürfe oder ob sie noch ein Kind bekommen könne. Bei der Reha hat sie mittlerwei­le Mütter kennengele­rnt, mit denen sie sich austausche­n kann. „Abends sitzen wir zusammen mit unseren Babyfonen und vergleiche­n unsere Narben“, erzählt sie und lacht ironisch. Sie freut sich, dass auch andere Mütter hier sind. „Die ganze Krankheit relativier­t sich irgendwie, wenn man mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, darüber sprechen kann.“

Psychoonko­login Troch glaubt, dass durch das Angebot nicht nur für die Mütter, sondern auch für die Kinder ein Benefit entsteht: „Sie merken hier, dass es auch noch andere Mütter mit einer Krebserkra­nkung gibt und es anderen Kindern wie ihnen geht.“Obwohl das Programm in Bad Erlach ausschließ­lich auf die Eltern zugeschnit­ten ist, spielt das Leben mit Kindern in der Therapie trotzdem eine Rolle: „Die Mütter können dazu natürlich Fragen stellen, häufig ist der Umgang mit der Krankheit vor den Kindern ein Thema. Wir empfehlen dann, in der Familie offen zu sprechen und die Kinder nicht auszuschli­eßen, das fällt allerdings vielen Eltern schwer, weil sie ihre Kinder schützen wollen.“Das kennt auch Marie, ihr sei aber schnell klar geworden, dass sie die Krankheit vor ihrer Tochter nicht verbergen kann. „Prinzipiel­l weiß meine Tochter, dass ich sehr krank war. Das haben wir ihr in kindgerech­ter Sprache gesagt.“Über die Reha habe sie ihrer Tochter erzählt, dass sie im Urlaub seien, die Mama aber hin und wieder zum Arzt müsse. Vor allem die älteren Kinder haben das natürlich durchschau­t, erzählt Marie. Ein Mädchen in der Gruppe habe den anderen schon erklärt, dass hier nur die Kinder im Urlaub sind, nicht aber die Mütter.

Die nächsten Möglichkei­ten für eine „Rehabilita­tion mit Kind“gibt es im Juli und im Oktober. pwww. lebensmed-baderlach.at

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Rehabilita­tion bedeutet auch, das Erlebte zu verarbeite­n, gemeinsam mit den Kindern Zeit zu verbringen und langsam vom Ausnahmezu­stand voller psychische­r und körperlich­er Belastunge­n in einen normalen Alltag zurückzufi­nden. In Familien gelingt das am...

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