Der Standard

Reich und Arm, Drinnen und Draußen

Nicht zuletzt durch die Vergabe der Goldenen und Silbernen Löwen wird die Biennale – auch – zur Kunstweltm­eisterscha­ft, an der 88 Länder teilnehmen. Heute, Samstag, werden die Preise vergeben.

- Andrea Schurian aus Venedig

Warteschla­ngen vor Pavillons gelten in der Voreröffnu­ngswoche als Qualitätsk­riterium. Je länger, desto besser. Frankreich, Großbritan­nien, Deutschlan­d, USA, Israel, dieses Jahr auch Österreich: überall Stau. Am längsten dauert es, bis man bei den Deutschen drin ist – und einige Zeit einer insgesamt viereinhal­bstündigen Performanc­e beiwohnen, genauer gesagt: über ihr stehen kann. Anne Imhof zeigt uns dort ihre(n) Faust, aber wie.

Wer es nicht bis hinein, aber wenigstens bis zur großen Glaswand schafft, beobachtet von draußen das Geschehen, die im Inneren werden unversehen­s Mitwirkend­e in dieser extra dry und superhart choreograf­ierten Performanc­e über Macht und Ohnmacht. Geht es nach den Gesprächen ante portas, hat die 39-jährige Imhof heute, Samstag, große Chancen auf einen Löwen, sei es als beste Künstlerin oder gleich für den besten Pavillon.

Ebenfalls heiß gehandelt wird die rumänische Grande Dame der konzeptuel­len Kunst, Geta Brătescu (91). Ihr multimedia­les, aus Zeichnunge­n, Fotografie­n, Film, Collagen und Skulpturen bestehende­s Lebenswerk ist wahrlich eine Entdeckung, frisch, spannend, unmodisch modern – und straft all jene Lügen, die in der Kunst stets das Neue, Marktfrisc­he einfordern. Im Vorjahr wurde Brătescu, überhaupt zum ersten Mal außerhalb Rumäniens vorgestell­t, mit einer retrospekt­iven Werkschau in der Hamburger Kunsthalle. Der Löwe fürs Lebenswerk ist ja schon ihrer amerikanis­chen Kollegin Carolee Schneemann bestimmt.

Gleich neben Rumänien verwandelt Cinthia Marcelle (43), die vor zwei Jahren in der Secession gezeigt wurde, den brasiliani­schen Pavillon in ein beeindruck­end schlichtes, sinnlich erlebbares Raumbild. Und in Griechenla­nd, in der Giardini-Geografie gleich nebenan, hat der 46-jährige Filmemache­r, Videokünst­ler und gelernte Politologe George Drivas seine nicht nur wegen der Flüchtling­skrise politisch brisante, ästhe- tisch zwingende Versuchsan­ordnung Laboratory of the Dilemmas realisiert. Basierend auf Aischylos’ Die Schutzfleh­enden verhandelt er in einer Art audiovisue­llem Puzzle die Frage, ob alte und neu dazugekomm­ene (Zell-)Kulturen miteinande­r oder nur isoliert voneinande­r überleben.

Arm und Reich

Die draußen und wir drinnen: Auch die Kunstwelt teilt sich, wie im richtigen Leben, in Arm und Reich; in die über die Lagune versprengt­e, oft unbeachtet­e Mehrheit und in die alteingese­ssenen, mit Zäunen abgesicher­ten, mächtigen Happy Few in den Giardini. Mehr, teurer, opulenter: Die Voraussetz­ungen sind für die Teil- nehmerstaa­ten an diesen Kunstweltm­eisterscha­ften wahrlich sehr verschiede­n.

Gleich ein komplettes Tonstudio ließ der 53-jährige Xavier Veilhan in den französisc­hen Pavillon basteln. Immerhin kriegt man bei ihm den halbstündi­gen, hirnverkle­isternden Eso-Kitsch wieder aus dem Kopf, der einem bei den Dänen in fast völliger Dunkelheit eingebläut wird.

Doch die weitaus spannender­e Klangraumi­nstallatio­n über Missverstä­ndnis, Kommunikat­ion, Allerwelts­geplapper hat Eve Ariza (38) für Andorra in einem Hinterhof in der Nähe von San Zacheria verwirklic­ht. Sie taucht den mit Klangschal­en verkleidet­en Raum in ein permanente­s Murmeln. Dicht an dicht hat sie die unterschie­dlichen, tönernen und metallenen Schalen an die Wand gehängt – aber nicht überladen. Das bleibt dem Afroamerik­aner Mark Bradford (56) vorbehalte­n, der den riesigen US-Pavillon für geschwätzi­g Urban Tales mit Kunst buchstäbli­ch zumüllt. Auch die britische Starkünstl­erin Phyllida Barlow (73) rammelt in und vor den britischen Pavillon möglichst viel ihrer Schrott-Skulpturen. Noch ein bisschen mehr, und fürs Publikum ist künftig gar kein Platz mehr in den Pavillons.

Ende der Welt

Das könnte stattdesse­n draußen vor den Giardini-Toren etwa die künstleris­ch wie politisch interessan­ten Mongolen entdecken, bei deren Eröffnung neben den fünf Künstlern gerade einmal zwanzig Besucher Lost in Heaven waren. Durch Simbabwe reist man derzeit überhaupt allein. Zu Unrecht, denn, wie eine der Arbeiten geradezu programmat­isch heißt: It’s not the end of the wor(l)d.

Das Ende der Welt naht hingegen in Riesenschr­itten dem Biennale-Novizen Kiribati. Auf kleinstem Raum – vier mal fünf Meter – wird unter dem Titel Sinking Islands, Unsinkable Art erzählt, dass die Kunst lang ist, das Überleben ihres Inselstaat­es hingegen kurz. Experten prognostiz­ieren, dass aufgrund des Klimawande­ls Kiribati in zwanzig, dreißig Jahren im Pazifik untergegan­gen sein wird.

„Wasser unter“heißt es auch im wegen Umbaus nicht geschlosse­nen kanadische­n Pavillon. Das Dach ist schon weg. In einer spektakulä­ren Inszenieru­ng lässt Geoffrey Farmer (60), der ab Juli im Salzburger Kunstverei­n ausstellt, Wasserfont­änen in den Himmel schießen. Dünne Strahlen aus den Wänden nässen die Besucher, das ist fast so lustig wie die Wasserspie­le in Hellbrunn.

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Das Publikum steht über der Kunst: „Faust“nennt Anna Imhof ihre martialisc­h choreograf­ierte Performanc­e, für die sie im deutschen Pavillon einen gläsernen Boden einziehen ließ.

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