Hier bist du Vogelfutter
Ein neuer dreiteiliger Abend des Wiener Staatsballetts an der Volksoper
Wien – Das Original von Michail Fokines Balletts Petruschka (1911) zur Musik von Igor Strawinsky würden heute viele als frauenfeindlich und rassistisch bezeichnen: wegen der eitlen Ballerina darin und dem bösartigen „Mohren“, der den Titelhelden umbringt. Der Wiener Tänzer und Choreograf Eno Peci wagt eine Neuinterpretation, zu sehen an erster Stelle des dreiteiligen Abends Der Feuervogel, den das Wiener Staatsballett gerade frisch an der Volksoper zeigt.
Peci hat das Libretto über den traurigen Kasperl Petruschka umgemodelt in die Geschichte eines idealistischen Lehrers (Davide Dato), der zwischen Klassenzimmer und Privatleben aufgerieben wird. Den Fokine’schen „Mohren“verwandelt er in eine dämonische Schuldirektorin mit weißblonder Perücke, deren Kostüm-Vorderseite das Gesicht eines Außerirdischen mit den dafür typischen schrägen schwarzen Augen andeutet. Rebecca Horner, die kürzlich zur Solotänzerin der Compagnie avanciert ist, tanzt diesen Part wirklich überzeugend.
Konsequenter kritisch könnte das Stück sein, wenn Dato und Horner die Rollen tauschen. Denn was uns heute das Leben ähnlich vermiest wie das von Pecis Petruschka, ist vorwiegend eine von Männern betriebene Struktur. Jedenfalls bietet diese Petruschka- Auslegung reichlich Stoff für Diskussionen. Was beim Staatsballett eher rar ist.
Und damit die Überraschung auch wirklich sitzt, bietet Andrey Kaydanovskiys Der Feuervogel zum Abschluss des Abends ebenfalls Zeitkritik. Wieder die Adaption eines Balletts von Fokine und Strawinsky, diesmal aus dem Jahr 1910. Auch hier tanzt Horner mit – die Rolle der Vasilissa –, und abermals ist sie brillant. Die Geschichte: Gieriger Besitzer eines Kaufhauses (der Name „Universal“prangt in Kyrillica auf dem Schaufenster), wird von armem Aufsteiger-Iwan abgelöst, den die neue Machtrolle in das Ebenbild seines Vorgängers verwandelt.
Auf zwei Regalen im Inneren des Kaufhauses steht in kyrillischen Buchstaben zu lesen: „Hier bist du – Vogelfutter“. Der Choreo- graf ist nicht nur der Spross von Andrej Tarkowkis Stalker- Hauptdarsteller Alexander Kaidanovsky, sondern sichtlich auch ein Spaßvogel: Daher tanzt im Stück auch ein Hot Dog an. Diese Feuervogel- Reinterpretation ätzt sichtlich gegen männerherrschaftlichen US-Kapitalismus im Allgemeinen und wider Putins Oligarchenparadies im Speziellen.
Zwischen Petruschka und dem Feuervogel lässt András Lukácz sehr feine Movements to Strawinsky tanzen. Leider kam diese Aufführung am Donnerstag tänzerisch etwas verwackelt daher. Insgesamt ein interessanter Abend (Dirigent: David Levi), der unverdient mit eher zurückhaltendem Applaus quittiert wurde. Die nächsten Aufführungen finden in der Wiener Volksoper am 16., 21. und 23. 5. statt.