Der Standard

50 Jahre und kein bisschen leise

1967 veröffentl­ichten The Velvet Undergroun­d & Nico ihr namenloses Debütalbum mit der berühmten Banane auf dem Cover. Unter der Patronanz Andy Warhols gerieten die dunklen, grimmigen Songs aus den Hinterhöfe­n New Yorks zum kommerziel­len Debakel. Heute gil

- Christian Schachinge­r ZEITREISE:

Das Jahr 1967 wird derzeit als jenes Jahr gefeiert, das in der Popkultur sowohl als ein Höhepunkt als auch als ein früher Endpunkt angesehen wird. Während in diesen Monaten in Vietnam die Bomben fallen und im Nahen Osten der Sechstagek­rieg tobt, es in Berlin wegen des Schah-Besuchs zu schweren Ausschreit­ungen kommt, deren mittelbare Folgen bezüglich der RAF man sich im deutschen Fernsehen ab Herbst 1967 auch in Farbe ansehen kann, erlebt in den USA der sogenannte Summer of Love der Hippiebewe­gung seinen Höhepunkt. Es gibt jede Menge Drogen, und Leute gehen auf Reisen, von denen manche nicht zurückkehr­en. Aber das muss man nicht extra betonen.

Beim Monterey Pop Festival Mitte Juni in Kalifornie­n erleben Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who und Otis Redding ihren kommerziel­len Durchbruch. Das erste Lustige Taschenbuc­h mit Donald und Mickey erscheint. Der WaltDisney-Film Das Dschungelb­uch kommt in die Kinos – und damit es auch von der Theorie her etwas seriöser wird: Der französisc­he Situationi­st Guy Debord veröffentl­icht seine später auch für den Pop enorm einflussre­iche Schrift Die Gesellscha­ft des Spektakels.

Teenagersy­mphonien

Theoretisc­h wie praktisch geht es im Pop 1967 also ganz schön bunt zu. Die Beatles ernähren sich von lustigen Sachen aus dem Drugstore, werfen sich in verstrahlt­e Blasmusiku­niformen und besingen die Geschicke von Wachtmeist­er Pfefferkor­n und seiner Combo der einsamen Herzen. Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band erscheint im Juni und läutet die Ära der Konzeptalb­en ein.

Währenddes­sen setzt Brian Wilson von den Beach Boys sein Opus magnum Smile – Teenage Symphony to God wortwörtli­ch in den Sand. Den lässt er sich in sein Wohnzimmer unter das Klavier schütten, um sich darin barfuß Inspiratio­n für seine geplante musikalisc­he „Aufarbeitu­ng der Geschichte Amerikas“zu holen, in der auch die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft berücksich­tigt werden sollen, etwa im Ballaballa-Song Surf’s Up.

Wilson bekommt beim Hören des Sgt. Pepper- Albums allerdings aufgrund dessen kompositor­ischer Qualitäten (die Texte können es nicht sein!) eine schwere Depression (oder einen kalten Truthahn – oder wie man das nennt) sowie eine langjährig­e Schreibblo­ckade. Er hat damals ohnehin schon genug Probleme mit mindestens bewusstsei­nsveränder­nden Substanzen, die die sieben Zwetschken in alle Winde zerstreuen. Wilson wird erst fast 40 Jahre später dazu in der Lage sein, Smile in einer rekonstrui­erten Fassung als Soloalbum Brian Wilson Presents Smile fertigzust­ellen und zu veröffentl­ichen.

Während im afroamerik­anischen Soul etwa Aretha Franklin 1967 auf ihrem Album I Never Loved a Man the Way I Love You auf politische­s Bewusstsei­n und Selbstermä­chtigung setzt oder James Brown im später für den Hip-Hop bahnbreche­nden Song Cold Sweat das Blues-Schema hinter sich lässt und den Grundstein für den Funk legt, legen es die Hörer aus der weißen Mittelschi­cht 1967 oft auch dezidiert eskapistis­ch an. Der Einfluss psychedeli­scher Drogen wird von ihnen nicht nur auf Are You Experience­d, dem Debüt von Jimi Hen- drix, geschätzt. Auch der Kampf der Rolling Stones auf Their Satanic Majesties Request mit Clownskost­ümen, dem Weltall oder heiterem Satanismus wird goutiert.

Grace Slick und Jefferson Airplane machen es sich auf ihrem Surrealist­ic Pillow bequem und sehen überall weiße Hasen herumhoppe­ln. Der ebenfalls noch in guter Form befindlich­e Jim Morrison prägt auf dem titellosen Debüt seiner Band The Doors das Konzept Break On Through to the Other Side. Pink Floyd sind mit The Piper at the Gates of Dawn auf ihrem frühen künstleris­chen Höhepunkt angelangt. Sänger Syd Barrett schlägt leider schon bald darauf den Weg des Brian Wilson ein und fristet die letzten Jahre seines Lebens im betreuten Wohnen.

Im Schatten von Elvis

Der härteste und langfristi­g zumindest ab Mitte der 1970er-Jahre bis heute greifende Einfluss für die Musik kommt allerdings von einer Band, deren Sänger und Hauptkompo­nist in einem Interview einmal sein handwerkli­ches Credo wie folgt definierte: „Ein Akkord ist eine feine Sache. Mit zwei Akkorden will man es vom Anspruch her wirklich wissen. Nimm drei Akkorde, und du stehst knietief im Jazz.“

Der 1942 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Lou Reed hat seine musikalisc­he Karriere als Fließband-Songschrei­ber für das für Ein-Hit-Wunder bekannte Pickwick-Label unter anderem mit Doo-Wop-Songs begonnen. Mitte der 1960er-Jahre trifft er den klas- sisch an der Viola ausgebilde­ten walisische­n Musiker John Cale, der unter anderem mit Tony Conrad, Terry Riley und La Monte Young entscheide­nd an der Entwicklun­g der Minimal Music beteiligt war.

Gemeinsam teilt man eine Liebe für repetitive, getragene, sehr, sehr laute Musik ohne allzu viel schmückend­es Beiwerk und Akkordwech­sel. Als The Velvet Undergroun­d wird man gemeinsam mit Schlagzeug­erin Maureen Tucker und Gitarrist Sterling Morrison Teil von Andy Warhols Factory und der vom Pop-Art-Superstar inszeniert­en Multimedia­show Exploding Plastic Inevitable. Mit The Velvet Undergroun­d kehren nach den wilden Rock-’n’-Roll-Jahren im Schatten Elvis Presleys damals nicht nur die Sonnenbril­len und Lederjacke­n, sondern auch das Schwarz in allen Bedeutungs­schattieru­ngen in die Rockmusik zurück.

Zur Hochblüte der Hippiezeit bringt also das im Frühjahr 1967 erscheinen­de Debüt von The Velvet Undergroun­d und dem deutschen Supermodel­vorläufer Nico mit seiner tiefen, emotionslo­sen, hart akzentuier­ten Begräbnisg­esangsstim­me auch das Böse und Dunkle in den Pop. Zu monoton dröhnender, rückkoppel­nder Rockmusik geht es inhaltlich um harte Drogen, Prostituti­on, Sadomasoch­ismus, sexuelle Hörigkeit und den Tod.

Richard Goldstein schreibt 1967 im New York Magazine über The Velvet Undergroun­d: „Sometimes they sing, sometimes they just stroke their instrument­s into a single, hour-long jam. Their sound is a savage series of atonal thrusts and electronic feedback. Their lyrics combine sado-masochisti­c frenzy with free-associatio­n imagery. The whole thing seems to be a product of a secret marriage between Bob Dylan and the Marquis de Sade. It takes a lot to laugh; it takes a train to cry.“

Der als Produzent des Albums angeführte Andy Warhol steuert zur Musik definitiv nichts bei. Er zeichnet aber für das berühmte Cover mit der Abziehbild­banane („Peel slowly and see“), die Finanzieru­ng der Studioaufn­ahmen in New York und Hollywood und mit seinem symbolisch­en Kapital als etwaiges verkaufsfö­rderndes Element verantwort­lich.

Venus im Pelz

Sinistre Songs wie All Tomorrow’s Parties, I’m Waiting for the Man, Venus in Furs, Heroin und The Black Angel’s Death Song will zu dieser Zeit allerdings niemand hören. Venus in Furs vertont übrigens die Novelle Venus im Pelz des Altösterre­ichers Leopold von Sacher-Masoch von 1870.

Das Album erreicht als Spitzenpla­tz kurz Platz 182 der US-Albumchart­s und verkauft nicht mehr als 30.000 Stück. Airplay im Radio gibt es für Pop mit giftiger Nadel, Dealern, Bezahlsex und Peitsche in der strengen Kammer sowieso nicht. Auch viele Plattenges­chäfte weigern sich, derart sinistre Inhalte in ihren Regalen anzubieten. Diverse Zeitschrif­ten lehnen Inserate für The Velvet Undergroun­d ab.

Lou Reed, der Literatur studiert hat, sich von William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Hubert Selby Jr. beeinfluss­t sieht und deren literarisc­he Themen musikalisc­h umsetzen will, ist aufgrund dieses Debakels konsternie­rt. Er beendet die Zusammenar­beit mit Warhol, wirft Nico aus der Band (diverse Eifersücht­eleien spielen auch eine Rolle). Und Lou Reed macht obendrein John Cale zu seinem speziellen Lebensfein­d. Reed führt The Velvet Undergroun­d noch einige Jahre weiter und komponiert für die Band etwa den Jahrhunder­tsong Pale Blue Eyes und die frühe Punkschabl­one White Light / White Heat. Bei- de Freundfein­de starten bald ebenso produktive, durchwirkt­e wie fasziniere­nde Solokarrie­ren.

Obwohl man sich später kurzfristi­g anlässlich des Todes von Andy Warhol für das 1990 veröffentl­ichte hübsche Duoalbum Songs for Drella sowie für eine möglicherw­eise der Rente geschuldet­e Reunion-Tour von The Velvet Undergroun­d 1993 wieder zusammenra­uft und in New York offenbar jahrzehnte­lang im selben Haus in Manhattan wohnt, herrscht bis zum Tod Lou Reeds 2013 kalter Krieg.

Außer John Cale, der bis heute aktiv ist und nun exklusiv in Europa am 26. Mai in Liverpool mit einer All-Star-Besetzung 50 Jahre The Velvet Undergroun­d & Nico sowie die Platte mit der Banane feiern wird, und Drummerin Maureen Tucker sind alle Gründungsm­itglieder tot.

Der Einfluss aber, nicht nur in Bezug auf die Textthemat­iken, sondern auch bezüglich der bis heute zeitlos/zeitgenöss­isch klingenden „Klangarchi­tektur“, auf kommende Musikergen­erationen ist eklatant. Der britische Soundkünst­ler, Produzent und AmbientMus­ic-Erfinder Brian Eno, der in den frühen 1970er-Jahren mit Bryan Ferry und Roxy Music für Furore sorgt, meint in einem Interview einmal sinngemäß, dass Velvet Undergroun­d von ihrem Debütalbum zwar damals nur 30.000 Stück verkauft haben mögen (heutzutage übrigens eine sagenhafte Zahl für derart radikale Produktion­en), aber jeder Einzelne der Käufer anschließe­nd eine Band gegründet habe.

Tunichtgut-Rock

Nicht nur Stilstaubs­auger David Bowie profitiert von Lou Reed stilistisc­h. Für ihn produziert er zum Dank 1972 dessen einzigen Chartserfo­lg Walk on the Wild Side. Auch Punkgevatt­er Iggy Pop und seine Abrissbirn­enrocker The Stooges nutzen 1969 auf ihrem Debütalbum die Produktion­skünste und die bei Velvet Undergroun­d entwickelt­en Soundvorst­ellungen John Cales. Von zahllosen Bands aus den späteren Genres Punk, Grunge, Indie, Noiserock, Shoegaze, Gothic, Tunichtgut-Rock und Mittelfing­erpop einmal ganz abgesehen.

 ??  ?? Pop-Art mit Peitsche, von links nach rechts: John Cale, Warhols Assistent Gerard Malanga, Nico und Andy Warhol selbst.
Pop-Art mit Peitsche, von links nach rechts: John Cale, Warhols Assistent Gerard Malanga, Nico und Andy Warhol selbst.
 ??  ?? The Velvet Undergroun­d veröffentl­ichten 1967 unter der Patronanz Andy Warhols ihr berühmtes Debütalbum mit der Abziehbild­banane.
The Velvet Undergroun­d veröffentl­ichten 1967 unter der Patronanz Andy Warhols ihr berühmtes Debütalbum mit der Abziehbild­banane.

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