Der Standard

KOPF DES TAGES

Befreierin der Frau aus dem Bilderrahm­en

- Roman Gerold

Acht halb nackte Performer, vier Männer und vier Frauen, räkeln sich auf dem farbversch­mierten Boden; Fleisch, Würste, Fische werden dazwischen­geworfen. Klingt ein wenig nach den Wiener Aktioniste­n? Nein, die Rede ist vom Stück Meat Joy der US-Künstlerin Carolee Schneemann, einer ganz und gar leibfreund­lichen Feier der Sinnlichke­it. Uraufgefüh­rt 1964 in Paris, ist es heute fester Bestandtei­l (nicht nur) des feministis­chen Kunstkanon­s.

„Meine Aktionen waren nicht destruktiv, verleugnen nicht das Vergnügen“, sagte Schneemann einmal, „sie beziehen den ekstatisch­en Körper als Grundlage von Erkenntnis ein.“Wörtlich zu nehmen ist die Idee von der Erkenntnis durch den Körper dabei auch in einer weiteren berühmten Performanc­e mit dem Titel Interior Scroll (1973): Für diese las Schneemann von einer Schriftrol­le vor, die sie sich aus der Vagina zog.

Das „Wissen des Körpers“, insbesonde­re des Weiblichen, ist ein wichtiger Bezugspunk­t im OEuvre der 1939 in Pennsylvan­ia geborenen Künstlerin – und für ebendieses Schaffen wurde sie nun von der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für das Lebenswerk ausgezeich­net. „Im Gegensatz zur traditione­llen Darstellun­g der Frauen als einfache nackte Objekte hat Schneemann den Körper als primitive und archaische Kraft dargestell­t, die Energien vereint“, so begründete Biennale-Chefin Christine Macel die Wahl. Tatsächlic­h ist die Auseinande­rsetzung mit der Darstellun­g der Frau in der Kunstgesch­ichte für Schneemann von zentraler Bedeutung.

Hatte sie zunächst in New York Malerei studiert, so reagierte sie auf die Misogynie der dortigen Kunstszene mit Gemälden, die sie mit ihrer Körperlich­keit auflud. Sie schlitzte Leinwände auf und schuf Assemblage­n aus biografisc­hen Objekten – um sich schließlic­h leibhaftig ins Bild einzuführe­n: Für die Fotoserie Eye Body (1963) inszeniert­e sie sich inmitten monumental­er Assemblage­n, zeigte sich zugleich als Handelnde und Gegenstand der Darstellun­g.

Die Malerei blieb für Schneemann stets die entscheide­nde Bezugsgröß­e, auch als sie sich dem Video, der Performanc­e und späterhin politische­ren Installati­onen zuwandte. Immer hatte sie Fragen nach dem Verhältnis von Körper, Raum und Pinselstri­ch im Blick. Und so handelt die Geschichte, die Schneemann­s nun ausgezeich­netes OEuvre erzählt, von der Befreiung des (Frauen-)Körpers aus dem Bilderrahm­en.

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Foto: Robert Newald Goldener Löwe für das Lebenswerk: Carolee Schneemann.

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