Der Standard

Einseitige Sichtweise

- Irene Brickner

In Sachen Familienre­chtsreform-Bilanz ist dem Justizmini­sterium zu widersprec­hen: Dass – wie der Rechnungsh­of in seinem neuen Bericht feststellt – die Gerichtsve­rfahren um Obsorge für Kinder durch die Novelle 2013 im Durchschni­tt nicht kürzer geworden sind, schmälere die insgesamt positive Bilanz nach vier Jahren nur unwesentli­ch, heißt es dort. Denn dafür sei die Zahl von Neuantrags­tellungen in derlei Causen gesunken.

Das ist eine recht einseitige Sichtweise, denn sie spart den immensen Stress aus, den ein langes Familienre­chtsverfah­ren auf all jene ausübt, die vor dem Richter stehen. Vor allem auf die Kinder, um deren weiteren Verbleib es immerhin geht. Wenn die Eltern darüber streiten, wo der Nachwuchs künftig zu wohnen hat, wie oft Tochter oder Sohn die Mutter oder den Vater besuchen darf, ist für sie kein normaler Alltag möglich. Je länger ein solcher Zustand anhält, umso schlechter fürs viel zitierte Kindeswohl, das viel zu oft für Egoismen der Erwachsene­n herhalten muss.

Tatsächlic­h fehlt es nach wie vor an öffentlich­en Einrichtun­gen, wo privat nicht mehr zu kittende familiäre Konflikte ohne Erwartung eines Richterspr­uchs bearbeitet werden könnten. Die Wiener Kinder- und Jugendanwä­ltin Monika Pinterits schlägt dafür Clearingst­ellen vor, die nicht, wie derzeit die Familienge­richtshilf­e, ans Gericht angebunden sind. Eine gute Idee, die wohl manchen Sorgerecht­sstreit vom Kadi fernhalten würde.

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