Schon wieder. Muttertag
In einer vollkommenen Entpolitisierung des Privaten ist jede Frau mit ihren Kindern ein Einzelfall geworden. Jedenfalls in Österreich. Und das hat eine Geschichte. Die beginnt in den 1970er-Jahren. ESSAY:
Gestern fiel er wieder. Der Satz. „Wegen der Kinder.“Oder. „Wegen des Kinds.“Natürlich ging es um irgendeinen Nachteil, der der Frau daraus erwachsen ist. Und. In beklemmender Weise ist das „natürlich“daran wörtlich zu nehmen. Es wird als naturgegeben angesehen, dass eine Frau in ihrem Leben Probleme wegen der Kinder hat.
In diesem Sinn ist es dann auch als „natürlich“anzusehen, dass diese Frau die Probleme selbst löst. Wenn sie das nicht kann, dann hat sie die Ursache dafür bei sich selbst zu suchen. Sie hat es eben nicht „geschafft“. In einer vollkommenen Entpolitisierung des Privaten ist jede Frau mit ihren Kindern ein Einzelfall geworden. Jedenfalls in Österreich. Und das hat eine Geschichte. Diese Geschichte beginnt in den 1970erJahren. Die Reform des Familienrechts war mehr als überfällig. Der Code Napoléon in Form des ABGB hatte immerhin seit 1811 seine Geltung gehabt. Die Idee des Vaters als Familienvorstand, der die Macht in der Familie ausübt, war nicht mehr aufrecht zu halten. Ich kann mich gut erinnern, wie mein erster Mann und ich kichernd die Formulare ausfüllten, mit denen er mir 1972 erlaubte, einen Pass zu beantragen. Niemand nahm diese Aufsicht über die Frau und die Kinder mehr ernst. Aber. In trüberen Verhältnissen. Der Mann konnte für familiäre Gewalt nicht belangt werden. Väter übten ihr Bestimmungsrecht über Frau und Kinder weiter autoritär aus.
Die persönliche Autonomie
Es war klar. Wenn die Demokratie ernst genommen werden sollte, dann musste den Frauen die persönliche Autonomie ermöglicht werden. Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie im ABGB 1811 für die Familie galten, waren direkt gegen diese demokratisch notwendige Autonomie der Person gerichtet. Nur eine vollkommen rechtsfähige Person kann das vertragstheoretische Modell der Demokratie erfüllen. Die Familie als hierarchisch geordnete Kleineinheit des Staats musste aufgelöst werden und jede Person für sich verantwortlich gemacht wer- den. In der Herabsetzung des Alters der Großjährigkeit und des Wahlrechts wurde etwas später den, aus dem autoritären Modell der alten Familie befreiten Kindern diese Autonomie zugestanden. Emanzipation wurde vom Staat eingeführt.
Damals. In den 1970ern. In fataler Weise stimmten in der Familienpolitik die Ziele der beiden Großparteien überein. In der SPÖ kämpfte Johanna Dohnal gegen den Nebenwiderspruch der Unterdrückung der Frauen. Sie wollte die Frauen als Wählerinnenpotenzial für die SPÖ sichern. Die SPÖ sollte die Partei sein, in der Frauen ihre Autonomie vertreten finden konnten. Die ÖVP reagierte auf die Neuerungen durch die 68er-Zeiten mit aggressivem Trotz. Die Familienorganisation nach dem alten ABGB war vom Zeitgeist aufgelöst worden. Es war da schon offenkundig, dass der Familienal- leinerhalter auch wirtschaftlich längst ein Phänomen der Vergangenheit war. Der bürgerlich-kleinbürgerliche Mann hatte alle Positionen im Verlauf der Nachkriegswirtschaft verloren. Aber darauf reagierten die bürgerlich-kleinbürgerlichen Männer mit diesem vorwurfsvollen Trotz und ließen es gleich ganz sein. Das mit dem Mann-Sein. Das ist seither den rechten Gesinnungen überlassen.
Der bürgerlichkleinbürgerliche Mann der ÖVP gab alle Rollen auf und gab sie an den Staat ab. Deshalb konnte eine Scheidungsrechtsreform im Parlament beschlossen werden, in der die Mutterrolle nicht mehr vorkam. Den SPÖFrauen war das die notwendige Voraussetzung, die Frauen für sich selbst sorgen zu lassen. Und. In den Diskussionen innerhalb der ÖVP wurde zynisch darauf hingewiesen, dass die Frauen ja selbstständig sein wollten. Dann, so grinsten die Verhandler damals. Dann sollten sie das auch sein. Und schafften die Alimente für die Mütter einfach ab. Und dennoch und gleichzeitig. Es gibt sozialrechtlich immer noch die Vorstellung der Wahlfreiheit für die Frau. Nach ÖVP-Vorstellung soll eine Frau sich entscheiden können, ob sie „nur“als Mutter sich der Kindererziehung widmen will. Oder. Ob sie sich in ihrem Beruf verwirklicht. Wenn wir statt „im Beruf verwirklichen“Geld verdienen einsetzen, wird die Absurdität dieser Wahlmöglichkeit sofort offenkundig. Aber.
Der Mann hat mit der Wahlmöglichkeit eine Erinnerung daran behalten können, dass er doch der Alleinverdiener sein könnte. Der österreichische Mann musste auf diese Weise nie von der Vorstellung seiner Position in der bürgerlichen Familie als Familienvorstand endgültig Abschied nehmen und deshalb seine Rolle in der Gesellschaft neu gestalten. Der von der ÖVP verlangten „Wahlfreiheit“verdankt der österreichische Mann, dass auch er irgendwann
In den Diskussionen innerhalb der ÖVP wurde zynisch darauf hingewiesen, dass die Frauen ja selbstständig sein wollten. Dann, so grinsten die Verhandler damals. Dann sollten sie das auch sein.