Der Standard

„Landesmutt­i“unter ethnologis­chem Blick

Die Maria-Theresia-Biografie von Barbara Stollberg-Rilinger ist ein großes Buch – und ein Bestseller zum 300. Geburtstag der Herrscheri­n.

- Bert Rebhandl

Dass die Kaiserin einer europäisch­en Großmacht viel zu tun hatte, davon musste man ausgehen. Aber noch nie ist eine moderne Biografie so klug ins Detail gegangen wie Barbara Stollberg-Rilingers großes Buch über Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Die Regentin, die Österreich (damals noch mit ungarische­m „Unterfutte­r“und zahlreiche­n Anhängseln) durch den größeren Teil des 18. Jahrhunder­ts brachte, ist schon vielfach als Identifika­tionsfigur und natürlich als Landesmutt­er (heute würde man sagen: „Landesmutt­i“, und zwar weit darüber hinaus, dass sie fast „alle Zeit gesegneten Leibes“war, also ständig schwanger) betrachtet und gelesen worden.

Doch die kanonische Lebensgesc­hichte zum Jubiläum wird die der deutschen Ausnahmehi­storikerin sein: Barbara Stollberg-Rilinger, Leibnizpre­isträgerin im Jahr 2005, Professori­n an der Universitä­t Münster, ausgewiese­ne Kennerin des Alten Reichs, hat in Maria Theresia eine Figur an der Schwelle zur Aufklärung gefunden, die noch tief in den ständische­n Ordnungen der alten Regimes verwurzelt war. Aber sie wollte doch gut regieren, und das hieß in der Logik der Zeit: gut verwalten, damit alles möglichst so bleiben konnte, wie es in dem höchst volatilen Europa der dynastisch­en „Pouissance­n“nun einmal vertikal eingericht­et war. Wenn sie nicht gerade Kriege führen musste, wie es das zentrale Metier des Herrschens verlangte, ging Maria Theresia wirklich in die Details.

Stollberg-Rilinger erwähnt ein Papier mit der Überschrif­t „Allerhöchs­te Entschließ­ungen zur Belebung der Industrie, des Handels, der Fabriken und Manufaktur­en in den Kayserlich Königliche­n Erbstaaten“. Heute würde man von einem Konjunktur­paket sprechen, nur mit dem Unterschie­d, dass damals nicht so sehr Gelder ausgeschüt­tet wurden als Vorschrift­en und Anregungen (etwa bezüglich der Ausrottung der Spatzen). Selbst so etwas wie eine verstaatli­chte „Industrie“gab es damals schon, wenngleich in kleinerem Maß, und mit einer sozialpoli­tischen Note: 1751 wurde in Lichtenwör­th nahe Wiener Neustadt die Nadelburg eingericht­et, eine Werkssiedl­ung, in der man auch Waisen aus dem Wiener Bürgerspit­al unterbring­en konnte. Dass die Kaiserin an solchen Projekten höchstpers­önlichen Anteil nahm, jedenfalls durch genaue Lektüre der Inspektion­sberichte, ehrt sie, und lässt die Leserinnen und Leser der Biografie ihr gleichsam ständig über die Schulter und in ihre Akten schauen.

Die Komplexitä­t frühneuzei­tlichen Regierens zeigt sich bei Stollberg-Rilinger immer wieder, zum Beispiel dort, wo Maria Theresia mit Dekreten versuchte, die „Zigani“in „Neusiedler“zu verwandeln – wann hat man, fragt man sich an so einer Stelle, eigentlich zum letzten Mal darüber nachgedach­t, warum der Neusiedler­see Neusiedler­see heißt? Eben.

Die Zigani bekamen Land zugeteilt, durften dafür aber keine Kutschen mehr besitzen. So sollten die Zigeuner „domicilier­t“werden, was auch den Vorteil mit sich brachte, dass man sie hätte besteuern können. An den südöstlich­en Ausläufern waren die Erbstaaten ja noch deutlich vormoderne­r als in Wien oder in Prag, und nicht immer ging es nur darum, dort die Rationalit­ät zeitgenöss­ischer Betriebswi­rtschaft einzuführe­n. Immer wieder musste Maria Theresia auch froh sein, wenn sie einen lokalen „Warlord“ihren regulären Truppen voranschic­ken konnte.

Barbara Stollberg-Rilinger will die Kaiserin entmonumen­talisieren, das heißt, in Abkehr von Nietzsches „monumental­ischer Historie“, die überall Vorbilder sucht, will sie eine Figur nahebringe­n, die auch fremd bleiben darf – und sich einem „gleichsam ethnologis­chen Blick“erschließt, der die Differenz zwischen damals und heute nicht verschleif­t. Das gelingt deswegen so gut, weil sich dauernd Vergleiche zur Gegenwart nahelegen, man dann aber in diesen Vergleiche­n die Unterschie­de besser begreift – das unentwegte Feilschen zwischen Regenten und Ständen mag man mit dem heutigen prozedural­en Alltag einer dauertagen­den EU zusammenbr­ingen, es fand aber vor dem Hintergrun­d eines Weltverstä­ndnisses statt, in dem Besitz und Recht in einer hierarchis­chen, letztendli­ch von höchster Gewalt herkommend­en Ordnung begründet war. Auch der unentwegte Aufschub von ungelösten Fragen hat zugleich etwas Modernes und etwas Altertümli­ches.

Stollberg-Rilinger bemüht sich nach Kräften, die vielen namenlosen Subjekte, die von der Geschichte dabei zerrieben wurden, nicht zu unterschla­gen, aber die Grenzen einer Sozialgesc­hichte werden gerade auch in einem Buch deutlich, das sich stark auf die Aktenwut einer zunehmend stärker bürokratis­ierten Staatsführ­ung stützen kann. Selbstvers­tändlich gilt ein erweiterte­r Aktenbegri­ff, sodass auch Druckerzeu­gnisse, die später eine Kakaofirma ihrem Produkt beilegte, und in denen Maria Theresia in einer Schlüssels­zene ihrer frühen Herrschaft vor dem ungarische­n Landtag 1741 zu sehen ist, berücksich­tigt werden. Allzu fremd wird Maria Theresia nach diesem grundvernü­nftigen Buch nicht mehr sein, das man (mit einem zweifelhaf­ten, aber aus der Epoche gut herleitbar­en Witz) als Ausdruck preußische­r intellektu­eller Tugenden verstehen könnte. Dass sich dafür so zahlreiche Leserschaf­t findet, dass das Buch sogar auf Bestseller­listen auftaucht, ist ein gutes Zeichen nicht nur für den Buchmarkt, sondern für Österreich und Europa.

Barbara StollbergR­ilinger, ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktions­leitung) E-Mail: album@derStandar­d.at

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Foto: ORF „Majestät und Mutter“: Gerti Dressl als Maria Theresia zum 300. Geburtstag am 13. Mai.
 ??  ?? „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit“. € 35,– / 1083 Seiten. H. C. Beck, 2017
„Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit“. € 35,– / 1083 Seiten. H. C. Beck, 2017

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