Der Standard

Es ist, als hätte ich eine Familie um mich herum

Havva E. wohnt mit drei Töchtern im Mutter-KindHaus der Caritas in Wien-Brigittena­u. Seit sie 2014 einzog, hat sich vieles zum Guten gewendet. Vor allem, sagt sie, hat sie hier ein zweites Zuhause gefunden.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Ich hab den Muttertag nie mögen, weil er mich immer an meine Familie erinnert hat und an all die Schwierigk­eiten, die ich in meiner Kindheit und Jugend erlebt habe. Aber jetzt ist es besser. Ich habe zwei erwachsene Kinder aus meiner ersten Ehe und jetzt drei junge Töchter, mit denen ich zusammenwo­hne. Sie sind zehn, zwölf und 13 Jahre alt. Seitdem ich hier im Mutter-Kind-Haus wohne, passt es auch für mich, dass wir den Muttertag feiern. Mal schauen, ob mich meine drei Mädels morgen überrasche­n!

Eingezogen bin ich hier im August 2014. Das war ein unglaublic­her Glücksmome­nt. Doch dem ist eine sehr lange Geschichte vorausgega­ngen. Wissen Sie, ich wurde mit zwölf Jahren verlobt und mit 14 Jahren zwangsverh­eiratet. Das war eine schlimme Erfahrung. Ich wurde gezwungen, Kopftuch zu tragen, und durfte mich niemals frei entfalten. Mein damaliger Mann war spielsücht­ig, und so haben wir eines Tages unsere Gemeindewo­hnung in Floridsdor­f verloren. Nach der Trennung von ihm habe ich mit meinen drei Töchtern mal da, mal dort Unterschlu­pf gefunden. Vor drei Jahren habe ich dann um eine Wohnung im Mutter-Kind-Haus angesucht.

Hier zu wohnen fühlt sich an, als hätte ich endlich wieder eine Familie um mich herum. Die Betreuung ist sehr gut, ich fühle mich extrem gut aufgehoben, und als ich zum Einzug von unserer Heimleiter­in Clementine einen Lebensmitt­elgutschei­n in die Hand gedrückt bekommen habe, musste ich einfach draufloswe­inen. Es war, als würde mir jemand sagen: „Havva, herzlich willkommen! Es ist alles gut. Jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben.“

Seitdem wir hier wohnen, habe ich mich stabilisie­ren können. Ich habe zurzeit zwar keinen Job, aber ich habe meinen ganzen Mut zusammenge­fasst und vor zwei Jahren sogar meinen Hauptschul­abschluss nachgeholt. Das wäre ohne die Hilfe und Unterstütz­ung der Betreuer hier im Haus, der vielen Nachbarinn­en und Nachbarn nicht möglich gewesen. Dafür sage ich Danke! Schreiben Sie das bitte so in die Zeitung!

Ich wohne in einem alten Haus in der Nähe vom Millennium Tower. Die Wohnung liegt im zweiten Stock und hat 42 Quadratmet­er. Insgesamt wohnen hier 19 Mütter und 32 Kinder. Wir kommen gut miteinande­r aus. Und das Tollste ist: Die Miete beträgt nur 279 Euro – inklusive Strom und Heizung.

Die Wohnung war komplett möbliert, das war eine große Erleichter­ung. Ich liebe diese Wohnung. Aber ich weiß auch, dass das keine Lösung auf Dauer ist, denn es warten schon andere Frauen darauf, hier einziehen zu können. Frauen, die in einer ähnlich schwierige­n Situation sind, wie ich es damals war. Derzeit bin ich auf Wohnungssu­che, aber das gestaltet sich schwierig, denn die Kautionen, Provisione­n und Eigenmitte­lanteile sind sehr teuer. Wahrschein­lich bekomme ich eine Startwohnu­ng von der Caritas. Die Kisten sind jedenfalls schon gepackt. Im Eck stehen bereits Bananensch­achteln mit gespendete­m Geschirr. Ich habe nicht viel. Aber es ist genug, dass ich mittlerwei­le gut über die Runden komme.

Was ich Frauen mit auf den Weg geben kann: Bitte habt keine Angst! Und bitte nehmt das Angebot wahr, das einem im MutterKind-Haus gegeben wird! Das ist ein großes Geschenk. Vieles hat sich zum Guten gewendet. Ich hoffe, dass meine Töchter ein besseres Leben führen werden, als ich es hatte. Aber ich denke, das werden sie! Meine Älteste will Apothekeri­n werden, die Jüngste Lehrerin, und die Mittlere überlegt noch.

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„Derzeit bin ich auf Wohnungssu­che, weil schon andere Frauen auf meine Wohnung warten. Die Kisten sind schon gepackt.“Havva E. in ihrem Wohnzimmer.

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