Land für alte Männer
Anatoli Karpow ist wieder da. Er war nie fort. Von ruf & ehn
In Cormac McCarthys Roman Kein Land für alte Männer – bei uns in der brillanten Verfilmung von Ethan und Joel Cohen bekannt geworden – taumelt der alte Sheriff Bell den rätselhaften Morden des Bösewichts Chigurh hinterher, ohne ihn zu erwischen. Am Ende wird klar: Es ist nicht mehr seine Welt, auch wenn Bell noch Sheriff ist: „Er wusste auch, was es war. Es war das Gefühl der Niederlage. Des Geschlagenseins. Für ihn bitterer als der Tod.“
Schach ist – wie oft haben wir darüber berichtet! – zumindest an der Weltspitze ein Spiel für junge, für ganz junge Menschen geworden. Mit frischer Kampfkraft, nachgerade unbeschränkter Konzentrations- und Gedächtnisleistung, noch ohne Selbstzweifel und vernarbtes Niederlagenerinnerungsgewebe.
Es gibt Ausnahmen. Die beste heißt zur Zeit Anatoli Karpow. Als der 65-jährige Exweltmeister vor zwei Wochen zu Gast in Wien war, war eines klar: Karpow wirkte verändert – er wirkte, man kann es nicht anders sagen, irgendwie tschechisch: im Gespräch entspannt und biermild wie Vlastimil Hort, physiognomisch rundlich wie Gott, Karel Gott. Das war nicht immer so. Wir erinnern uns an die lebensbedrohenden Matches gegen Garri Kasparow, als der schmächtige Weltmeister von Partie zu Partie an Gewicht verlor und nahezu verschwand. Wir erinnern uns an härteste verbale Bandagen bei den Duellen mit Wiktor Kortschnoi. Mit beiden Kontrahenten hat sich Karpow wieder versöhnt.
Trotz seiner 65 Jahre und der neuen Milde ist Karpow (Elo 2624) am Schachbrett nach wie vor nicht zu unter- schätzen. Bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft in Sotschi traf er am 1. Brett seines Teams aus Ekaterinenburg spielend auf Peter Swidler (St. Petersburg). Der 40-jährige Swidler ist einer der kampfkräftigsten Großmeister der Gegenwart, seine Elozahl beträgt derzeit 2754 Punkte. „Du bist um 25 Jahre jünger als ich?“, mag sich Karpow gefragt haben, „Deine Elozahl ist um 130 Punkte höher? Ist das alles?“
Karpow – Swidler Sotschi 2017
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5
Anatoli Karpow galt in den Neunzigerjahren als der beste Weißspieler gegen die Grünfeld-Indische Verteidigung, während Peter Swidler als ihr größter Fürsprecher im neuen Jahrtausend gilt. 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3
6.bxc3 Lg7 7.Da4+ Ein immer populärer werdender Zug, den Karpow in seinem 1992 erschienenen Buch Gewinnen mit GrünfeldIndisch nicht erwähnt. 7…
Sd7 8.Sf3 0–0 9.Le2 Öfter sieht man das aktivere 9.Le3. 9… c5 Typisch Grünfeld: Das mächtige weiße Zentrum wird unterminiert.
10.0–0 a6 Eine probate Methode zum Ausgleich zeigte Wassili Iwantschuk: 10... cxd4 11.cxd4 Sc5! 12.Dc2 Se6 13.Le3 Sxd4 14.Sxd4 Lxd4 15.Tad1 e5 (Milton – Iwantschuk. Havanna 2007). 11.Da3 Dc7 Noch immer ging 11... cxd4 12.cxd4 Sf6 13.Lg5 h6 14.Lxf6 Lxf6 15.Tab1 Tb8 16.h3 b5 mit gleichen Chancen. 12.e5 Schließt die schwarze Läuferdiagonale, auch 12.Te1 kam infrage. 12... Sb6 Danach erhält Weiß allmählich Oberwasser. Schwarz sollte mit 12... b6 13.Lg5 Te8 14.Db3 e6 nebst Lb7 die Entwicklung am Damenflügel abschließen.
13.Da5! Diese Fesselung droht Tb1, sodass Schwarz den Bc5 verliert. 13… Lf5 Denn nach 13... Sd5 14.Dxc7 Sxc7 muss der Bc5 ebenfalls dran glauben. 14.dxc5 Sd5 15.Dxc7 Sxc7
Das Endspiel ist wohl besser für Weiß, wegen seiner vielen isolierten Bauern aber noch lange nicht gewonnen. 16.Sd4 Le4 17.f3 Ld5 18.f4
f6 Ein notwendiger Aus- bruch. 19.exf6 Lxf6 20.Le3
Sb5 Vorsichtiger war 20… e5. 21.Tac1?! Mit 21.Sxb5 axb5 22.Lxb5 Lxc3 23.Tad1 Lxa2 24.Td7 konnte Weiß seinen Vorteil ausbauen.
21… Tfd8?! Erschwert die Verteidigung. Swidler sollte zu 21... Lxa2 22.Sxb5 axb5 23.Lxb5 Tfd8 greifen. 22.a4 Sa3 23.Lf2 Sc4 24.c6! Ein feiner Nadelstich à la Karpow, der den Gegner
in eine schwierige Lage bringt. 24... bxc6 25.Sxc6 Denn der Läufer darf auf c6 wegen Lxc4+ nicht zugrei
fen. 25... Tdc8 26.Sb4 Le4
27.Lg4 Tc7 Auch nach 27... Lf5 28.Lxf5 gxf5 29.Sd5 oder 28.Lf3 Sd2 29.Ld5+ e6 30.Lxa8 Txa8 31.Tfe1 steht Weiß überlegen. 28.Tfe1
Lb7 29.Sd3?! Etwas genauer war 29.Le6+ Kh8 30.Sd3.
29… Lc8 Swidler verteidigt sich zäh und umsichtig.
30.Lf3 Lb7 31.Lxb7 Besser war es vielleicht, den Läufer zu behalten und 31.Le2 Ld5 32.Sc5 Tc6 33.Lg4 zu versuchen. 31... Txb7 32.Sc5 Tb2 Besetzt die zweite Reihe, der Mehrbauer spielt bald keine Rolle mehr. 33.Ld4
Td8 34.Tcd1 Obwohl die Stellung sehr vorteilhaft für Weiß aussieht, ist kein Gewinn zu erspähen. Eine andere Möglichkeit war 34.Lxf6 exf6 35.Tb1 a5 36.Txb2 Sxb2 37.Te2.
34… a5! Schwarz hat nichts mehr zu befürchten, seine aktiven Figuren kompensieren den Minusbauern. 35.Lxf6 Txd1 36.Txd1 exf6 37.Td8+ Kf7
38.g4 Ein stilles Remisangebot, denn auch 38.Td7+ Ke8 39.Td4 Sd2 40.Td3 Tc2 41.g4 Kf7 ist zu wenig. 38... Se3 39.h3 Tg2+
40.Kh1 Tg3 Nun muss Weiß wohl oder übel in die Zugwiederholung einwilligen. 41.Td7+ Kg8 42.Kh2 Sf1+ 43.Kh1 Se3 44.Kh2 Sf1+ 45.Kh1
Remis