Der Standard

„Ich habe den Ehrgeiz, es allen zu zeigen“

Mit „Unter Weißen“hat der deutsche Autor und Journalist Mohamed Amjahid ein Buch über sein Leben in einer Gesellscha­ft geschriebe­n, in der Rassismus immer noch den Alltag prägt.

- INTERVIEW: Bert Rebhandl

Standard: Herr Amjahid, Sie kommen aus einer marokkanis­chen Gastarbeit­erfamilie, arbeiten als Reporter beim „Zeit Magazin“. Nun haben Sie ein Buch über die Privilegie­rtheit der Weißen geschriebe­n. Ein heikles Thema angesichts des Umstands, dass Deutschlan­d sich nicht als Einwanderu­ngsland begreifen möchte, obwohl es das zweifellos ist und nun auch noch vor der Aufgabe steht, die Flüchtling­e zu integriere­n. Amjahid: Man hat es leichter im Leben, wenn man weiß ist. In Deutschlan­d gilt eine Farbskala: je heller, desto besser. Man kann das auch auf das Geschlecht anwenden. Je männlicher, desto leichter. Mich betrifft Ersteres.

Standard: Wie gehen Sie mit den Benachteil­igungen um? Amjahid: Ich zitiere da immer gern Britney Spears: „Work, bitch!“Das habe ich internalis­iert. Da musste ich erst langsam davon runterkomm­en. Zwölf Praktika sind vielleicht neun zu viel. Ich habe den Ehrgeiz, es allen zu zeigen. Erst langsam wird erkannt, dass Vielfalt positiv ist. Aber viele andere junge Menschen sind gescheiter­t. Sie wurden fertiggema­cht.

Standard: Sie müssen nicht nur mehr arbeiten, Sie brauchen auch mehr soziale Intelligen­z.

Amjahid: Man braucht überall Habitus, wie das der französisc­he Soziologe Pierre Bourdieu nennt. Stallgeruc­h. Aber ich war als Kind nicht Ski fahren in Österreich, ich kann beim Mittagesse­n mit Kollegen andere Geschichte­n erzählen. Ich bin gebürtiger Frankfurte­r. Die Bankerkind­er haben alles, was sie haben können. Und dann sind die Kinder von den marokkanis­chen Gastarbeit­ern, die das nicht haben. Der Personaler nimmt lieber das, was er kennt. Das ist ein Privileg, das man nicht steuern kann. Es geht um einen ehrlichen Umgang. Wie kann man Menschen mit anderer Hautfarbe fördern, sichtbar machen?

Standard: Braucht es in Deutschlan­d/Österreich so etwas wie „Affirmativ­e Action“wie in den USA, wo Afroamerik­aner unter bestimmten Bedingunge­n bevorzugt werden? Amjahid: Viele wollen das nicht, aber ich weiß, dass das zum friedliche­n Zusammenle­ben beitragen würde. Ansonsten hätte man sich das vorher überlegen müssen: vor dem Kolonialis­mus, vor dem Wirtschaft­swunder, das ohne Gastarbeit­er nicht möglich gewesen wäre, vor einer Weltordnun­g, die Wanderungs­druck produziert.

Standard: Sie beschäftig­en sich mit Begriffen, in denen sich lange ein alltäglich­er Rassismus zeigte. Sind Sie dafür, dass wir das sprachlich­e Erbe revidieren. Amjahid: Das ist ein heikler Punkt. Sprache hat immer etwas mit Unantastba­rkeit zu tun, obwohl sie sich ständig verändert. Ich bin nicht für Verbote. Damit erzeugt man eher Widerstand. Es gibt aber zum Beispiel in Berlin eine Mohrenstra­ße. Aktivisten haben da schon Widerstand geleistet, denn dieser Namen wirkt auf Menschen verletzend. Manche sagen seither Möhrenstra­ße, um durch Karikatur auf den Missstand aufmerksam zu machen. Die Stadtverwa­ltung sagt aber, der Straßennam­e wäre nicht rassistisc­h. Sprache reflektier­t die Realität unserer Gesellscha­ft. Wir sprechen nicht wie vor 200 Jahren. Deswegen würde ich dafür plädieren, sich so was wie Die kleine Hexe noch einmal anzugucken, es wäre pädagogisc­h sinnvoll, das in inklusiver Sprache zu formuliere­n. Die Bibel gibt es auch längst gendergere­cht. Man braucht keine Angst haben. Es wird sich nicht alles radikal verändern, wenn man respektvol­l miteinande­r umgeht.

Standard: Nach der Wahl von Trump wurde von Kommentato­ren die politische Korrekthei­t gegen die soziale Frage ausgespiel­t. Die fortschrit­tlichen Kräfte hätten sich zu sehr auf kulturelle Fragen konzentrie­rt. Ist da was dran?

Amjahid: Was ist das für ein Protest, der sich in einer Wahl für Trump äußert? Warum haben fast 50 Prozent der Österreich­er jemanden gewählt, der verfassung­sfeindlich­e Sachen sagt, die Menschenre­chte und den guten Ton verletzt? Mit Menschen, die meine Existenz negieren, kann ich keine Kompromiss­e machen. Angst spielt bei den Wahlerfolg­en der Populisten eine Rolle, aber wir dürfen uns nicht täuschen: Rassismus zieht, auch bei privilegie­rten Menschen. Sexismus auch. Wenn sich da ein Trump, ein Hofer oder eine Petry hinstellt und Sündenböck­e präsentier­en, müsste man das eigentlich durchschau­en.

Standard: Sie beschreibe­n die Erlebnisse am Münchner Hauptbahnh­of, die man gemeinhin als „Willkommen­skultur“bezeichnet, als Ihren „utopischen Moment“. Amjahid: Ich war davor in Ungarn, und dort war es grauenvoll. Als Reporter zieht es mich immer wieder in autoritäre Regime, auch wenn es für mich als Nichtweiße­n nicht leicht ist, sich dort zu bewegen. Ich war erschrocke­n über das, was ich in Ungarn im Sommer 2015 gesehen habe. Sind das die europäisch­en Werte? Dann bin ich mit dem Zug durch Österreich gefahren und in München angekommen. Aus meiner Sicht ist das natürlich eine Utopie. Hier verstehen Leute, dass sie aus ihrer privilegie­rten Position etwas tun können. Als ich wieder in Berlin war, haben Freunde zu mir gesagt: Lass es uns genießen, in zwei Monaten ist es vorbei. Und so kam es auch. München aber hinterließ das Gefühl, dass wir alle gemeinsam etwas stemmen können.

Standard: Streben Sie die deutsche Staatsbürg­erschaft an? Amjahid: Wenn das möglich ist. Ich war immerhin schon im Kanzleramt, und ich schreibe über relevante Themen. Aber ich bin immer noch ein Gastarbeit­erkind. Gesetzlich gilt weiterhin, dass Deutschlan­d möglichst homogen bleiben soll, nämlich so, wie man sich das 1913 vorstellte.

Standard: Eine Mitarbeite­rin der Berliner Ausländerb­ehörde sagt zu Ihnen: „Sie sind ein Flop“. Müsste man sie nicht einfach anzeigen? Amjahid: Der Chef der Ausländerb­ehörde ist ein intelligen­ter Mann, der zu mir gesagt hat, es würde noch 20, 30 Jahre dauern, bis man sich in Deutschlan­d vorstellen kann, was es heißt, ein Einwanderu­ngsland zu sein. Diese Sachbearbe­iterin hat auf eine krasse Art ihr Privileg ausgespiel­t, mich hier nicht haben zu wollen. Sie wollte hier keinen Haken dran machen. Sie lehnte mich ab, weil sie meine Qualifizie­rungen nicht kapierte. Leute, die sich sprachlich nicht so wehren können, kommen da nicht an ihr Recht.

Standard: Ist Rassismus eine Zuflucht für Leute, die wenig haben? Amjahid: Rassismus begegnet mir am stärksten dort, wo der höchste Grad an Privilegie­n herrscht: an der Uni, in den Redaktione­n. Aber natürlich läuft mir auch immer wieder mal jemand im Supermarkt hinterher. Ich sehe halt aus, als würde ich klauen. Es hängt nicht am sozialen Milieu, sondern an historisch gewachsene­n Strukturen. Ein Professor aus Wien schreibt mir einen seitenlang­en Leserbrief, in dem er in sehr akademisch­er Sprache mitteilt: Gehen Sie zurück in Ihren Harem in Mekka! Das ist Rassismus. Damit kann die Kassiereri­n nicht mithalten, die mich scheel anschaut.

Standard: Sie leben in Neukölln, einem Bezirk in Berlin, von dem man viel Schlimmes hört. Amjahid: Neukölln hat zu Unrecht ein negatives Image. Es gibt dort alles, auch Probleme. Es gibt Drogenband­en, aber auch die privilegie­rten Studenten, die die Drogen kaufen. Es gibt Roma-Frauen, die sich als Araberinne­n verkleiden, weil sie sich so mehr Almosen erhoffen. Es gibt Syrer, die sich nach unten abgrenzen, zum Beispiel gegenüber Schwarzafr­ikanern. Vielleicht merken sie irgendwann, dass das eine Sackgasse ist. Denn wenn sich zwei streiten, freut sich der Weiße.

Standard: Wie sähe eine Gesellscha­ft aus, in der Bewusstsei­n für die eigene Privilegie­rtheit auf Erfahrunge­n mit Unterschie­den trifft? Amjahid: Ideal wäre, wenn jeder jeden als Individuum begreift, ohne Schubladen zu öffnen. Mittlerwei­le gibt es auch die Schublade der alten, weißen Männer, die schimp- fen dann alle über Nafris, Frauen und Homosexuel­le. Ein Araber in Neukölln namens Ali, der einen Späti überfällt, ist ein Individuum. Der Pilot der Germanwing­s, der ein Flugzeug zum Absturz bringt, stößt uns auf das Thema Depression und nicht auf die Piloteneig­nung aller Deutschen. Inzwischen rücken mehr und mehr Leute mit anderen Biografien nach und lehren uns diese Individual­ität. Es sind immer noch zu wenige, aber es geht schon mal in die richtige Richtung.

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Mohamed Amjahid warnt vor gesellscha­ftlichen Sackgassen und weiß: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Weiße.“
 ??  ?? Mohamed Amjahid, „Unter Weißen“, € 16,50 / 192 Seiten. Hanser, Berlin 2017
Mohamed Amjahid, „Unter Weißen“, € 16,50 / 192 Seiten. Hanser, Berlin 2017

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