Sebastian Kurz – gesalbt oder doch nur gegelt?
Im Standard- Leserbriefpostfach überwiegt die Skepsis: Ist Sebastian Kurz als neuer ÖVP-Chef jener Heilsbringer, der die Partei (erfolgreich) in die Zukunft führen wird? Oder ist seine Machtübernahme ein Symptom der VP-Selbstaufgabe?
Spieltrieb eines Ehrgeizigen
Was ist eigentlich wirklich Sonntag passiert? Die ÖVP formiert sich neu; sie hat innerhalb von zehn Jahren den fünften Obmann; sie verursacht unter medialem Getöse Neuwahlen; FPÖ, SPÖ, ÖVP liegen etwa Kopf an Kopf.
Weil man miteinander nicht arbeiten will, also Politikunfähigkeit an den Tag legt, muss nun gewählt werden. Nicht undemokratisch, für jeden Bürger teuer, irgendwie unverständlich.
Ist dies Ernsthaftigkeit? Oder wird so lediglich der Spieltrieb eines Ehrgeizigen gut inszeniert befriedigt? Meining Fahlke
1120 Wien
Politisches Genie am Werk?
So weit es der Presse zu entnehmen war, hat Herr Kurz in europäischem Kontext bisher zwei bemerkenswerte Aktionen gesetzt: die Schließung der Westbalkanroute, von ihm als „Dominoeffekt“bezeichnet, und das Verlangen nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Beide Aktionen müssen kritisch betrachtet werden.
Gute Politik bedeutet stets das Mitbedenken der Folgen des Handelns und das Suchen von Allianzen mit den anderen Akteuren. Im Kontext der Europäischen Union kommt noch als Grundvoraussetzung die Abstimmung mit den anderen Mitgliedsstaaten dazu. Alles dies vermisse ich bei Kurz’ Aktionen.
Die Schließung der Westbalkanroute war ein Alleingang. Dass der von ihm beabsichtigte „Dominoeffekt“eintreten würde, war leicht vorhersehbar. Ebenso vorhersehbar war, dass dadurch großes menschliches Leid hervorgerufen würde – bis heute – und dass Griechenland ein kaum zu bewältigendes Problem aufgehalst würde. Dass Kurz das in einem Alleingang durchgezogen hat, kann ich nur als unsolidarisch bezeichnen, als gegen den Geist der Union gerichtet.
Zum Verlangen des Abbruchs der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hat der deutsche Außenminister Gabriel gemeint: „Das hat viel mit österreichischer Innenpolitik zu tun, wenig mit der Türkei.“Gabriel trifft den Nagel auf den Kopf:
Diese Forderung ist in Österreich natürlich populär. Für für Erdogan wäre es jedoch ein politischer Erfolg gewesen – er hätte der EU die Alleinschuld am Abbruch zugeschoben – und für die EU wäre einer der letzten Dialogkanäle mit der Türkei völlig sinnlos verschlossen worden.
Ein Nutzen für die EU wäre nicht erkennbar gewesen. Nationale Innenpolitik in Brüssel zu betreiben sollte Leute wie Viktor Orbán, Beata Szydlo und Marine Le Pen vorbehalten sein. Das Gegenteil wäre erforderlich: bei jeder innenpolitischen Aktion den europäischen Kontext mitzudenken.
Um so zu handeln, braucht es aber neben einem Gespür für Europa politische Routine. Für beides ist Lebens- und politische Erfahrung erforderlich, welche Herrn Kurz aufgrund seiner Jugend abgehen. Die Union ist ein Projekt, welches von mehreren Politikergenerationen mit sehr viel Mühe aufgebaut worden ist und das noch lange weiterentwickelt werden muss.
Dass Herr Kurz offenbar nichts dabei findet, dieses Projekt für seine innenpolitischen Ambitionen zu verwenden, scheint mir aus europäischer Sicht eine gefährliche Drohung zu sein. Niklas von Beringe
1190 Wien
Politische Selbstkastration
Eine Partei, die so stolz auf ihre angeblich so befruchtende bündische (tatsächlich lähmende) Vielfalt zu sein behauptet, die ständig auf die unumstößliche Notwendigkeit des (hauptsächlich der Selbstherrlichkeit ihrer Landeshauptleute dienenden) Föderalismus pocht, die bei Reformansätzen des Regierungspartners bis zur Unendlichkeit (siehe Schulreform) blockiert, selbst aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – solche (offensichtlichst zum Schutz ihrer politischen Versorgungsfälle) nicht einmal andenkt, hat sich heute von einem völlig unerfahrenen Politiker, dafür aber gnadenlosen Populisten auf dem Altar des erhofften Wahlerfolgs politisch kastrieren lassen. Klaus Fürlinger per Mail
Salbe oder Gel
Es wird auch den religiös motivierten Kurz-Anbetern bald klar werden: Der Geilomobil-Chauffeur und Orbán-Fan ist nicht der Gesalbte, sondern nur der Gegelte. Norbert Bruck
per Mail
Der neue Heilsbringer?
Kurz wird als der neue Heilsbringer in der Politik hochstilisiert.
Man sollte aber nicht vergessen, dass Kurz auf die Schließung der Balkanroute gedrängt hatte. Gerade durch diese Schließung sind viele Menschen im Mittelmeer ertrunken, nicht gerettet, wie Kurz fälschlicherweise behauptet hatte. Denn da es vor Ort keine Hilfe für diese Menschen gibt, haben die Menschen den totbringenden Weg über das Mittelmeer gesucht.
Kurz ist nicht der Heilsbringer, als der er sich so gerne präsentiert, sondern eher der Messias der Toten. Christian Wiesinger
4762 St. Willibald
Zurück zur Monarchie
So viel ich weiß, ist die ÖVP eine „eher konservative“Partei, innerhalb von ihr herrscht jedoch (zumindest überwiegend – noch?) Demokratie, und auch der Parteichef muss daher zur Umsetzung seiner Vorschläge und/oder Wünsche zuerst eine Mehrheit im Parteivorstand bzw. beim Parteitag finden. Aber genau das soll ja jetzt angeblich geändert und Sebastian Kurz „zum Alleinherrscher befördert“werden.
Ich frage mich daher: Will die ÖVP das wirklich? Braucht so ein (gravierender!) Beschluss nicht eine Mehrheit von allen (!) Parteimitgliedern?
Wenn das nicht der Fall ist, dann gilt in der ÖVP (solange es diese überhaupt noch gibt) jetzt offensichtlich eher das Prinzip: „Weg von der Demokratie – zurück zur Monarchie!“Kurt Stoschitzky
8200 Gleisdorf