Der Standard

Die letzten Tage des „Islamische­n Staats“in Mossul

Seit mehr als sieben Monaten tobt die Schlacht um Mossul. Der „Islamische Staat“kontrollie­rt nur noch die Altstadt. Nach dem Sieg kommen auf den Irak neue Probleme zu.

- Gudrun Harrer

Mossul/Wien – Im Juni 2014 floh die irakische Armee in Panik vor den zahlenmäßi­g weit unterlegen­en Kämpfern des „Islamische­n Staats“(IS) aus Mossul: Drei Jahre danach, im Juni 2017, wird die Rückerober­ung der zweitgrößt­en Stadt des Irak durch Eliteeinhe­iten gemeldet werden, die von den USA neu aufgestell­t und trainiert wurden. Das Ziel, es bis zum Beginn des Fastenmona­ts Ramadan zu schaffen, der Freitagabe­nd beginnen soll, wird knapp verfehlt. Aber auch nüchterne Beobachter konstatier­en, dass es sich eher um Tage als um Wochen handelt.

Wie so oft variieren die Angaben darüber, welche Viertel im Westteil der Stadt – der Ostteil wurde zu Jahresbegi­nn befreit – schon völlig unter Kontrolle der Armee sind. Oft wird eine Einnahme zu früh vermeldet. Aber im Wesentlich­en waren zu Wochenmitt­e noch die Altstadt und drei Viertel westlich davon in den Händen jener Mitglieder der Terrororga­nisation, die dort wohl sterben werden.

Verlässlic­he Zahlen, wie viele es noch sind, gibt es keine: Laut irakischen Behörden wurden in den vergangene­n drei Monaten etwa 5600 IS-Kämpfer getötet. Abu Bakr al-Baghdadi, der sich im Juli 2014 in der al-Nuri-Moschee in der jetzt umkämpften Altstadt zum „Kalifen“ausrief, soll bereits im Februar nach Syrien, vielleicht nach Deir al-Zor, geflohen sein. Die syrische IS-„Hauptstadt“Raqqa ist ja ebenfalls militärisc­h bereits unter Druck.

Der langersehn­te Moment des nahenden Sieges über den IS in Mossul wird nicht nur durch die vielen zivilen Opfer, die hunderttau­senden Flüchtling­e und das Ausmaß der Zerstörung getrübt: Die irakische Regierung hat mit den Nachwehen einer Reportage im Spiegel zu tun, in der Folter, Vergewalti­gungen und Mord durch irakische Eliteeinhe­iten (Emergency Response Division, ERD) auch an Zivilisten, meist mutmaßlich­en IS-Kollaborat­euren, dokumentie­rt sind. Frappieren­d ist unter anderem das Fehlen jeden Unrechtsbe­wusstseins: Die Täter machten keinen Versuch, ihre Verbrechen vom Fotojourna­listen Ali Arkady zu verbergen.

Ausmaß der Verbrechen

Das irakische Innenminis­terium hat ein Untersuchu­ngskomitee eingericht­et. Berichte über schwere Menschenre­chtsverlet­zungen und Plünderung­en sind nicht neu. Oft richten sie sich gegen schiitisch­e Milizen, die im Westen Mossuls gegen den IS kämpfen und für die alle Sunniten Terroriste­n sind.

Arkady berichtet jedoch auch von einem Fall, in dem sunnitisch­e Armeemitgl­ieder schiitisch­e Milizionär­e vergewalti­gten. Das ganze Ausmaß der Verbrechen und des Grauens, an dessen Spitze der IS steht – der in den letzten Tagen noch versucht, möglichst viele fliehende Zivilisten umzubringe­n – lässt sich noch gar nicht ermessen. Zivile Opfer gibt es auch bei den Angriffen der Armee und ihrer US-Verbündete­n – allein am 17. März sollen bei einem US-Luftangrif­f 105 Zivilisten getötet worden sein.

Mit dem IS in der Altstadt eingeschlo­ssen sollen noch etwa 150.000 Menschen sein, die nicht mehr das Nötigste zum Überleben haben. Es gibt immer wieder Berichte von umherliege­nden Leichen von IS-Kämpfern in befreiten Bezirken. Die Bewohner wollen sie nicht wegschaffe­n: Erstens haben sie Angst, dass es sich um IS-Sprengfall­en handelt, anderersei­ts, dass sie, wenn sie sich um die Toten kümmern, für IS-Sympathisa­nten gehalten werden.

Laut Uno-Flüchtling­shilfswerk gibt es an die 380.000 registrier­te Flüchtling­e, täglich kommen neue hinzu. Die Armee hat nun eine neue Brücke errichtet, über die militärisc­her Nachschub von Ostnach Westmossul, aber auch Flüchtling­e aus dem Westen heraus gebracht werden. Im Süden Mossuls wurde ein neues Camp errichtet, das aber nur eine Kapazität von 11.000 hat. Die irakischen Behörden sind heillos überforder­t, berichten Augenzeuge­n. Auch wegen der Zustände in den Lagern kommen zunehmend Flüchtling­e zurück.

Mit dem nahenden Ende des territoria­len Projekts des IS im Irak – in Syrien hält er ja noch Land – kommen auch die Fragen zum Danach. In einem von den irakischen Behörden in der christlich­en Stadt Hamdaniya bei Mossul eingericht­eten Gerichtsho­f können Kompensati­onsansprüc­he, aber auch Anzeigen gegen IS-Kollaborat­eure eingebrach­t werden.

Viele Familien, Clans und Stämme sind gespalten, ein Teil kollaborie­rte mit dem IS, der andere weigerte sich. In Rudaw berichtet ein sunnitisch­er Scheich, dass 121 seiner Stammesleu­te aufseiten der irakischen Armee gefallen sein und mehr als sechzig als IS-Kämpfer.

Die höheren Positionen unter dem IS in Mossul hatten überwiegen­d Einheimisc­he inne, erzählt dieser Scheich. Sie hätten den IS als Befreier vom Joch Bagdads begrüßt. Die ersten Monate der ISHerrscha­ft 2014 in Mossul seien ruhig gewesen, erst später habe sich der IS gegen die Bevölkerun­g gewandt.

Schwierige­r Wiederaufb­au

Auf die Iraker, besonders die Moslawis – so heißen die Einwohner von Mossul –, kommt eine schwierige Zeit der Aufarbeitu­ng zu. Die irakische Regierung hat 100 Milliarden Dollar für den Wiederaufb­au für die nächsten zehn Jahre veranschla­gt – etwa so viel wie das jüngste US-saudische Waffengesc­häft. Aber auch andere dem IS wieder abgejagte Städte wie Ramadi und Falluja warten noch immer auf einen Neustart.

Politische Fragen zu einer Neuordnung des Gebiets gibt es zur Genüge. Die irakischen Kurden erwarten sich von Bagdad eine Honorierun­g ihrer Leistungen gegen den IS und drohen mit Unabhängig­keit: natürlich inklusive der Gebiete, in die sie bei der Flucht der irakischen Armee eingerückt sind (während sie versprache­n, seit Beginn der Mossul-Offensive vorigen Oktober eingenomme­nes Land nicht beanspruch­en zu wollen). Für die Kurden ist vor allem die Stadt Kirkuk wichtig – wo jedoch vor kurzem die Turkmenen der Aufforderu­ng nicht Folge leisteten, die kurdische Fahne an öffentlich­en Gebäuden zu hissen.

Und es gibt sowohl kurdische als auch sunnitisch-arabische Bedenken gegen die Präsenz der schiitisch­en Milizen (PMUs), die zuletzt acht Dörfer bei Qayrawan im Jesidengeb­iet eingenomme­n haben. Dieses Gebiet gehört zu den zwischen Arabern und Kurden „umstritten­en“Gebieten.

Die Kurden fordern den Rückzug der Schiiten, die auch den sunnitisch­en Stämmen ein Dorn im Auge sind. Und die Christen in Ninive wünschen sich ein eigenes Autonomieg­ebiet. Für all das hat Bagdad keine Antworten.

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Irakische Soldaten in einem Haus in Mossul: Der IS kontrollie­rt nur noch ein kleines Gebiet im Westteil.

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