„Das Wasser hat sie mitgenommen“
Vor einem Vierteljahrhundert wurden an der Drina Menschen mit muslimischen Namen zu Tausenden ermordet – es war die Zeit der schlimmsten ethnischen Säuberungen im Bosnien-Krieg.
Die Sommer im Drina-Tal können heiß werden. Damira Kečanović kann sich noch erinnern, wie sie als Kinder unten am Fluss badeten. Als sie 15 Jahre alt war, und der Frühling einen warmen Sommer ankündigte, begann die Jugoslawische Volksarmee (JVA), ihre Stadt zu bombardieren.
Die Städte an der Drina, zunächst Bijeljina, dann Bratunac, Srebrenica, Foča und Višegrad wurden überrannt. Kriminelle, die sich zu paramilitärischen Einheiten zusammengetan hatten, verbreiteten Terror. Im Fall von Višegrad hießen sie die „Weißen Adler“. Danach folgte die organisierte ethnische Säuberung.
Alle Nichtserben vertreiben
Das Drina-Tal liegt an der Grenze. Kriegsziel war hier, die Nichtserben zu vertreiben und zu ermorden, um die Region dann an Serbien anzuschließen. Im DrinaTal starben laut dem bosnischen Totenbuch 28.135 Menschen. Die meisten Toten hatten muslimische Namen – nämlich 15.400, davon waren 2672 Frauen. Die grausamsten ethnischen Säuberungen fanden bereits zu Kriegsbeginn von April bis August 1992 statt. 6982 Zivilisten mit muslimischen Namen wurden in dem Zeitraum ermordet – das waren mehr als beim Genozid in Srebrenica drei Jahre danach.
„Die Tschetniks haben die Männer weggebracht. Später ist mein Vater in einem Massengrab gefunden worden“, erzählt Damira Ke- čanović. In der Nacht habe sie die Hilferufe der Männer gehört – viele von ihnen wurden auf der berühmten Brücke über der Drina, die im gleichnamigen Roman von Ivo Andrić beschrieben wird, ermordet und hinuntergestürzt. „Das Wasser hat sie mitgenommen“, meint Damira. Insgesamt 35 Männer aus ihrer Familie wurden in diesen Wochen getötet.
Die Häuser der Muslime wurden geplündert. Damira hörte auch die Schreie der vergewaltigten Frauen. Ihre Mutter unterschrieb schließlich, dass sie die Stadt verlassen würden. „Die anderen, die das nicht taten, wurden in ein Haus gebracht, das angezündet wurde“, erinnert sie sich. Am 14. Juni 1992 wurden etwa in der Pionirska-Straße im Haus von Adem Omeragić 59 Leute, vor allem Frauen und Kinder, aber auch ältere Menschen, eingeschlossen. Milan Lukić einer von den „Weißen Adlern“warf den Sprengstoff, der das Haus in Flammen setzte. Er schoss auf die Menschen, die versuchten hinaus zu fliehen.
Kečanović ist heuer mit Hunderten anderen zum Gedenken an 1992 nach Višegrad gekommen. Doch die Busse müssen zehn Kilometer vor der Stadt warten, weil in Višegrad gerade der 25. Jahrestag der Gründung der Višegrader Brigade gefeiert wird. Ex-Kommandant Luka Dragićević schiebt die Schuld am Krieg den Muslimen in die Schuhe. Er verfasste im Krieg ein Pamphlet, wonach Serben „genetisch stärker, besser aussehend und intelligenter“seien als Muslime. Gegen ihn wird ein Kriegsverbrecherprozess geführt.
Provokation und Gedenken
Auf der Brücke wird später der Toten gedacht. Die Angehörigen lassen Rosen für die Opfer ins Wasser fallen. Hochzeitsgesellschaften fahren gleichzeitig hupend durch die Stadt – sie halten Fahnen der Republik Serbien aus den Autos. „Sie provozieren jedes Jahr, wenn wir hierher kommen“, sagt die 67-jährige Zemka Hajla.
Vor 25 Jahren, als ihr Haus angezündet wurde, versteckte sie sich mit ihrer Familie vier Monate lang in den Wäldern. „Von meinem Sohn wurde später nur die Hand gefunden“, erzählt sie. In den Städten an der Drina wurden in dieser Zeit auch die Moscheen zerstört. Die Erinnerung an eine interkonfessionelle Koexistenz sollte vernichtet werden.