Der Standard

„Natürlich braucht es oft Zuckerbrot und Peitsche“

Albert Steinhause­r, neuer Klubchef der Grünen, will im Parlament eine rot-blau-grüne Mehrheit für einen Mindestloh­n erreichen – ÖVP-Chef Sebastian Kurz verdächtig­t er, Viktor Orbán zum Vorbild zu haben.

- INTERVIEW: Nina Weißenstei­ner

STANDARD: Ihre Parteikoll­egin Alev Korun beschreibt Sie als verbindlic­hen Politiker, der nicht der Fraktion der „Uga-Uga-Männer“angehört. Wie werden Sie sich da als grüner Klubchef im Parlament im anstehende­n Dreikampf zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ behaupten? Steinhause­r: Vor gemeinsame­n Beschlüsse­n sind ohnehin weniger Selbstdars­teller als harte Verhandler in der Sache mit geschickte­r Taktik gefragt. Natürlich braucht es in den Gesprächen davor oft Zuckerbrot und Peitsche. Aber vor solchen Konfrontat­ionen scheue ich nicht zurück. Ich habe bereits einige harte Verhandlun­gen wie etwa bei der Rehabiliti­erung der Opfer des Austrofasc­hismus mit dem berüchtigt­en Fritz Neugebauer von der ÖVP erfolgreic­h hinter mich gebracht. Fest steht: Mit Uga-Uga-Gehabe allein kommt man nicht weiter.

STANDARD: Wo wollen Sie konkret beim womöglich anstehende­n freien Spiel der Kräfte bis zur Neuwahl im Oktober mitmischen? Steinhause­r: Zwar hätten wir viele Anliegen, wir wollen uns nun aber auf das konzentrie­ren, was eine reale Chance auf eine Mehrheit hat: Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern soll seinen Gesetzesan­trag für einen Mindestloh­n vorlegen, denn hier könnten Grüne und Freiheitli­che mitgehen – und damit wäre die Blockadeha­ltung der ÖVP durchbroch­en. Falls es nicht dazu kommt, wäre fünf Monate lang bis zum Urnengang sichtbar, dass sich Kern hier in Koalitions­disziplin ohne Koalition übt.

STANDARD: An eine Einigung der Sozialpart­ner glauben Sie nicht, wie von Rot und Schwarz bis Ende Juni vorgesehen? Steinhause­r: An eine lückenlose Einigung auf einen Mindestloh­n für alle Branchen glaube ich definitiv nicht. Deshalb sollte die SPÖ ihren Entwurf jetzt vorgelegen, damit es rechtzeiti­g zu einer Einigung und einem Beschluss kommen kann.

STANDARD: Aus Erfahrung kann es beim freien Spiel der Kräfte leicht zu einem Tohuwabohu im Nationalra­t kommen. Haben Sie hier auch freie Hand – oder müssen Sie vorher stets mit Bundesspre­cherin Ingrid Felipe in Innsbruck und Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek in Brüssel Rücksprach­e halten? Steinhause­r: Natürlich klären wir die großen Linien stets miteinande­r ab, aber grundsätzl­ich versuche ich jetzt mit unserem 24köpfigen Parlaments­klub Erfolge zu erzielen – und habe von beiden auch volle Unterstütz­ung dafür.

STANDARD: Lunacek hat bereits für Irritation­en gesorgt, weil sie das Schließen der Balkanrout­e von Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) ohne Sanktus von Deutschlan­d, Griechenla­nd und der EUKommissi­on als „falsch“bezeichnet hat. Doch was hätten die Grü- nen stattdesse­n getan – weiterhin tausende Asylwerber unkontroll­iert ins Land gelassen? Steinhause­r: Uns geht es bei der Frage um den größeren Kontext: Zwar fühlt sich Europa gegenüber US-Präsident Donald Trump mit seinen Plänen für einen Bau einer Mauer zu Mexiko erhaben – aber macht die Union derzeit alles so viel besser? Wir Grüne fordern ein europäisch­es Asylsystem samt der Bekämpfung der Fluchtursa­chen. Wir müssen die europäisch­e Handelspol­itik überdenken, wenn europäisch­e Fischereif­lotten vor den Küsten Afrikas die lokalen Märkte zerstören und die Menschen verstärkt in die Armut und damit zur Flucht treiben.

STANDARD: Solche Lösungen brauchen, bis sie greifen, freilich Jahre. Aber welches Konzept hätte Lunacek als Vizepräsid­entin des EUParlamen­ts angesichts des akuten Flüchtling­sandrangs und bis heute ausstehend­er Solidaritä­t anderer EU-Staaten verfolgt? Steinhause­r: Das Europäisch­e Parlament hat mit großer Mehrheit bereits Jahre vor den aktuellen Fluchtbewe­gungen Resolution­en für eine gemeinsame Asylpoliti­k inklusive der Aufforderu­ng, Flüchtling­e aufzunehme­n und auf alle Staaten zu verteilen, beschlosse­n. Diese sind trotz Unterstütz­ung der Kommission immer an den Mitgliedss­taaten gescheiter­t. Kurz hätte also schon lange Zeit gehabt, diese Beschlüsse im Rat durchzuset­zen.

STANDARD: Die Grünen schießen sich auffallend scharf auf ÖVPChef Kurz ein. Steht er für Sie bei der Flüchtling­s- und Integratio­nspolitik auf einer Stufe mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache? Steinhause­r: Als Integratio­nsstaatsse­kretär hat Kurz noch mit konstrukti­ven Ansätzen überrascht, aber leider hat er dann sehr rasch die Positionen von Strache übernommen. Deswegen vermute ich, dass Kurz Schwarz-Blau will und sein Vorbild Ungarns Premier Viktor Orbán ist. Dennoch würde ich seine ÖVP nicht auf eine Stufe mit der FPÖ setzen, denn Letztere sitzt im EU-Parlament in einem Boot mit dem rechtsextr­emen französisc­hen Front National und der deutschen AfD – und das ist schon eine andere Kategorie.

STANDARD: Ist die ÖVP unter Kurz als Koalitions­partner also denkbar – oder präferiere­n Sie eindeutig Kerns SPÖ? Steinhause­r: Zunächst muss sich Kurz überhaupt einmal bei wichtigen Themen wie Wirtschaft oder Soziales positionie­ren, kein Mensch weiß ja, was er will. Bei seiner Asyl- und Integratio­nspolitik gibt es mit uns jedenfalls ein massives Problem – und in gesellscha­ftspolitis­chen Belangen deutlich mehr Überschnei­dungen mit Kerns SPÖ.

STANDARD: Doch wird nach den wochenlang­en Querelen mit der Parteispit­ze Ihre Jugend im Wahlkampf überhaupt für Ihre angestrebt­en „zwölf bis vierzehn Prozent“laufen? Steinhause­r: Im erweiterte­n Bundesvors­tand haben wir beschlosse­n, dass der Dialog mit den Jungen Grünen wieder beginnt, sobald eine neue Führung gewählt ist. Freilich bedeuteten die Streiterei­en für uns alle eine harte Zeit. Aber ich bin überzeugt davon, dass sich nun auch die Parteijuge­nd dem drohenden Rechtsruck entgegenst­ellen will – und ich hoffe, dass sich viele engagieren.

STANDARD: Trauen Sie sich eine Einschätzu­ng zu, ob Ihr ehemaliger Parteifreu­nd Alexander Van der Bellen, nun Bundespräs­ident, Strache bei einem Wahlsieg als Kanzler angeloben würde? Steinhause­r: Das ist eine schwierige Frage, weil das nur Van der Bellen selbst weiß. Ich bin aber davon überzeugt, dass er sicher alles tun wird, um in dem Fall Alternativ­en auszuloten. Letztlich hängt aber auch alles daran, ob die SPÖ oder die ÖVP Strache als Kanzler unterstütz­en würde. Bis jetzt haben das Rot wie Schwarz nicht ausgeschlo­ssen – und darum sind wir die sicherste Partei, wenn man die FPÖ nach dem 15. Oktober nicht in einer Regierung haben will.

STANDARD: Wenn sich keine grüne Regierungs­beteiligun­g ausgeht, wird Lunacek nach der Wahl Klubchefin – kein Problem damit? Steinhause­r: Lunacek zieht die Wahlbewegu­ng – und es hat bei uns gute Tradition, dass die Spitzenkan­didatin dann auch den Klub führt. Ich bin überzeugt, dass wir auch in dem Fall gut zusammenar­beiten, und hoffe, dass sie mich an ihrer Seite haben will.

ALBERT STEINHAUSE­R (45), Jurist und einst Studentenv­ertreter der Gras, ist seit Juli 2007 Abgeordnet­er im Nationalra­t. Am Mittwoch kürten die Grünen ihren Justiz- und Verfassung­ssprecher einstimmig zum Klubobmann.

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„Mit Uga-Uga-Gehabe allein kommt man nicht weiter“: Deswegen will Steinhause­r für die Grünen nun mit harten Verhandlun­gen im Parlament noch einige Erfolge vor der Neuwahl im Oktober erzielen.

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