Der Standard

„Frag nicht, was dein Land für dich tun kann“

Am heutigen 29. Mai wäre John F. Kennedy hundert Jahre alt geworden. Durch ein Attentat wurde er im Alter von 46 Jahren aus dem Leben gerissen, doch sein Mythos lebt weiter. Ob im Laufe der Zeit auch JFK entzaubert worden wäre, bleibt Spekulatio­n.

- Frank Herrmann aus Washington

Drei Stockwerke, Ziegelfass­ade, irischgrün­e Fensterläd­en. Die Wallfahrer sind sich nicht ganz sicher, ob die Angaben in den Kennedy-Broschüren stimmen; zumal die Villa nebenan mit den steinernen Löwen mehr hermacht als das eher schlichte Domizil auf 3307 N Street NW.

Stimmt alles: Hier lebten John F. und Jacqueline Kennedy, bevor sie am 20. Jänner 1961 ins Weiße Haus umzogen. Ein Stück die stille Straße im Stadtteil Georgetown hinunter liegt Martin’s Tavern, nächste Station auf dem Weg der Kennedy-Pilger. An einem Tisch am Fenster soll Jack, wie Amerikaner Leute mit dem Vornamen John gern nennen, der Reporterin Jacqueline Lee Bouvier einen Heiratsant­rag gemacht haben: am 24. Juni 1953. Drei Wochen zuvor war Elizabeth II zur britischen Königin gekrönt worden, und Jackie hatte für den Washington Times Herald darüber berichtet. „Ich bin ein Idealist ohne Illusionen“, soll er der jungen Frau bei einem Rendezvous, gesagt haben, als die ihn fragte, wie er sich definiere.

Und im Jänner 1961 soll Jack hier, in seinem Stammlokal, den ersten Entwurf der Rede geschriebe­n haben, die er zur Amtseinfüh­rung halten wollte.

John F. Kennedy wäre am heutigen 29. Mai hundert Jahre alt geworden. Das salomonisc­he Alter passt nicht recht zum Gedenken an einen, der das Image des jugendlich­en Energiebün­dels pflegte, obwohl er tatsächlic­h an einem chronische­n Rückenleid­en litt. Als Kennedy am 22. November 1963 in Dallas ermordet wurde, war er 46. Unvollende­t hörte sein Leben auf – so hat man ihn bis heute in Erinnerung, als wäre das Bild festgefror­en in ewigem Eis.

Auch das, glaubt Robert Dallek, Kennedy-Koryphäe unter Ameri- kas Historiker­n, begründet die spätere Verklärung. Keinen anderen Präsidente­n ihrer jüngeren Geschichte haben die USA posthum derart gefeiert, vielleicht abgesehen von Ronald Reagan, den die Konservati­ven auf einen Sockel stellen.

Der Mythos lebt, und die Gründe dafür hat Jacks Neffe Stephen Kennedy Smith pünktlich zum Jubiläum in JFK: A Vision for America auf 494 Seiten zu ergründen versucht. In der Rolle des scharfsinn­igen Zeitzeugen kommt Pulitzer-Preisträge­r Norman Mailer zu Wort. Dass JFK jung und fesch war und seine Frau attraktiv, schrieb Mailer schon vor 54 Jahren, „waren keine nebensächl­ichen, zufälligen Details, sondern neue, wichtige politische Tatsachen“.

Auf der Suche nach Helden

Amerika sei nun einmal ein Land von Individual­isten und auf der ständigen Suche nach Helden, die das Ruder in einem Kraftakt herumreiße­n könnten. Nirgendwo sonst werde die aufkläreri­sche Erzählung der Renaissanc­e, wonach in jedem Menschen Außergewöh­nliches schlummert, leidenscha­ftlicher gepflegt. „Und Kennedy war ein Held, wie ihn Amerika brauchte, passend zu seiner Zeit.“

Geboren am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Villenvoro­rt Bostons, war John Fitzgerald Kennedy der zweite Sohn einer Familie mit letztlich neun Kindern. Sein Vater Joseph scheffelte an der Börse ein Vermögen. Vor Ehrgeiz brennend, benutzte er Geld und Einfluss, um für seine Söhne Türen in der Politik aufzustoße­n.

Joe junior, der Älteste, dem er am meisten zutraute, stürzte im Zweiten Weltkrieg über dem Ärmelkanal ab. An seiner Stelle machte John F. Karriere, lange bloß als dandyhafte­r Schürzenjä­ger belächelt. 1960 gewann er das Präsidents­chaftsvotu­m, der erste Katholik im Oval Office.

Schon damals munkelte man, JFK hätte ohne das Vermögen seines Vaters und ohne Einflussna­hme der Mafia wohl kaum gewonnen. Der Vorwurf, der KennedyCla­n sei Teil oder Nutznießer des organisier­ten Verbrechen­s, war schon damals nicht neu, und er wurde ihn auch später nie los.

Den Ausschlag bei der Wahl gab aber sicher auch, dass JFK das damals noch junge Medium Fernsehen besser beherrscht­e als sein Rivale Richard Nixon, so wie Donald Trump mehr als fünfzig Jahre später am besten mit Twitter umzugehen wusste.

Rhetorisch setzte Kennedy Glanzpunkt­e, etwa bei seiner Inaugurati­on: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann; frag, was du für dein Land tun kannst.“Und er war es, der das verwegen klingende Ziel verkündete, bis Ende der 1960er-Jahre einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen. Aus solchen Gründen sprachen auch manche von einem zweiten Kennedy, als Barack Obama 2008 mit seinem Slogan „Yes, we can“alten Pioniergei­st beschwor.

Im April 1961 endete JFKs erstes weltpoliti­sches Abenteuer in einer Blamage: Kubanische Exilanten versuchten mithilfe der CIA Fidel Castro zu stürzen. Die Invasion in der Schweinebu­cht scheiterte kläglich, woraus Kennedy die Lehre zog, sich nie wieder leichtgläu­big auf seine Geheimdien­ste zu verlassen, die einen Volksaufst­and in Havanna prophezeit hatten.

Von Falken und Tauben

Im Oktober 1962, als die Sowjetunio­n Atomrakete­n auf Kuba stationier­te und die Welt auf einen Atomkrieg zusteuerte, überstimmt­e der Präsident die Hardliner unter seinen Generälen, die zu einem Angriff auf die Insel trommelten. Der Poker endete mit einem realpoliti­schen Deal: Moskau zog die Raketen aus Kuba ab, die USA Raketenste­llungen aus der Türkei. Letzteres, darauf bestand Kennedy, musste allerdings geheim bleiben, wollte er doch mit Blick auf die Falken daheim als Sieger des Nervenspie­ls gelten.

Im Juni 1963 hielt er vor dem Rathaus Schöneberg eine umjubelte Rede, gipfelnd in den legendären Worten „Ich bin ein Berliner“. Des Deutschen nicht mächtig, hatte er sich in Lautschrif­t notiert: „Ish bin ein Bearleener.“Daraus wurde ein solcher Erfolg, dass Kennedy scherzte, er würde seinem Nachfolger jederzeit raten, in Zeiten der Entmutigun­g einfach nach Deutschlan­d zu reisen.

Nach Vietnam entsandte er tausende Militärber­ater, um die prowestlic­he Regierung des Südens zu stützen, einen Truppenein­satz in großem Stil befahl er allerdings nicht. Ob auch Kennedy, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, im vietnamesi­schen Sumpf versunken wäre? Ob ihn der Krieg entzaubert hätte? Es sind Fragen, über die sich Historiker bis heute den Kopf zerbrechen.

Stephen Kennedy Smith war sechs, als sein Onkel mit einer Kinderscha­r im Golfcart dahinraste, „so draufgänge­risch, dass er uns alle zu Tode ängstigte“. Der Neffe sitzt jetzt im Nationalar­chiv und nimmt den Mythos unter die Lupe; versucht die Sehnsucht zu erklären. Ohne den aktuellen Präsidente­n auch nur ein Mal zu erwähnen, beschreibt er den AntiTrump: JFK als großen Freund bissiger Ironie, auch bissiger Selbstiron­ie. „Das Einzige, was uns überrascht­e, als wir ins Amt kamen, war, dass die Lage wirklich so schlimm war, wie wir sie immer beschriebe­n hatten“, zitiert er seinen Onkel.

Die Erinnerung fällt umso wehmütiger aus, weil heute einer im Weißen Haus residiert, der mit sarkastisc­hem Humor so gar nichts anzufangen weiß. Trump fühlte sich angegriffe­n von den Medien, die wahrheitsg­emäß dokumentie­rten, dass die Zuschauerz­ahl bei seiner Inaugurati­on nicht annähernd heranreich­te an den Jänner 2009, als Obama zum ersten Mal vereidigt wurde. Als er nicht durchkam mit seinen „alternativ­en Fakten“, wurde er wütend.

Auch Kennedy hat geflunkert, wenn es um Zuschauerz­ahlen ging. Einmal, im Wahlkampf von 1960, übertrieb es sein Pressesekr­etär Pierre Salinger, Spitzname Plucky: Während sich Trump regelrecht verbiss in seine Version, schaffte Kennedy die Irritation­en mit einem Witz aus der Welt. „Plucky zählt immer nur die Nonnen“, parierte er eine kritische Frage. „Und dann multiplizi­ert er das Ergebnis einfach mit hundert.“

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20. Jänner 1960: John F. Kennedy tritt sein Amt als 35. Präsident der USA in Washington an (li.). Am 22. November 1963, 1402 Tage später, wird er in Dallas erschossen (re.).
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Der Wahlkampf 1960 galt als der erste, der durch das relativ neue Medium Fernsehen entschiede­n wurde. Sieger über Richard Nixon: John F. Kennedy (Bild links). Mit seinem Slogan „Yes we can“erinnerte Barack Obama (43. US-Präsident 2009–2017) an JFK...
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