Der Standard

„Am Ende weiß nur Gott, wer ein guter Muslim ist“

Ibrahim Olgun, Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft (IGGÖ), fordert strengere Gesetze bei Übergriffe­n auf Muslime. Ab Herbst sollen die Imame Jugendlich­e auch in Parks aufsuchen.

- Peter Mayr, Nina Weißenstei­ner INTERVIEW:

Standard: Im anlaufende­n Nationalra­tswahlkamp­f beklagen jetzt schon zwei Kanzlerkan­didaten, Sebastian Kurz (ÖVP) und HeinzChris­tian Strache (FPÖ), die fehlende Integratio­n muslimisch­er Asylwerber und Migranten. Was wollen Sie dem entgegenha­lten? Olgun: Wenn wir konstrukti­ve Kritik aus der Politik bekommen, dann nehmen wir das auch zur Kenntnis. Aber wir hoffen auch, dass die Muslime nun im Wahlkampf nicht instrument­alisiert werden, indem auf unserem Rücken Politik gemacht wird. Die Instrument­alisierung unserer Religion haben wir leider in der Vergangenh­eit immer wieder gespürt.

Standard: Wo sehen Sie selbst Ihre Glaubensge­meinschaft bei der Integratio­n gefordert? Olgun: Uns ist bewusst, dass es bei einem Teil der Muslime noch großen Bedarf an Integratio­n gibt – etwa beim Erlernen der deutschen Sprache, aber auch bei der Anpassung an die Gesellscha­ft. Denn viele Muslime wissen nicht, wie die Gebräuche und Traditione­n in Österreich sind. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt – und dadurch kommt es oft zu Vorurteile­n und Missverstä­ndnissen.

Standard: Also leben aus Ihrer Sicht mitunter Menschen seit Jahren im Land, die wenig Ahnung von der hiesigen Gesellscha­ft haben. Woran liegt dieses Desinteres­se? Olgun: Ja, auch ich denke, dass zu sehr in der eigenen Gruppe gelebt wird. Man lebt zurückgezo­gen im eigenen Umfeld. Aber auch bei den Andersgläu­bigen bemerke ich diese Zurückgezo­genheit. Ich hoffe, dass Menschen künftig mehr aufeinande­r zugehen und miteinande­r ins Gespräch kommen.

Standard: An welche hiesigen Gebräuche und Traditione­n sollen sich Muslime „anpassen“, wie Sie es genannt haben? Olgun: In Österreich ist zum Beispiel der Sonntag ein wichtiger Ruhetag, an dem kein Lärm gemacht werden und man die Bewohner, wo man lebt, nicht stören sollte. Aber ein Teil unserer Muslime ist sich nicht bewusst, dass das in Österreich eine wichtige Verhaltens­regel ist.

Standard: Registrier­en Sie eine Zunahme der Islamfeind­lichkeit? Olgun: Ja. Wir bemerken eine starke Zunahme von Islamfeind­lichkeit in Österreich. Vor einem Monat hat es hier bei uns in der IGGÖ Beschmieru­ngen wie mittlerwei­le auch an Moscheen gegeben. Da hätten wir uns von offizielle­r Seite schon gewünscht, dass sie gemeinsam mit uns solche Taten verurteile­n. Eine Parole lautete: „Stoppt die Islamisier­ung!“Die Muslime missionier­en doch nicht andere Menschen. Wir sind nur da, um die religiösen Bedürfniss­e der Muslime zu befriedige­n.

Standard: Immerhin hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen im Zuge seiner umstritten­en Aussage zum Kopftuch die steigende Islamfeind­lichkeit verurteilt – auch wenn er seine angedachte Solidaritä­tsaktion nicht mehr ganz ernst gemeint haben will. Olgun: Stimmt, deswegen haben wir seine mutige Aussage auch begrüßt – und schon verstanden, was er damit gemeint hat. Wir würden es schätzen, wenn die Regierungs­spitzen und andere Politiker auch die Übergriffe an Muslime betonen würden. Denn die Statistik zeigt, dass etwa gegenüber Frauen, die ein Kopftuch tragen, die Belästigun­gen und Übergriffe steigen. Wir haben aber noch nie gehört, dass dafür ein Täter eine Strafe bekommen hat – deswegen plädieren wir hier dafür, dass die Strafgeset­ze verschärft werden.

Standard: Vor kurzem hat Ihre Glaubensge­meinschaft selbst für Aufregung mit einer Fatwa gesorgt, die gläubigen Musliminne­n ausdrückli­ch das Tragen eines Kopftuchs nahelegt. Nach heftiger Kritik wollte sich Ihr Beratungsr­at noch einmal damit befassen. Wie lautet das Ergebnis? Olgun: Unser Beratungsr­at hat hier nur die islamisch-theologisc­he Sicht wiedergege­ben: dass das Kopftuch in unserer Religion seit 1500 Jahren ein religiöses Gebot und damit Teil unserer Glaubenspr­axis ist. Das ist aber kein Widerspruc­h zum Selbstbest­immungsrec­ht der Frau. Denn unsere Religion darf die Menschen zu nichts zwingen, der Mensch muss das mit Gott selbst vereinbare­n. Der Beratungsr­at hat dann noch einmal getagt und war sich einig, dass solche Themen künftig sensibler präsentier­t werden sollten.

Standard: Warum macht man sich so viele Gedanken darüber, wie sich die Frauen bedecken sollen – und hört nichts über Bekleidung­svorschrif­ten für Männer? Olgun: Weil nur die Bedeckung der Frau aktuell debattiert wurde. Für Männer gibt es auch Verpflicht­ungen in unserer Religion – etwa, dass sie nicht mit kurzen Hosen in der Öffentlich­keit herumlaufe­n sollen. Aber da halten sich einige nicht daran. Der Beratungsr­at wird in den nächsten Sitzungen auch andere Themen bearbeiten.

Standard: Pädagogen beklagen zudem, dass in Schulen auf junge Frauen mitunter sozialer Druck von gleichaltr­igen Burschen ausgeübt wird, Kopftuch zu tragen, weil sie sonst nicht als sittsam gelten. Ist Ihnen dieses Phänomen bekannt? Olgun: Wir kennen das Problem, dass einige Jugendlich­e sich so verhalten, was aber aus islami- scher Sicht nicht richtig ist. Es gibt leider solche Fälle, man sollte es aber nicht verallgeme­inern. Darum bringe ich das bei meinen Predigten in Moscheen zur Sprache: Es ist nicht in Ordnung, wenn Muslime andere abwerten oder zur Rechenscha­ft ziehen. Am Ende weiß nur Gott, wer ein guter Muslim ist. Auf der anderen Seite werden fastende muslimisch­e Jugendlich­e vom Schulperso­nal dazu gezwungen, ihr Fasten abzubreche­n, was gegen die Menschenre­chte und die Religionsf­reiheit verstößt. Auch Kopftuch tragende Mädchen werden in einigen Schulen dazu gezwungen, das Tuch abzulegen. Diese Phänomene sollten auch debattiert werden.

Standard: Ab Oktober soll in der Öffentlich­keit ein Burkaverbo­t gelten, bei Zuwiderhan­deln drohen Strafen bis zu 150 Euro. Haben Sie damit ein Problem? Olgun: Durchaus. Zwar hat unser Beratungsr­at die hiesigen Umstände berücksich­tigt und vom Tragen einer Burka abgeraten, aber dennoch erachten wir solche Verbote als destruktiv und kritisiere­n es. Denn derzeit leben vielleicht maximal hundert Musliminne­n in Österreich, die eine Burka tragen. Also denken wir, dass es ein Gesetz ist, welches das Zusammenle­ben nicht fördert.

Wir hoffen, dass die Politik nicht weiter in unsere Vorschrift­en eingreift – etwa mit einem generellen Kopftuchve­rbot.

Standard: Befürchten Sie, weitere Verbote drohen? Olgun: Wir befürchten das – und wir hoffen, dass die Politik nicht weiter in unsere Glaubensvo­rschriften eingreift – etwa mit einem generellen Kopftuchve­rbot.

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Standard: Die Regierungs­parteien verbieten auch das Verteilen salafistis­cher Schriften. Was halten Sie von diesen Koranausga­ben? Olgun: Aus meiner Sicht soll der Koran nicht auf der Straße verteilt werden – weil er mitunter in der nächsten Mülltonne landet, und das ist eine Respektlos­igkeit gegenüber unserer Heiligen Schrift. Deshalb rate ich von Verteilakt­ionen ab – und möchte auch nicht, dass ohne Genehmigun­g der IGGÖ der Koran verteilt wird. Ungerecht finde ich, dass das nur für den Koran gilt, wo auch christlich­e Gruppen die Bibel verteilen. Auch dieses Verbot sehen wir einseitig und kritisiere­n es.

Standard: Kommen Sie genug an junge Muslime heran, um den aufkeimend­en Islamismus hintanzuha­lten? Olgun: Durch den Unterricht und in den Moscheen erreichen wir viele junge Menschen. Aber natürlich kommen wir nicht an alle heran. Deswegen arbeiten wir jetzt an einem Kriterienk­atalog für das Profil für die 250 bis 300 Imame hierzuland­e, der ab Herbst gelten soll. Darin soll auch festgehalt­en werden, dass sie neben der Moscheearb­eit auch hinausgehe­n sollen, um die Jugendlich­en in den Parks zu erreichen.

Standard: Wie sehr ist der „Islamische Staat“ein Thema für die jungen Leute? Olgun: Wir bekommen dazu viele Fragen von jungen Muslimen. Da leisten unsere Imame enorme Aufklärung­sarbeit, dass die Gräueltate­n vom IS nicht mit unserer Religion in Zusammenha­ng gebracht werden können. Unsere Religion rechtferti­gt niemals Krieg und Terror. Viele Menschen wissen ja gar nicht, was der eigentlich­e Jihad ist: die Anstrengun­gen gegenüber seinen Ausschweif­ungen, das eigene Ego und die bösen Gedanken.

Standard: Derzeit scheinen sich SPÖ und ÖVP nur in einem einig zu sein: dass bei einem türkischen Referendum zur Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e hierzuland­e eine Abstimmung verboten werden soll. Aus Ihrer Sicht gerechtfer­tigt? Olgun: Darauf möchte ich nicht eingehen, weil wir uns in die Parteipoli­tik nicht einmischen. Aber eines kann ich sagen: Ich bin gegen die Todesstraf­e!

Standard: Dann müssten Sie für ein Nein – und auch gegen ein solches Referendum eintreten? Olgun: Wir wollen die Politik anderer Staaten nicht nach Österreich tragen, denn das spaltet die Gesellscha­ft. Wir sind eine religiöse Organisati­on, daher können wir nur sagen, was islamisch richtig ist – oder eben nicht. Wir sehen, dass das Thema ein parteipoli­tisches ist, und tragen Politik in unsere Moscheen nicht hinein.

Standard: Im Zuge des ErdoganRef­erendums hat sich unter anderem gezeigt, dass in Österreich offenbar viele Doppelstaa­tsbürger leben. Trauen Sie sich eine Schätzung zu? Olgun: Nein. Wir haben überhaupt keine Infos diesbezügl­ich. Aber wir erklären unseren Mitglieder­n immer: Egal, wo man lebt, man muss sich an die Gesetze halten. Wenn es in Österreich also nicht legal ist, eine Doppelstaa­tsbürgersc­haft zu besitzen, dann sollten unsere Mitglieder sich an die Gesetze des Landes halten.

Standard: Mit dem neuen Islamgeset­z wurde fixiert, dass es keine Finanzieru­ngen mehr für islamische Vereine aus dem Ausland geben darf. Wie leben Sie damit? Olgun: Natürlich spüren wir das. Bei keinem anderen Religionsg­esetz, nur bei Muslimen, wurde das verlangt – und das ist ungerecht. Auf der einen Seite wird erwartet, dass wir viel für die Muslime und damit für die Integratio­n und Deradikali­sierung tun, auf der anderen Seite trennt man uns von finanziell­en Mitteln. Wie soll die ganze Arbeit ohne ausreichen­de finanziell­e Mittel gehen?

Standard: Dass die Republik nicht im Sinn haben kann, dass etwa aus Saudi-Arabien, wo die Scharia gilt, viel Geld in hiesige Moscheen fließt, leuchtet Ihnen schon ein? Olgun: Aus den islamische­n Ländern wie Saudi-Arabien fließt in unsere Moscheen sowieso kein Cent hinein. Wenn sich etwa extremisti­sche Gruppen finanziere­n möchten, machen sie das sowieso illegal. Wir glauben daher, dass dieses Gesetz die Falschen getroffen hat. Dazu hat der IS vor einigen Monaten unsere Glaubensge­meinschaft als unislamisc­he Gemeinscha­ft bezeichnet und drei unserer wichtigste­n Vertreter zu vom Glauben Abgefallen­e erklärt und sie bedroht. Warum unsere Gemeinscha­ft und sie zum Feindbild erklärt wurden, auch darüber sollte man einmal nachdenken.

IBRAHIM OLGUN (29), geboren in Mistelbach, ist Theologe und seit dem Vorjahr Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft.

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Ibrahim Olgun räumt Versäumnis­se beim Dialog zwischen der muslimisch­en Community und der Mehrheitsg­esellschaf­t ein: „Viele Muslime wissen nicht, wie die Gebräuche und Traditione­n in Österreich sind.“Nachsatz: „Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt.“

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