Der Standard

Die schwierige Suche nach älteren Mitbewohne­rn

Senioren-Wohngemein­schaften boomen – so heißt es zumindest. In der Realität ist es aber recht schwierig, Menschen mit relativ geringem Pflegebeda­rf, die sich für diese Wohnform eignen, zu finden. Ein WG-Besuch.

- Gudrun Springer

– Die Zimmer in der Wohngemein­schaft sind geräumig, jedes verfügt über ein eigenes Bad inklusive WC, die Gemeinscha­ftswohnküc­he glänzt blitzeblan­k, und die meisten Wohneinhei­ten in dem modernen Bau haben einen separaten Zugang auf die große Terrasse. Trotzdem tut sich Hermine Freitag schwer, neue WG-Bewohner zu finden.

Während Studenten-WGs bei Freiwerden eines Zimmers oft regelrecht­e Castings abhalten, um sich dann ihren Lieblingsi­nteressent­en herauszupi­cken, ist die Suche nach passenden Bewohnern für Senioren-WGs ungleich schwierige­r. „Die richtige Person zu finden ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Hermine Freitag, die beim Arbeiter-Samariter-Bund Wien den Bereich Betreuung leitet. „Es ist ganz schwer, herauszufi­nden, wer hineinpass­t“, sagt Freitag, die manchmal mehrere Monate nach Nachmieter­n sucht. Neuzugänge müssten gemeinscha­ftsfreudig sein. Und es soll für sie passen – „denn wer in die WG zieht, baut viele andere Brücken ab“.

Zimmer frei

Derzeit ist in der WG des Samariter-Bunds in der Mühlgrundg­asse 3 im 22. Bezirk ein Zimmer frei. Kommenden Dienstag (30.5., 13.30 bis 15.30 Uhr) findet ein Tag der offenen Tür statt (Anmeldung unter 01/89145283). Zu so einem Anlass seien schon 20 bis 25 Leute gekommen, in anderen Fällen nur drei, erzählt Frau Freitag.

In die zwei Senioren-WGs des Samariter-Bunds (es gibt auch eine im 20. Bezirk) können Menschen mit Betreuungs­bedarf der Pflegestuf­en eins bis drei einziehen. Personen mit psychiatri­schen Erkrankung­en oder Demenz werden nicht aufgenomme­n. „Es sollten Personen einziehen, die ihren Alltag noch selbst autonom gestalten können“, sagt Freitag. Wenn sie mit der Zeit mehr Betreuung brauchen, können sie aber bleiben.

„Zu manchen Bewohnern kommt dreimal am Tag die Heimhilfe“, sagt Freitag. Über Nacht ist jedoch keine Betreuung vor Ort. Die Bewohner der barrierefr­eien 400-Quadratmet­er-Wohnung in der Mühlgrundg­asse sind zwischen 57 und 80 Jahre alt. Sie zahlen pro Zimmer inklusive Betriebsko­sten je nach Größe 570 bis 720 Euro Miete – Reinigung der Gemeinscha­ftsräume und technische Reparature­n inbegriffe­n. Das freie 28-Quadratmet­er-Zimmer ist möbliert: Unter anderem verfügt es über ein höhenverst­ellbares Bett und Haltegriff­e im Bad.

Die Wohnform der SeniorenWG­s führt in Wien noch ein Nischendas­ein: Beim Fonds Soziales Wien (FSW) kennt man zwar nicht die Gesamtzahl der WGs, weiß aber, wie viele darin wohnhafte Personen Pflege- und Betreuungs­dienste des FSW – also Heimhilfen oder Hauskranke­npflege – in Anspruch genommen haben. Im Jahr 2015 waren das gerade einmal 240 Menschen.

Man geht beim FSW aber davon aus, dass die Wohnform in Zukunft an Bedeutung gewinnt, da laut Strategiek­onzept „Pflege und Betreuung in Wien 2030“unter anderem das Angebot der mobilen und teilstatio­nären Bereiche und der Seniorinne­n-WGs erweitert werden soll. Details und Fördermode­lle seien gerade in Ausarbeitu­ng, heißt es vom FSW. Auch der Samariter-Bund plant eine weitere WG in Liesing.

Einzug mit zwei Katzen

Bewohnerin Monika G., die ihr Alter nicht verraten will, hat über ihren Neffen von der 2012 eröffneten Acht-Personen-WG erfahren und ist samt ihren zwei Katzen vor vier Jahren aus Deutschlan­d in die Mühlgrundg­asse gezogen. „Ich bin in Pension gegangen und habe über mein Leben Bilanz gezogen“, sagt G. Dann sei der Entschluss zu diesem Umzug gereift. Wichtig ist ihr, dass sie ihren Tagesablau­f frei gestalten kann: „Wir werden hier nicht bekocht, jeder ist für sein Essen selbst zuständig“, sagt Frau G. Jeder kann also essen, wann und was er will. Wer Hilfe braucht, wird von seiner Heimhilfe unterstütz­t oder kann Essen auf Rädern anfordern. Nur in der Waschküche gibt ein fixer Zeitplan vor, wer wann waschen darf.

Von der künftigen Mitbewohne­rin oder dem Mitbewohne­r – derzeit sind in den WGs rund drei Viertel Frauen – wünscht G. sich Achtsamkei­t, Ehrlichkei­t und gute Umgangsfor­men. Ihr Mitbewohne­r Leo S. nennt einen weiteren Wunsch: dass es jemand Ruhiger ist. „Das wird mein Zimmernach­bar“, sagt der 61-Jährige, der selbst erst im Mai eingezogen ist.

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Drei WG-Bewohnerin­nen in der Mühlgrundg­asse. Monika G. (Mitte) ist gleich mit ihren zwei Katzen in die Acht-Personen-WG eingezogen. Wien

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